Uni Würzburg - eine Doktorfabrik?:Die Angst vor dem Déjà-vu

Strauß-Spezl Lothar Bossle stand im Ruf, an Würzburgs Uni eine Doktorfabrik eingerichtet zu haben. Nun werden wieder ähnliche Vorwürfe laut.

Olaf Przybilla

Der Tag, an dem Lothar Bossle sein Amt an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität antrat, ist eher nicht als rühmendes Kapitel in die Annalen der Hochschule eingegangen. Deren Gremien hatten heftig protestiert gegen die Berufung jenes Mannes, der im Ruf stand, ein ganz besonderer Spezl von Franz Josef Strauß zu sein. Strauß hatte Bossle als "Zierde für jede bayerische Universität" bezeichnet, und so konnten die Gremien der Uni protestieren, so viel sie mochten: Die Alma Mater, die nährende Mutter, musste den Professor für Soziologie in ihre Reihen aufnehmen.

Raumnot zum Semesterauftakt

Betrug im Hörsaal? Ein inzwischen emeritierter Professor soll Studenten an der Universität Würzburg mit unlauteren Mitteln zu ihrem Doktortitel verholfen haben.

(Foto: ddp)

Im Jahr 1977 trat Bossle seine erste Vorlesung in Würzburg an, zuvor blieb es einer Hundertschaft Polizisten überlassen, wütende Studenten aus dem Hörsaal zu treiben, damit der Professor mit seinen Darlegungen beginnen konnte. Es gab viele an der Uni Würzburg, die diesen Antrittstag noch Jahre danach verfluchten. Am schwersten traf es Doktoranden, sie mussten mit dem Spott einer Dissertation aus Würzburg leben - von jener Uni also, an der Bossle wirkte, über den zu lesen war, er betreibe eine "Doktorfabrik"; und der Dissertationen in einem Verlag vertrieb, der ihm zum Teil selbst gehörte.

"Doktorfabrik" Würzburg

"Wer anderswo verzagen müsste", schrieb die Zeit 1988 über den Soziologen, "kann bei Bossle einen Doktor bauen, und am wenigsten hindern ihn daran eine rechte Gesinnung und eine dicke Brieftasche". Bossle ging gerichtlich gegen diesen Artikel vor - und unterlag. Man muss das alles wissen, um zu verstehen, wie alarmiert die Würzburger Uni dieser Tage ist. Kürzlich ist ihr ein Schreiben eines Anonymus zugespielt worden, und wenn nur ein bisschen von dem wahr sein sollte, was an Vorwürfen darin enthalten ist, dann wäre dies ein sehr harter Schlag.

Wieder hallt nun das Wort von der "Würzburger Doktorfabrik" über die Campus-Gänge. Und wieder soll ein - inzwischen emeritierter - Professor dahinterstecken, dem ebenfalls eine stramm rechte Gesinnung unterstellt wird und der als Medizinhistoriker einer Zusammenarbeit mit dem Soziologen Bossle nicht abgeneigt war. Für angehende Ärzte soll es nicht übermäßig schwer gewesen sein, sich ihren Doktortitel bei diesem Professor abzuholen.

Zu "Führers Geburtstag" soll das Glas gehoben worden sein

Der oder die Verfasser des anonymen Papiers nennen sich "Freunde des Instituts für Geschichte der Medizin", und so merkwürdig einzelne Passagen wirken mögen, in einer Bewertung sind sich die Verantwortlichen der Würzburger Hochschule einig: Das Schreiben sei "außerordentlich detailliert", sagt Uni-Sprecher Georg Kaiser - der Schreiber müsse über großes Insiderwissen verfügen. Und, ja, auch dem vermeintlich abstrusesten Vorwurf gehe die Ständige Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens nun nach: dem nämlich, ob es wahr sein könnte, dass in einem Institut der Würzburger Uni noch vor wenigen Jahren das Glas zu "Führers Geburtstag" gehoben wurde - und man für eine Habilitation eine stramm rechte Gesinnung mitbringen musste, sozusagen als Arbeitsvoraussetzung. "Auch das wird nun sehr ernsthaft geprüft", sagt Kaiser.

Allerdings nicht nur das: Geprüft wird auch, inwiefern Doktorarbeiten, die am Institut des Medizinhistorikers entstanden sind, auf der eigenen Arbeit von Doktoranden beruhen. Oder inwiefern vor allem der Doktorvater daran mitgewirkt haben könnte. Auch die Staatsanwaltschaft Würzburg ermittelt nun: Man habe erneut "ein Verfahren wegen des Verdachts der Vorteilsannahme" gegen den Emeritus eingeleitet, sagt der Würzburger Oberstaatsanwalt Dietrich Geuder.

Emeritierter Professor bekam Geld von Promotionsvermittler

Es ist nicht das erste Verfahren gegen den Emeritus. Bereits 2009 wurde ein Strafbefehl gegen ihn erlassen, eine diskrete Form der Bestrafung. Auch die Höhe der Geldbuße machte es dem Emeritus leicht, gegen das Urteil keinen Einspruch zu erheben. Er wurde wegen Vorteilsannahme zu einer Strafe von 90 Tagessätzen verurteilt. In landläufiger Auslegung gilt er damit als nicht vorbestraft, das gilt man erst ab 91 Tagessätzen. Verurteilt wurde er, weil ihm ein Promotionsvermittler in sechs Fällen Geld auf ein Privatkonto überwiesen hatte. Dem Professor sei bewusst gewesen, dass der Vermittler ihm das Geld auch deswegen überlassen habe, weil über den besagten Vermittler ein erster Kontakt zu verschiedenen künftigen Doktoranden zustande gekommen sei, urteilte der Amtsrichter.

