Unglück in Unterfranken:Das Trümmerfeld lässt erahnen, wie schwierig die Ursachensuche wird

Eingestürzter Brückenneubau Schraudenbach

"Wie Science-Fiction", so beschreibt der Staatssekretär Gerhard Eck die bizarre Szenerie an dem zerstörten Brückenneubau an der A 7.

(Foto: dpa)

Ein Brücken-Rohbau an einer wichtigen Autobahn fällt zusammen wie ein Kartenhaus, ein Arbeiter stirbt - und das mitten in Deutschland. Wie konnte es nur so weit kommen?

Von Olaf Przybilla, Schweinfurt

Jürgen Kettner hat 40 Jahre Bauerfahrung, er ist gelernter Zimmermann und Bauingenieur. Baustellen wie die bei Schraudenbach in Unterfranken hat er viele gesehen, aber so was noch nie: dass der Rohbau einer neuen Autobahnbrücke auf 40 Meter Länge in die Tiefe kracht. Er hat sich nicht vorstellen können, dass dabei das Gerüst aus Stahl wie ein Kartenhaus zerschmettert wird.

Ein 38-jähriger Bauarbeiter aus Kroatien ist gestorben bei dem Unglück, 14 Arbeiter wurden verletzt, manche von ihnen schwer. Und alle, die am zertrümmerten Brückensegment von Schraudenbach stehen, sagen: Es hätte viel schlimmer kommen können. Kettner lebt nicht weit von der Brücke entfernt, er hat sich die Bilder genau angeschaut. "Macht einen sprachlos", sagt er.

Aber Kettner treiben auch Fragen um am Tag danach. So war am Mittwoch über Stunden nicht klar, wie viele Arbeiter überhaupt auf der Baustelle tätig waren. Nur auf "etwa 20" wollten sich die Behörden festlegen, wenn man das überhaupt so nennen kann: festlegen.

Für Kettner ist das ein Unding. An so einer Baustelle müsse klar sein, wie viele Menschen da gerade arbeiten, sagt er. "Das muss morgens festgelegt werden, dafür gibt's Vorarbeiter, da muss jeder wissen, welche Aufgabe er hat." Gerade auf einer solchen Baustelle, 20 Meter über dem Tal, parallel entlanggeführt an einer alten, viel befahrenen Brücke der A 7. Und er fragt sich: "Warum ist diese neue Brücke überhaupt eingekracht?"

Unglück in Unterfranken: SZ-Grafik

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Die Staatsanwaltschaft hat am Tag danach keine Antwort auf diese Frage, "natürlich nicht", sagt ein Sprecher. Wer sich das Trümmerfeld im Tal anschaue, der ahne, dass es bis zu einer Antwort "Wochen dauern kann". Eine Gutachterin soll nun rekonstruieren, wie sich das Segment zwischen Pfeiler fünf und Pfeiler sechs einfach so absenken konnte, als gäbe es die 30 Zentimeter dicken Stahlträger des Gerüsts gar nicht.

An ein Überschallflugzeug glaubten sie in Schraudenbach, als es krachte. Bis klar wurde, dass sie die Verbindungsstraße zwischen Zeuzleben und ihrem Dorf nun für lange Zeit nicht mehr nutzen können, weil dort gerade Hunderte Tonnen Beton auf den Asphalt gestürzt sind. An den Resten der Brücke ragen jetzt Spannbetondrähte wie riesige Taue auf die Ortsstraße, ein Anblick wie aus einem ganz schlechten Trashfilm.

Bizarre Szenen haben sich abgespielt in den ersten Stunden nach dem Knall. Einer der Arbeiter hing etwa fünf Meter in der Luft, die Reste des Tragwerks verhinderten einen tieferen Sturz. Erst sollte die Bergwacht zu ihm vorstoßen, dann schaffte es die Feuerwehr, ihn mit einer Drehleiter zu retten. Der Mann überstand den Sturz mit leichteren Verletzungen. Man soll nicht so oft von Wundern reden, sagt Thomas Schlereth, der den Einsatz an der Brücke koordiniert hat. In dem Fall aber?

Gerhard Eck ist auch vom Fach, gelernter Maurer, inzwischen Innenstaatssekretär in Bayern. In der Führungsspitze der CSU ist er der Handwerker. Er gilt als einer, den nichts aus der Ruhe bringt. Der Anblick der Betonwüste an der A 7 bringt Eck nun aber ins Stocken: "Das ist ja unsere Baustelle", entfährt es ihm. Die Redepause danach könnte man so füllen: eine Baustelle mitten in Bayern, gelegen an der zentralen Magistrale zwischen Deutschlands Norden und Süden. Also nicht irgendwo anders, wo man sich so was zur Not vorstellen könnte: einstürzende Neubauten.

Nach der Pause sprudelt es dann regelrecht raus aus Eck, so als müsse da einer etwas ganz rasch für sich selbst klären. Eine Top-Baufirma sei da am Werk gewesen, mit der habe es nie Probleme gegeben. Und diese Firma habe an dem Tag eine "absolute Standardsache" durchgeführt: Beton vom Boden nach oben auf die Brücke pumpen, dort aufs Baustahlgewebe verteilen.

Fast fertig war man damit, die Füllung von zwei Betonmischern hätte es noch gebraucht. "Das wird hundertfach so gemacht", sagt Eck. Und jetzt? "Wie im Science-Fiction", findet der Staatssekretär. Und beeilt sich zu sagen, dass sich nun bitte keiner Sorgen machen müsse auf bayerischen Autobahnen.

Bei Würzburg wird derzeit an der A 3 ein viel größerer Neubau neben die alte Brücke betoniert, in 30 Meter Entfernung lebt ein Paar in einem Häuschen fast unter der neuen Brücke. Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen, wiederholt Eck. Und: "Selbst ein absoluter Fachmann kann nicht sagen, warum das passiert ist."

Die bayerische Baufirma Max Bögl verschickt am Tag danach ein paar dürre Zeilen. Die Unglücksursache sei noch nicht bekannt. Von der Unternehmensgruppe sei "kein Mitarbeiter betroffen" - also waren bei Schraudenbach Subunternehmer am Werk. Wie dort gebaut wurde, sei "lange erprobt und bewährt". Insofern müsse man die Ermittlungen abwarten, ehe man etwaige Konsequenzen ziehen könne.

Wenn der Beton oben auf der Brücke angekommen und auf der verschalten Fläche verteilt wird, "dann entstehen dort oben schräge Lasten", sagt Bauingenieur Kettner. Eine gefährliche Sache, weshalb unten am Stahlgerüst Kollegen darauf aufpassen müssen, dass nichts zu sehr aus dem Gleichgewicht gerät. Aber Kettner will nicht spekulieren. "Wenn irgendwas anderes an so ein Gerüst kommen würde, ein Laster etwa, könnte das auch verheerende Folgen haben." Von dergleichen sei nichts bekannt, sagt der Staatsanwalt.

Auf der A 7 zwischen Würzburg und Fulda fließt der Verkehr am Donnerstag wieder normal. Am Tag zuvor stauten sich die Autos dort auf bis zu neun Kilometern. Der Grund: Schaulustige. Einer von ihnen, der "mit seinem Kraftrad offensichtlich auf dem Weg zu einem geeigneten Aussichtspunkt" gewesen sei, habe sich eine Beinverletzung zugezogen, teilt die Polizei mit.

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