Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz:Ökologische Verpackung, die sich einfach auflöst

Lesezeit: 3 min

Von Theresa Parstorfer, Wasserburg

Die Schokoladenmandeln sind zu verlockend, deshalb reißt Christoph Kleber die Tüte auf: "Ritsch". Das Material knistert wie eine Plastikfolie. Und doch besteht diese Tüte mehr aus Papier als aus Plastik. Denn der wichtigste Bestandteil der durchsichtigen Folie ist Zellulose. Also Holz, oder genauer: Hackschnitzel. Kleber und seine Frau Edna haben in Wasserburg am Inn den ersten Laden in Deutschland eröffnet, in dem derart verpackte Lebensmittel verkauft werden.

"Nachhälter" nennen die beiden die Tütchen, die es in unterschiedlichen Größen gibt. Jede einzelne von ihnen wird vom Ehepaar Kleber oder von den zwei Angestellten im ersten Stock des Ladens befüllt. Nicht nur mit Schokonüssen, sondern auch mit Reis, Bohnen, Haferflocken, Mehl und Nudeln. Der am nächsten gelegene Lieferant ist in Babensham, sieben Kilometer hinter Wasserburg, der am weitesten entfernte in Sri Lanka. Denn Kokosflocken gibt es in Deutschland nicht. Aber dennoch: "Bio ist Mindestanforderung auch für die Inhalte", sagt Kleber. Regional kommt gleich danach.

Um die Tüten am oberen Rand mit grünem Biobaumwollfaden zu verschließen, kommt eine eigens für diesen Zweck umgebaute Nähmaschine zum Einsatz. Sie steht zwischen den vollbepackten Regalen im Lagerraum. Wie lange dieser Bastelvorgang dauert? Edna Kleber lacht. "Vielleicht eine Sekunde." Mit den Nachhältern wollen die Klebers eine Verpackung erfunden haben, die ökologisch verträglicher ist als Plastik und gleichzeitig besser mit "dem heutigen Lebensstil vereinbar ist als bei den Unverpackt-Läden", sagt Edna Kleber. Der Grundgedanke der Unverpackt-Läden, jegliches Verpackungsmaterial zu vermeiden, sei natürlich richtig. Doch wer habe ein passendes Schraubglas oder einen Eierkarton dabei, wenn auf dem Heimweg noch schnell Lebensmittel eingekauft werden?

Die Beine übereinander geschlagen, sitzt Christoph Kleber auf dem langen Tresen, auf dem bis vor zwei Jahren die alteingesessene Wasserburger Familie Kreß Dirndlkleider und Lederhosen verkauft hat. Er erklärt, wie aus Hackschnitzeln eine Tüte entsteht, wie jene in seiner Hand.

Es handelt sich um ein Viskose-Verfahren, wie es auch in der Kleidungsindustrie verwendet wird. Neben Holzabfällen und etwas Frischholz braucht es Säure und Lauge. Pro Tüte würden kaum mehr Ressourcen als die Masse von zwei Blättern Klopapier benötigt, und das Ergebnis könne nach Gebrauch entweder auf den Kompost oder ins Altpapier gegeben werden. Alternativ kann so eine Tüte auch als Ofenanzünder dienen oder in Wasser aufgelöst werden. Um das zu demonstrieren, holt Kleber ein Glas Wasser. Das Material wird sofort glitschig wie ein Gummibärchen im Wasserbad. "Aber es dauert ein paar Tage, bis es sich wirklich auflöst", sagt er. Auch trocknen kann das Material, also bräuchte man keine Angst zu haben, wenn die Tüten bei Regen auf dem Nachhauseweg kurzzeitig nass werden.

Edna Kleber steht neben ihrem Mann, ihre rosa-grüne Strickweste passt nicht nur perfekt zu seinem rosa karierten Hemd, sondern auch zum rosa-grünen Logo auf der weißen Wand hinter dem Tresen. "Bio. Logisch verpackt." steht da. Edna Kleber kommt aus Brasilien. Auf dem dortigen Bauernhof ihres Großvaters, hatten sie und ihr Ehemann vor vier Jahren beschlossen, etwas gegen die Plastikvermüllung zu tun. "Wir standen da, umgeben von Natur und haben uns gewünscht, dass all das erhalten bleibt. Wir dachten, irgendwas müssen wir tun", sagt sie. Was dieses irgendwas sein würde, war damals noch nicht klar.

In den folgenden Jahren haben die beiden fleißig recherchiert und einigen Aufwand in die Suche nach einer Idee und anschließend in ihre Umsetzung gesteckt. Keiner von ihnen hatte bis dahin etwas mit Lebensmitteln oder mit deren Verpackung zu tun: Edna studierte Regie in Sao Paolo, ihr Mann erschloss Handelsnetzwerke für einen Autokonzern. "Dass mich das nicht glücklich machen würde, wusste ich schon lange", sagt er. Sie zögert kurz, lächelt. "Na ja, vielleicht komme ich irgendwann wieder zurück zum Film", sagt sie. Erst einmal kamen zwei Schwangerschaften, gefolgt von dem Entschluss, etwas für eine plastikfreie Zukunft tun.

Einfach war das nicht. Zwar werden Kunststoffe auf Zellulosebasis, wie die Wasserburger Nachhälter, in einem Überblick über Plastikalternativen des Bundesamtes für Natur und Umwelt aus dem Jahr 2009 durchaus schon erwähnt. Aufgrund ihrer bis dato untergeordneten Bedeutung für den Markt wurden sie jedoch kaum berücksichtigt. Allerdings ist dort auch zu lesen, dass das nötige Verfahren schon seit längerem bekannt ist und dass die Vermutung besteht, diese Nischenprodukte könnten sich tatsächlich als umweltschonender herausstellen als etwa biologisch abbaubare Kunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe.

"Uns hat es gewundert, dass vor uns noch niemand auf diese Idee gekommen ist", sagt Edna Kleber und sieht ihren Mann an. Der lächelt. Das ist ihr Glück, denn mittlerweile wollen immer mehr Supermärkte in Wasserburg und Umland die Nachhälter in ihre Regale stellen. Der Online Shop läuft schon seit Anfang an gut. "Aus irgendeinem Grund schicken wir einen Großteil der Bestellungen nach Österreich", sagt Kleber, wie es zu dieser Fangemeinde gekommen ist, könnten sie sich selbst nicht so recht erklären. Wo genau sie das Material für die Verpackung herstellen lassen, wollen sie nicht verraten. Schließlich sind sie mittlerweile auch Geschäftsleute, Idealismus hin oder her.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2018
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