Süddeutsche Zeitung

Unruhe in der Bayern-SPD:"Die Koalition ist am Ende"

Die SPD-Mitglieder in Bayern sind sich uneins darüber, ob sie weiter in Berlin mitregieren sollen. Für die Landtagswahl sehen sie schwarz.

Von C. Rost, A. Glas, C. Henzler, M. Köpf und A. Rainer

Der Streit um die Ablösung von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und dessen anschließende Beförderung zum Staatssekretär erschüttert die Bundesregierung. Nach CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer gerät nun auch die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles in der eigenen Partei in die Kritik:

Maaßens Beförderung "hat die Befindlichkeit vieler Parteimitglieder mit Füßen getreten", sagt Heinrich Trapp, SPD-Landrat des Kreises Dingolfing-Landau. Aber "eine Regierung scheitern zu lassen, wegen des Leiters eines Bundesamts, wäre höchst dilettantisch". Am meisten ärgere ihn, dass der Koalitionsstreit das Thema Migration überlagere, das die Bürger in seinem Landkreis am meisten beschäftige. Mit ihrem Kurs in der Asylpolitik erreiche die SPD "vielleicht noch das Bildungsbürgertum, aber nicht mehr den Facharbeiter und den Normalverdiener", sagt Trapp. Eine Viertelstunde lang erzählt er von Zuwanderern, die "in hohem Maß homophob und antisemitisch" seien, von pöbelnden Migranten am Landauer Bahnhof, von Sozialleistungsbetrügern. Wen er bei der Landtagswahl wählen werde? Lange Pause, erst nach zehn Sekunden sagt Trapp: die SPD. Aber wenn ihm Bürger erzählten, dass sie die AfD wählen, sage er: "Dann wählen Sie wenigstens die CSU. So weit bin ich schon gekommen."

Es sei nun mal so vereinbart, dass immer der Minister entscheide, wer bei ihm Staatssekretär werden dürfe, sagt Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly. "Es ist trotzdem sauärgerlich, weil's kein Mensch versteht." Nun breche "die Wunde der erneuten Groko, die noch nicht verheilt ist" wieder auf. "Aber diese Causa ist für mich kein Grund, aus der großen Koalition zu gehen." Ob Obergrenze für den Rentenbeitrag, Gute-Kita-Gesetz: "Das sind lauter Ziele, die man nur umsetzen kann, wenn man in der Verantwortung ist."

Sebastian Koch, Bürgermeister in Wenzenbach, hat kürzlich mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil Rote-Beete-Knödel gekocht, in der Regensburger Fußgängerzone. "Schön und gut, dass da Herren aus Berlin kommen und mit uns Wahlkampf machen", sagt Koch, "aber viel wichtiger wäre, dass man mal Rückgrat zeigt" in der Bundes-SPD. Dass Parteichefin Nahles die Maaßen-Beförderung mitträgt, mache der Bayern-SPD nur noch schwerer, "den Leuten am Infostand zu versichern, dass auf unser Wort Verlass ist". Es sei "das richtige Zeichen", dass SPD-Landeschefin Kohnen "den Rücken gerade macht und auf Konfrontation zu Frau Nahles geht". Es dürfe nicht sein, "dass die Bundespartei seit Monaten nahezu ihr gesamtes politisches Handeln danach ausrichtet, dass die Koalition erhalten bleibt", in der es "nur um die Ego-Nummern von Herrn Seehofer" gehe. Der SPD-Unterbezirk Regensburg, dessen Chef Koch ist, habe daher einen Beschluss gefasst, in dem sich die Mitglieder gegen Maaßens Beförderung aussprechen. Den Beschluss werde man nach Berlin schicken. Sollte es bei der Beförderung bleiben, "kann man daran auch mal die Große Koalition scheitern lassen", findet Koch.