Deklariert war das Geld als Darlehen für Forschungsprojekte, und der Anwalt des Emeritus, Johannes Mierau, legt Wert auf die Feststellung, dass sein Mandant das Geld zurückbezahlt hat. Ist ein bayerischer Professor für seine Forschungen tatsächlich auf ein Darlehen - es geht um 6000 Euro - eines Promotionsvermittlers angewiesen? Die Begründung führt in das Reich eines Orchideenfachs, eines freilich, in dem es sich in Würzburg offenbar lange Zeit hervorragend promovieren ließ: die Geschichte der Medizin. Der Professor, sagt sein Anwalt, habe sich nach seiner Emeritierung verpflichtet gesehen, Fachzeitschriften zu abonnieren, darunter solche, die so wenige Leser hätten, dass "einer weniger schon tödlich sein könnte". Deshalb also das Darlehen.

250 Doktortitel erschwindelt?

Mindestens 250 Doktorarbeiten, diese Zahl nennt der Anwalt, habe sein Mandant betreut. Verblüffend sei das schon, wundert sich ein hochrangiger Vertreter des Würzburger Uni: "Wie viele Ärzte eine Leidenschaft für historische Heilblumen und die Lehre der Hildegard von Bingen" entwickelten - zumal die Quellen des Faches nicht selten auf Frühneuhochdeutsch gehalten sind, was schon für Germanisten kein reines Vergnügen ist. In Würzburg freilich scheinen das viele Mediziner auch ohne Philologiestudium ohne weiteres weggesteckt zu haben.

Und wenn doch nicht? Der Professor habe es so gehalten, den Doktoranden beim Erkunden von Quellen notfalls in Einzelstunden beizustehen, bestätigt Anwalt Mierau das, was am Institut erzählt wird. Er bestätigt auch, dass im Institut nach der Emeritierung des Professors vor acht Jahren handschriftlich verfasste Dokumente seines Mandanten entdeckt wurden, in denen der Medizinhistoriker im Wortlaut Passagen zu Papier gebracht haben soll, die sich später auch in den Arbeiten seiner Doktoranden fanden. Aber auch das sei schlicht zu erklären: Bei der gemeinsamen Durchsicht der Dissertation kurz vor Abgabe habe der Professor oft eine Mitschrift der Arbeit angefertigt. Wie gesagt: mit der eigenen Hand.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen unerlaubter Promotionspraktiken

So unmöglich, wie sich das anhört, ist es nicht. Ein Uni-Sprecher bestätigt Erstaunliches: Doktorarbeiten in der Geschichte der Medizin sollten "nicht mehr als 50 Seiten" umfassen. Das Material, das im Institut gefunden wurde, war dennoch so irritierend, dass die Kommission der Uni 2006 zusammentrat - und Anzeige gegen den Professor wegen des Verdachts unerlaubter Promotionspraktiken erstattete. "Wir hatten den massiven Verdacht, dass die Doktoranden nicht hinreichend über ihr Thema orientiert waren", sagt ein mit dem Vorgang vertrauter Professor, zumal die Diktion vieler Arbeiten "für Doktoranden sehr unüblich" ausgefallen sei.

Außerdem habe man, um möglicherweise Doktortitel aberkennen zu können, die Sache von der Staatsanwaltschaft prüfen lassen wollen. Die aber winkte in dieser Sache ab, zumindest im Jahr 2009. Zwar habe der Vorwurf im Raum gestanden, dass Doktoranden ihre Werke nicht selbst verfasst hätten, sagt Staatsanwalt Geuder. Aber selbst wenn der Professor große Teile der von ihm betreuten Arbeiten selbst verfasst haben sollte: Als Betrug hätte man dies nach Ansicht der Würzburger Staatsanwaltschaft nur bewerten können, wenn Geld dafür geflossen wäre.

Für die Uni, sagt ein Würzburger Wissenschaftler, sei dieses Ergebnis "wenig zufriedenstellend" ausgefallen. Von den neuen Ermittlungen erhoffe man sich nun mehr Klarheit, immerhin könnte es bis zu 250 Doktoren geben, deren eigene wissenschaftliche Leistung sehr übersichtlich ausgefallen ist. Die Kommission hatte es 2007 bei der Empfehlung belassen, dass der Emeritus keine Gutachten mehr erstellen dürfe. Nach SZ-Informationen hat der Professor an seinem ehemaligen Institut zudem Hausverbot.

Vorwurf des Rechtsextremismus

Wurden an einem Würzburger Institut an "Führers Geburtstag" die Gläser erhoben, wie es der Anonymus unterstellt? Der Anwalt des Emeritus weist das zurück: Ein Konservativer sei sein Mandant, es sei jedoch nachweisbar, "dass es nie Zahlungen etwa an die NPD gegeben" habe. Der Professor spreche 25 Sprachen, er sei ein "Wissenschaftler, der sozusagen tief im 19. Jahrhundert" verwurzelt sei - und für eine extrem rechte Gesinnung "viel zu intelligent".

Mit Lothar Bossle teilte er dennoch manche Interessen. Bossle, der 2000 gestorben ist, war auch deshalb in Verruf, weil er eigenen Angaben zufolge mehrfach das Dorf Colonia Dignidad in Chile besucht hatte, in dem es während der Pinochet-Diktatur zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen war. Der Professor für Medizingeschichte hatte sich dadurch freilich nicht von gemeinsamen Publikationen mit dem Kollegen aus der Soziologie abbringen lassen.

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