Süddeutsche Zeitung

Uni-Atlas Bayern:Von der Uni Würzburg in den Orbit

Wer sich für Außerirdisches interessiert, ist in Würzburg genau richtig: Das Weltall ist ein Schwerpunkt an Bayerns ältester Uni. Studenten wird es leicht gemacht, fächerübergreifend zu lernen.

Von Ferdinand Otto, Würzburg

Vom Main in den Orbit: Ein Satellit, so klein und leicht wie ein Tetrapack Milch, ist vielleicht das beste Beispiel dafür, was die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) so besonders macht. Seit zehn Jahren umkreist die fränkische Weltraumsonde UWE-1 die Erde. Gebaut wurde sie von internationalen Studenten unter der Leitung des Lehrstuhls für Robotik. Denn neben Wein, Festung, Residenz und Mainbrücke bestimmt längst die Spitzenforschung das Bild von Würzburg.

Wenn sich Würzburg selbst stolz auf seinen Stadtschildern "Universitätsstadt" nennt, ist das mehr als Stadtmarketing. Gut ein Viertel der 125 000 Einwohner ist an einer Hochschule eingeschrieben, jedes Wintersemester kommen beinahe 5000 Erstsemester dazu. 10 000 Würzburger Arbeitsplätze hängen an der Uni mit ihrem Klinikum. Das sind nicht ganz Wolfsburger VW- oder Leverkusener Bayer-Dimensionen, eine ganze Menge Geld und Renommee bedeutet das für die kleine Großstadt aber allemal.

Zurück auf die Erdumlaufbahn zu UWE-1. Der hat zwar inzwischen ganz regulär seinen Dienst eingestellt und wartet nur noch auf sein Verglühen in der Atmosphäre, ist aber immer noch der Stolz der Uni. Das Projekt sticht heraus, weil nicht etwa nur Astrophysiker an der Kapsel gearbeitet haben - das Projekt war angesiedelt am Institut für Informatik.

Raumfahrt im Großen wie im Kleinen ist Teamwork: Ingenieure, Physiker und Informatiker müssen Hand in Hand arbeiten. Inzwischen ist Würzburg eine echte Hochburg fürs Weltall. Mit fünf europäischen Unis bietet Würzburg den einzigartigen Studiengang mit dem klangvollen Namen "Spacemaster" an. Längst hat UWE-1 Gesellschaft von Nummer 2 und 3. Und wer im Bachelor zwar was mit Informatik machen will, sich aber auch fürs All interessiert, kann Luft- und Raumfahrtinformatik studieren.

"Wir ermuntern unsere Studenten, über den Tellerrand hinauszuschauen", sagt Hendrik Beierstettel von der Zentralen Studienberatung. Neben einer ganzen Vielzahl solcher Crossover-Fächer können Studenten sich ganz individuell ihre Schwerpunkte zusammenbasteln. Konkret heißt das: Bachelor-Studenten dürfen seit 2006 bis zu 30 ECTS-Punkte im Rahmen ihres Studiums beinahe ohne Beschränkung frei wählen. So können Juristen ihre Englischkenntnisse aufbessern, Betriebswirte belegen Kurse in Interkultureller Kommunikation, wenn sie das wollen, Biologen studieren Chemie, falls es sie interessiert, und Politikwissenschaftler besuchen Vorlesungen wie "Bürgerliches Recht für Nicht-Juristen". "Für diesen frei wählbaren Bereich brauchen sich Studenten nicht neu einzuschreiben, sondern einfach nur die Kurse zu belegen", erklärt Beierstettel.

Getrieben von diesem Geist, Studenten unterschiedlicher Fächer zusammenzubringen, klassische Fächer zu mixen und eingefahrene wissenschaftliche Traditionen aufzubrechen, baut die JMU an. Für gut sechs Millionen Euro entsteht auf dem Campus Nord ein Neubau für die Graduiertenschule der Lebenswissenschaften. Spatenstich war im Juni 2016, Ende 2017 sollen in dem neuen Gebäude Promotionen in Biologie, Medizin, Chemie, Physik und Psychologie betreut werden.

Dieser Campus Nord war einst ein Kasernenareal der Amerikaner und ging nach deren Abzug an die Stadt. Und statt auf dem Gelände meistbietend Konzerne anzusiedeln, erinnerte sich Würzburg an seinen Ruf als Universitätsstadt. So bekam 2011 die JMU die Fläche. "Ein echter Glücksfall für uns", sagt Esther Knemeyer Pereira, Sprecherin der Uni. Denn auf der anderen Straßenseite vom Kasernengelände steht seit 50 Jahren der Campus Hubland. Auf dieser Anhöhe östlich der Innenstadt studieren die meisten Würzburger Studenten, bis auf ein paar Fächer, die in der Innenstadt untergebracht sind. Zusammen mit dem Campus Nord wächst so seit 50 Jahren die Uni Stück für Stück zu einem eigenen Stadtviertel.

Im Stadtzentrum werden vor allem die Juristen daran erinnert, dass sie an einer traditionsreichen Universität studieren. Durch einen Torbogen betritt man den Innenhof des Häuserblocks, der die Fakultät beherbergt. Kopfsteinpflaster überzieht den Platz, der zu allen vier Seiten von Renaissance-Fassaden umschlossen wird. Das Innere erinnert an die zweite Gründungszeit der Uni: Das Treppenhaus ist mit schweren Steinplatten ausgelegt. Im Keller, unter unverputzten, niedrigen Gewölben, die nach altem Mauerwerk riechen, ist eine kleine Mensa untergebracht.

Nicht nur auf seine lange Tradition und die schicken Neubauten ist die Uni stolz. An der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät haben es sich 30 Studierende mit zwei Profs zur Aufgabe gemacht, 20 000 Flüchtlinge in einen Job zu vermitteln - bis 2018. Dafür bilden sie Job-Coaches aus, die bei Bewerbungen helfen und zwischen Firmen und Arbeitswilligen vermitteln.

Darüber hinaus bietet die Würzburger Uni seit Dezember 50 Flüchtlingen ein Förderprogramm an, das sie fit machen soll für ein Studium. Dazu gehört zunächst über ein paar Monate: Deutsch lernen und Vokabeln pauken. Wenn die Grundlagen sitzen, dürfen sie an die Fakultäten, die sie interessieren, und Sprachkurse belegen, die auf ihr Fach zugeschnitten sind - oder Praktika machen und in Vorlesungen reinschnuppern. Mit etwas Durchhaltevermögen werden die 50 nächstes Jahr die lange Geschichte der JMU fortschreiben, zum Hubland pendeln und vielleicht UWE-4 ins All schießen.

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SZ vom 08.07.2016/bica
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