"Die Koalition ist am Ende", sagt die Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Rosenheim, Elisabeth Jordan. Sie würde sich nur wünschen, dass ihre SPD nun die Kraft aufbrächte, der Koalition auch wirklich ein Ende zu machen. Doch leider neigten die Sozialdemokraten dazu, "immer bis zum letzten Drücker koalitionstreu zu sein, das ist ein altes Manko der SPD", sagt Jordan, die sich zur Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag noch selbst für das Regierungsbündnis stark gemacht hatte.Von dem immer weiter wachsenden Unmut und Unwillen, den sie bei den Bürgern nach Seehofers Manöver zu Maaßens Beförderung spüre, werde aber wohl "nicht die SPD nicht profitieren, das ist genau das Dilemma", sagt Jordan. Für den eigenen Landtagswahlkampf sei Nahles' Zustimmung zu Maaßens Beförderung jedenfalls "nicht hilfreich".

Für den Schongauer Bürgermeister Falk Sluyterman van Langeweyde stellt sich die Frage, ob es von Nahles wirklich strategisch geschickt war, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen und die Personalie Maaßen zur Koalitionsfrage zu machen. "Wie kommt man aus der Nummer wieder raus?", fragt Sluyterman und weiß auch keine rechte Antwort. Seehofers Entscheidung zu akzeptieren, ist aus seiner Sicht aber noch das etwas kleinere von zwei ziemlich großen Übeln. Denn er selbst ist "nach wie vor ein Befürworter der großen Koalition". Auch die SPD sei schließlich "gewählt worden, um zu regieren", und wenn man schon so eine Vernunftehe eingehe, dann müsse man auch vernünftig handeln. "Ein Scheitern der Koalition wäre noch weniger vermittelbar als ein Staatssekretär Maaßen".

Achim Fißl hat vor ein paar Tagen zunächst eine E-Mail von Natascha Kohnen bekommen und dann noch eine von Andrea Nahles. Der Vorsitzende des SPD-Kreisverbandes in Günzburg konnte anhand der Mitteilungen noch keinen tiefen Riss erkennen zwischen der Bundes- und der Landesvorsitzenden, auch einen drohenden Koalitionsbruch sieht er nicht. "Sie sind momentan nicht einer Meinung", sagt Fißl, und es sei auch nicht schön, dass im Bundesinnenministerium für den "ungenierten Herrn Maaßen" nun ein SPD-Staatssekretär "weggekegelt wird als Bauernopfer". Doch die Gesellschaft habe tatsächlich ganz andere Probleme als das, was in der "Berliner Blase" diskutiert werde, und auch deshalb konkurriere die SPD in Bayern mittlerweile am unteren Rand mit ihren desaströsen Umfragewerten. Er sieht die negative Entwicklung der Sozialdemokraten aber auch infolge des nationalen Egoismus in ganz Europa, wie er sagt. Deshalb ist er optimistisch, dass wieder andere Zeiten kommen: "Irgendwann wird der Groschen fallen, dass der Hass auf Minderheiten zu nichts führt."

Dass die SPD unabhängig vom Geplänkel in der Hauptstadt die Menschen schon lange nicht mehr erreicht, da pflichtet der Friedberger Bürgermeister Roland Eichmann seinem Parteikollegen bei. "Die echten Probleme, insbesondere die Wohnungsnot, stehen nicht mehr auf der Tagesordnung." Und wenn dann doch eine vernünftige gesetzliche Regelung von der großen Koalition auf den Weg gebracht werde, wie die zur Beitragsbefreiung in Kitas, dann werde das überlagert von "Dauererregungen" über einen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz. Damit komme die SPD nicht mehr bei den Wähler an, im Bund nicht und im Land auch nicht. "Das ärgert mich", sagt Eichmann. Angesichts des Entfremdungsprozesses zur Wählerschaft befürchtet der Bürgermeister, dass die Wahl in Bayern für die SPD tatsächlich nicht viel besser ausgeht als in den aktuellen Umfragewerten prognostiziert. "Wir haben uns unter Wert verkauft", konstatiert Eichmann.

