Zwischen Reagenzgläsern und futuristisch anmutenden Geräten im Labor am Stadtrand von Erlangen ist Joe Harris in seinem Element. Da beginnt er zu erzählen und zu erklären. Er zeigt auf bauchige Glasgefäße, in denen er Kristalle züchtet, um deren Strukturen aus der Natur zu analysieren und womöglich nachzuahmen in synthetischen Produkten. Dass der Engländer nicht perfekt Deutsch spricht und in anderem Zusammenhang bedächtig fast jedes Wort genau wägt, vergisst er da ganz.
Der 30-Jährige hat an der Universität Bristol in Chemie promoviert, seit mehr als drei Jahren ist er jetzt Post-Doktorand am Lehrstuhl für Materialforschung - Glas und Keramik - an der Uni Erlangen-Nürnberg. Bevor er nach Franken kam, in ein Projekt der Exzellenzinitiative für Spitzenforschung, gab es andere Angebote und Überlegungen, Berlin etwa oder New York.
Wissenschaft funktioniert längst weltweit. Klar war für Harris aber: Julia Robinson, seine Verlobte, die er mit 18 auf dem Campus in Bristol kennengelernt hatte, sollte mitkommen, sie wollte ihn auch begleiten. Dass die 29-jährige Frau schnell einen prima Job in einer Werbeagentur fand - das ist auch dem Einsatz der Universität zu verdanken.
"Dual Career", also zweifache Karriere, heißt der Trend, der sich in der Wissenschaft ausbreitet. Um gefragtes Personal zu gewinnen, müssen sich Hochschulen durchaus anstrengen - nicht selten hängt eine Zusage von den Rahmenbedingungen ab und eben davon, ob der Partner einen Job findet. Immer mehr Unis helfen beim Berufen von Professoren oder Einstellen von Forschern auch deren Partnern, sich auf dem regionalen Arbeitsmarkt zurecht zu finden.
Erlangen startete vor Jahren diesen Service, genauer gesagt: ein nordbayerisches Netzwerk, das in dieser Form sonst nicht auftritt, darunter die Unis Regensburg, Bamberg und Bayreuth, Hochschulen wie Coburg und Ansbach, Fraunhofer-, Helmholtz- und Max-Planck-Institute; dazu als Partner Industrie- und Handelskammern, Konzerne wie Siemens oder HUK-Coburg.
"Vielleicht gibt der Job für den Partner nicht den Ausschlag für eine Entscheidung - keinen solchen Service zu bieten, kann aber ein Nachteil sein", sagt Yvonne Eder, die das Nordbayern-Netzwerk koordiniert. "Es ist ein hilfreiches Instrument im Wettbewerb um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler." Devise sozusagen: Doppelt forscht besser.
Julia Robinson hat in Bristol Deutsch und Spanisch studiert, sechs Monate hat sie mal in Augsburg verbracht - trotzdem ist ihr Deutsch, so die Angst, vielleicht nicht ausreichend für den Beruf, in dem sie zuhause arbeitete: Marketing. Sie dachte an Englischunterricht als Notnagel. Als ihr Verlobter die Stelle antrat, wies man sie auf das Netzwerk hin. Bei Professuren legt Eder einen Flyer dem Berufungsschreiben bei. Je früher sie Bedarf erkennt und tätig wird, desto besser.
"Wir sind letztlich Dienstleister, wir wollen Türen öffnen. Wir sind jedoch kein Vermittlungsservice, da wird nicht einfach jemand von mir mit einem Job versorgt", sagt sie. Bis zu drei Dutzend Personen betreut das Netzwerk im Jahr; manche Standorte haben eigene Ansprechpartner, andere werden von Erlangen aus gemanagt. Eders Stelle wird zum Teil vom bayerischen Kultusministerium finanziert. Wissenschaftlern werde "ein hohes Maß an Mobilität abverlangt.
Das sollte sich nicht zulasten der beruflichen Karriere der Partnerin oder des Partners oder zulasten der Familie auswirken", sagte vor gut fünf Jahren zum offiziellen Auftakt des Netzwerks der damalige Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch. Initiiert wurde das Ganze schon 2011, vorangetrieben hatte die Idee der einstige Kanzler der Uni Erlangen-Nürnberg, Thomas Schöck.
