UN-Simulation:Trainingslager für Diplomaten

Drei Tage lang simulieren Studenten in Neuendettelsau die Arbeit der Vereinten Nationen - sie proben für eine Konferenz in New York.

Anja Reiter

Es sind skurrile Szenen, die sich am Wochenende in der 7800-Einwohner-Gemeinde Neuendettelsau in Mittelfranken abspielten: Junge Menschen in feinen Anzügen und schicken Kostümen tummeln sich im Gemeindesaal der Diakonie und reißen Plaketten in die Luft, auf denen "Peru" oder "Sudan" steht. Was für Außenstehende eher wirkt wie ein Basar verwirrter Krawattenträger, ist in Wahrheit ein Planspiel mit bildungspolitischem Impetus, von Eingeweihten mit dem sperrigen Titel BayernMUN (Bayern Model United Nations) bedacht: Die Studenten und Schüler simulieren die Arbeit der Vereinten Nationen. Die "Diplomaten auf Zeit" sollen so die Funktionsweise der Uno-Gremien spielerisch kennenlernen. Auf die Einhaltung der Spielregeln multinationaler Zusammenarbeit achten die beiden Komitee-Vorsitzenden Oliver Burger und Nadine Paulick, die auch an der Organisation der Konferenz beteiligt waren.

Neuendettelsau ist für viele der 50 Teilnehmer die Probebühne für New York: Die Delegation der Universität Erlangen-Nürnberg fliegt etwa Ende März zur weltgrößten UN-Simulation nach New York. Auf der dortigen NMUN-Konferenz (National Model United Nations) müssen die fränkischen Studenten mit etwa 5000 internationalen Jungdiplomaten um die besten Rednerplätze und den herausragendsten Resolutionsvorschlag wetteifern.

In Neuendettelsau haben Jennifer und João Glück: Die Vertreter Brasiliens ergatterten einen Platz in der ersten Reihe, die Vorsitzenden der Kommission sind nur wenige Meter entfernt. Beim Kampf um den ersten Platz auf der Rednerliste reißt Jennifer ihre "Brasilien"-Plakette besonders zackig in die Höhe, nun darf sie zuvorderst über das Thema Ernährungssicherheit sprechen. Am Rednerpult lobt die Politikstudentin die brasilianische Ernährungspolitik und bietet an, auch andere Nationen am brasilianischen Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen - 60 Sekunden sind laut Protokoll für ihre Rede vorgesehen. Rhetorisch geschult wurde Jennifer in einem Vorbereitungsseminar in Erlangen. Dort lernte die 20-Jährige auch die passende Rocklänge für das UN-Parkett kennen und erfuhr, wie sie ihre Anliegen auf Konferenzen diplomatisch korrekt formuliert.

Ihr Verhandlungspartner João, der Betriebswirtschaftslehre studiert, ist gebürtiger Brasilianer. Ein großer Vorteil für das Diplomatenpärchen, denn João kennt die politischen Debatten in seiner Heimat sehr genau. Die beiden jungen Frauen aus Bamberg, die Peru vertreten, mussten sich die Informationen über peruanische Ernährungspolitik und den dortigen Umgang mit indigener Bevölkerung erst mühsam beschaffen, wie sie erzählen. Doch auch die Vorbereitung gehört zum Spiel: Bei diplomatischen Vertretungen und Ministerien nachzufragen ist ebenso erwünscht wie die Recherche im Internet oder in internationalen Pressearchiven.

Die UN-Simulation ist interdisziplinär. Auf den Konferenzen diskutieren Politikwissenschaftler mit Volkswirten, Mathematikern, Kommunikationswissenschaftlern und Technikern. Auch eine Schülergruppe des örtlichen Laurentius-Gymnasiums debattiert im Gemeindesaal munter mit. Ihre Schule arbeitet mit der Uni Erlangen-Nürnberg zusammen. Das Englischwörterbuch immer in Griffweite, überlegen sie nun gemeinsam mit den Studenten, was Frankreich und Co zur Lösung des Welthungers beitragen könnten.

Veranstaltet wurde die dreitägige Konferenz, die in diesem Jahr zum allerersten Mal stattfand, von der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und der Diakonie Neuendettelsau - unter Federführung von Nicolai Makosch und Alexander Hoeppel. Hoeppel, der auch schon zweimal in New York mitverhandelte, ist begeistert vom Mehrwert der Veranstaltung: "Wir lernen viel über Verhandlungstechniken, Zeitmanagement und Rhetorik. Außerdem muss man sich in andere Nationen einfühlen, was gut für das interkulturelle Verständnis ist." Die verschiedenen Standpunkte der Nationen authentisch zu vertreten, sei eine der Herausforderungen für die Teilnehmenden, ergänzt Makosch. Nicht zuletzt verbessern die Studenten ihre Englischkenntnisse, denn Konferenzsprache ist ausschließlich Englisch.

Natürlich planen nicht alle Teilnehmer eine diplomatische Karriere einzuschlagen - vielen sind die Anforderungen und Belastungen des Berufs zu hoch. Doch auch die Wirtschaft sucht nach diplomatischen Talenten - bei der Jobmesse im Rahmen der UN-Simulation buhlten Unternehmen wie "Rudolf Wöhrl" und "Forumfinanz" um die Jungdiplomaten.

Die Vorbereitungen für die Konferenz begannen an der Universität Erlangen bereits vor Monaten. So suchten die Organisatoren etwa nach prominenten Gastrednern: Zum Auftakt sprach Manfred Eisele, bis 1998 beigeordneter UN-Generalsekretär für Friedensfragen, über die aktuellen Herausforderungen der Vereinten Nationen. Gastgeber Prof. Hermann Schoenauer, Rektor der Diakonie Neuendettelsau, hieß die Jungdiplomaten herzlich willkommen. Samstagfrüh stand dann überraschend Münchens OB Christian Ude vor der Tür des Gemeindesaals: Auch er wollte ins diplomatische Studententreiben eingeweiht werden.

Das Problem des Welthungers verlieren die Studenten trotz des prominenten Besuchs nicht aus den Augen. Die brasilianische Delegation formulierte gemeinsam mit Australien, Sudan und Japan einen Resolutionsvorschlag: Durch mehr Bildung für Landwirte soll der weltweite Hunger gestillt werden. Nach langen Debatten bis zehn Uhr abends schließen sich auch Mali, Indien und die Schweiz dem Programm von Jennifer und ihren Kollegen an - und ergänzen die Vorschläge um Mikrokredite für Bauern. "Die Verhandlungen waren zäh und anstrengend", stöhnt Jennifer. "Niemand wollte von seinen Punkten abrücken. Jetzt bin ich aber sehr zufrieden mit unserem Programm." Die Nervenprobe lohnte sich: Bei der abschließenden Abstimmung in der Vollversammlung wurde der Vorschlag der brasilianischen Delegation angenommen.

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