Wenn er sehe, was da im Bund so vor sich gehe, werde ihm "ganz schwindelig", sagt Thomas Jung, OB in Fürth. "Wenn man gewisse Vorgänge in einer Regierung nicht mehr erklären kann, ist das einfach nur noch deprimierend." Auch wenn er selbst keine große Freude mit einem möglichen Koalitionsbruch hätte, könne er es niemandem verübeln, der in diesen Tagen daran denke. "Die inhaltlichen Verabschiedungen der letzten Wochen waren so gut", ärgert sich Jung, "und dann kommt dieser Dilettantismus und dieser eine Minister, der alles wieder hinunterreißt."Von einem "katastrophalen Zeichen an die Bevölkerung" spricht auch Klaus Stieringer, Fraktionsvorsitzender im Bamberger Stadtrat. Nicht nur die Landtagswahlen machen dem SPD-Politiker Sorgen, er befürchtet auch negative Auswirkungen auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr: "Das wird uns doppelt auf die Füße fallen", sagt Stieringer, "die haben uns einen Bärendienst erwiesen." Trotzdem wolle er sich nicht am Frust seiner Genossen beteiligen: "Ich gehöre nicht zu denen, die sagen: 'Frau Nahles muss weg!'Das muss sie nicht, sie muss lernen zu kommunizieren. Es mag Gründe gegeben haben, aber die wurden nicht erläutert." Auch ein Aufkündigen der Koalition hält der Fraktionsvorsitzende für übertrieben: "Das wäre Wasser auf die Mühlen der Rattenfänger", sagt Stieringer, und: "Bei Neuwahlen wäre die SPD sicher keine Gewinnerin."

Fragt man Klaus Herzog, OB von Aschaffenburg, nach Andrea Nahles, muss er sehr lange nachdenken. Zweifelt er an seiner Parteichefin? Nein, er überlegt, wie scharf er ihre Kritiker angreifen darf. "Viele von denen, die jetzt meckern", sagt Herzog dann, "mussten in ihrem ganzen Leben noch nie konkrete Politik machen." Schon aus pragmatischen Gründen dürfe man die Koalition nicht platzen lassen, die SPD trage Verantwortung dafür, dass Deutschlands Regierung handlungsfähig bleibt. Rote Linien aber gebe es: "Gunter Adler war als Staatssekretär für den Wohnungsbau zuständig, da war er der beste Mann. Es geht einfach nicht, dass man ihn durch jemanden ersetzt, der vom Wohnungsbau keine Ahnung hat." Deswegen sei nun die Bundeskanzlerin am Zug: "Sie hat die führende Rolle und muss jetzt handeln."

"60:40, dass sie bleibt!" So schätzt Gabriele Sehorz, Vize-Vorsitzende der Ansbacher SPD, die Chancen ihrer Parteichefin ein - und ist darüber alles andere als glücklich: "Andrea Nahles ist nicht die Richtige, mit ihr können wir nur verlieren." Sehorz ärgert nicht nur der "Postenschacher", den es in der "guten alten SPD" nicht gegeben habe, auch die Auswirkungen auf den Landtagswahlkampf seien beträchtlich: "Wir kämpfen hier um jedes Prozent und Nahles grätscht uns zum x-ten Mal rein. Das ist gegenüber Frau Kohnen einfach nicht fair." Für einen Koalitionsbruch sei es nun zu spät, sagt Sehorz, obwohl sie immer eine Groko-Gegnerin gewesen sei: "Jetzt müssen wir das aber durchziehen."

Eine "Notlösung" sei die Maaßen-Operation gewesen, sagt Elisabeth Zagel, stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Stadtrat Bayreuth, "ein Deal", den in erster Linie Horst Seehofer zu verantworten habe. Aber dass daran eine Koalition zerbricht? "So schlimm ist es doch auch wieder nicht, oder?", sagt Zagel, "Es ist halt eine Personalie." Maaßen hätte sich einfach zurückziehen sollen, findet die Fraktionsvorsitzende, "das wäre für alle leichter gewesen."

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SZ vom 21.09.2018 / chro, gla, henz, kpF, raia/huy
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