Er wollte die Forschungslandschaft, die es im Norden Bayerns unbestritten gibt, sichtbar machen und auch nutzen; und nebenbei, wenngleich das nie so klar formuliert wurde, einen Kontrapunkt setzen zur attraktiven Wissenschaftsregion im Süden, dem Ballungsraum München mit mehreren Universitäten und Forschungseinrichtungen. Schöck forderte damals auch, "das Potenzial hoch qualifizierter Frauen nicht brachliegen zu lassen". In der Praxis gibt es freilich viele Fälle, wo die Ehemänner von Professorinnen gecoacht werden; aktuell betreut Eder das erste schwule Paar. Im Karriere-Service geht es keineswegs nur um Personal aus dem Ausland, im Fokus steht die Familienfreundlichkeit. Dass getrennte Wohnorte und Dauerpendeln nicht jeden glücklich machen, liegt auf der Hand.
Man mag gleich an das Klischee vom Professorenpaar denken - tatsächlich will mehr als die Hälfte der betreuten Partner in die freie Wirtschaft. Akademiker sind die Ehefrauen und Ehemänner fast immer; aber auch ein Koch wurde bei Eder schon mal vorstellig. Dann geht die Arbeit los, erster Schritt: Kompetenzen und Qualifikationen auflisten, Ziele definieren; danach geht es um Recherche. Welche Unternehmen kommen in Frage, welche Ausschreibungen gibt es?
Für gängige Branchen hat Eder Listen, für Biologie und Chemie zum Beispiel, mit Firmen von Cham bis Kronach. Auch Stellen in den eigenen Häusern kommen in Frage. Ergänzt wird das durch Coaching: Lebenslauf überarbeiten, Tipps für Einstellungsgespräche. Zaubern können die Netzwerker nicht, die Leute müssen selbst aktiv sein. "Im engen Austausch werden Ideen und Möglichkeiten geprüft, am Auftritt gefeilt, Kontakte hergestellt und somit die Chancen für einen erfolgreichen Neuanfang erhöht", sagt Eder. Julia Robinson, so erinnert sie sich, war "unglaublich aktiv".
Das Coaching habe ihr viel gebracht, meint die junge Britin. Schon der Lebenslauf sehe in England ganz anders aus, auch müsse man dort nicht wie in Deutschland alles durch Zeugnisse haarklein nachweisen. Gemeinsam suchten sie freie Stellen. Eine davon hatte Robinson zuvor selbst online entdeckt - aber geglaubt, sie sei nicht dafür qualifiziert. Nicht wissend, dass die besagte Kommunikationsagentur starkes Interesse an einer Englisch-Muttersprachlerin hat, für das internationale Geschäft. Yvonne Eder kannte die Personalerin, fragte nach, ermutigte Robinson - die eingestellt wurde und seitdem rundum zufrieden ist mit dem Job. Sie arbeitet an Werbemagazinen zum Beispiel für Konzerne mit.
Wirkt der Service nicht ein wenig wie Kungelei? Nein, stellt Eder klar, "eine Bewerbung mit unserer Hilfe erhöht im besten Fall die Aufmerksamkeit". In einem Begleitschreiben weist sie auf den Kontext hin "und dass wir hoch qualifizierte Paare in die Region holen". Aber ein Unternehmen müsse "natürlich nach der Bestenauslese vorgehen. Idealerweise erhält die von uns betreute Person die Einladung zum Vorstellungsgespräch und kann sich dann beweisen." Da hat Julia Robinson anscheinend einen überzeugenden Auftritt abgeliefert. Dass seine Freundin angekommen ist in Franken, sagt Joe Harris, sei auch ein Grund, warum aus geplanten zwei Jahren Postdoc-Forschung mehr wurden.
Dennoch, kommendes Jahr wird es das Paar wieder in die Heimat ziehen: Weil Postdoc-Jobs nie ewig laufen, weil sie ihre Familien vermissen; und weil Harris in die Wirtschaft wechselt - in die Forschung eines Unternehmens in Cambridge. Vielleicht kommen sie aber irgendwann zurück, für Deutschland haben die beiden nur Lob übrig. Harris schwärmt davon, dass hier "ein guter Platz für Wissenschaft" ist, führend in Europa; offenbar haben die Anstrengungen des vergangenen Jahrzehnts, allen voran die Exzellenzinitiative, etwas gebracht.
Willkommen fühlt sich das Paar auch; beigetragen habe dazu die Job-Beratung. "Ich hätte nie damit gerechnet, dass man so einen tollen Service bekommt", sagt Julia Robinson. "Und auch noch umsonst, in England müsste man für so etwas sicher viel bezahlen."