Umweltschutz:Als die Vögel das Feld verließen

Vögel

Vögel brauchen Insekten - und Insekten brauchen wildes Gras oder Hecken.

(Foto: Peter Bauersachs/SZ-Grafik)
  • Mehr als die Hälfte der in Bayern heimischen Vogelarten sind bedroht.
  • Ein Grund dafür ist die intensive Landwirtschaft.
  • Viele Bauern lassen an ihren Feldern kaum Raum für Insekten und Wildtiere.

Von Christian Sebald

Gleich ob Baumpieper, Erlenzeisig, Gartenrotschwanz, Neuntöter oder Raubwürger: Manfred Siering kennt alle 210 Vogelarten, die in Bayern heimisch sind, die Allerweltsvögel genauso wie die extrem seltenen und die verschollenen Arten. Siering, 71, weißes Haar, weißer Vollbart und seit vielen Jahren Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, zählt zu den versiertesten Vogelexperten im Freistaat. Der gelernte Bankkaufmann ist in der Fachwelt aber nicht nur wegen seines immensen Wissens berühmt. Sondern auch für sein extrem feines Gehör. Der Vogelkundler, der im noblen Münchner Vorort Grünwald lebt, kann so gut wie jeden heimischen Vogel an seinem Ruf identifizieren - selbst wenn der komplett verborgen in einem weit entfernten Gebüsch sitzt und sein Gesang für Normalmenschen in der allgemeinen Geräuschkulisse untergeht.

An diesem milden Frühlingsvormittag steht Siering auf einem Feldweg nahe Straßkirchen, einem Dorf im niederbayerischen Gäuboden. Um ihn herum erstrecken sich lauter Äcker. Die Böden hier zählen zu den ertragreichsten in ganz Europa. Die Landwirte bauen hauptsächlich Getreide, Kartoffeln und Rüben an. Die Schläge sind gigantisch, sie ziehen sich über viele Kilometer hinweg bis an den Horizont.

In der Vogelwelt ist seit Kurzem Balzzeit. Die Männchen werben um die Gunst der Weibchen. Überall hört man sie deshalb jetzt pfeifen, flöten oder tschilpen. Auf den Feldern nahe Straßkirchen dagegen ist alles still. Selbst Siering, der hoch konzentriert hinhört, vernimmt minutenlang keinen Vogelruf. Dann fliegen ein paar Spatzen von Straßkirchen herüber. Sie drehen aber gleich wieder ab. Auf der Straße am anderen Ende der Felder brummt ab und zu ein Auto vorbei. Ansonsten bleibt es still - gespenstisch still. "Das ist der stumme Frühling, vor dem wir seit Langem warnen", sagt Siering, "in Ackerbauregionen wie hier in Straßkirchen ist er schon Wirklichkeit, unsere heimischen Feldvögel sind komplett aus ihnen verschwunden."

Wer jetzt denkt, der Vogelkundler Siering sei womöglich ein grundsätzlich pessimistischer Mensch, der bei jeder Gelegenheit das Zugrundegehen der Natur beschwört, der irrt. Die offizielle Rote Liste für die Brutvögel in Bayern zeigt eindringlich, dass Siering recht hat. Danach geht es mehr als der Hälfte der Vogelarten im Freistaat schlecht. 113 von 210, das sind 54 Prozent, sind in einem "ungünstigen Erhaltungszustand", wie es in schönstem Wissenschaftsdeutsch in der Publikation heißt.

Besonders kritisch steht es um die Vögel der Äcker und Wiesen. "In den vergangenen 40 Jahren haben wir mehr als die Hälfte unserer Feldvögel verloren", sagt Norbert Schäffer, der Vorsitzende des Landesbunds für Vogelschutz. "Die Bestände der Feldlerchen haben sich glatt halbiert. Beim Kiebitz beträgt der Schwund mehr als 80 Prozent und bei den Rebhühnern sogar über 90 Prozent." Auch auf Wiesen und Weiden sind die Verluste dramatisch. Der Wiesenpieper und das Braunkehlchen etwa. Es ist noch nicht so lange her, dass sie sich in Scharen im Grünland getummelt haben. Nun sind sie vom Aussterben bedroht. Selbst Stare und Goldammern werden seltener.

9500 Kiebitz-Paare

leben laut aktueller Roter Liste im Freistaat. Vor 40 Jahren waren es knapp 50000. Experten rechnen damit, dass der Schwund anhält, der Kiebitz gilt als stark gefährdet. Dabei sind die Zeiten nicht fern, in denen die Vögel mit der markanten Federholle am Hinterkopf so häufig waren in Bayern, dass ihre Eier auf Bauernmärkten feilgeboten wurden.

Hauptgrund der Verluste - darin ist sich die Expertenwelt einig - ist die industrialisierte Landwirtschaft mit ihrem massiven Einsatz an Pflanzenschutzmitteln und Dünger. Sie lässt den Vögeln, aber auch den Feldhasen und anderen Wildtieren praktisch keine Lebensräume mehr. Auch dies kann man auf dem Feldweg bei Straßkirchen gut beobachten.

An manchen Feldern blüht nicht mal ein Löwenzahn

Die Bauern, so hat man den Eindruck, nutzen jeden Quadratzentimeter für den Ackerbau aus. Der grob geschotterte Fahrweg zieht sich schnurgerade durch die Landschaft, die Felder links und rechts reichen direkt an ihn heran. Auf den schmalen Randstreifen wächst kaum Gras. Und selbst das halten die Bauern so kurz, dass nicht einmal der Löwenzahn blüht. Ohne Feldblumen aber keine Insekten, und ohne Insekten haben die Vögel nichts zu fressen.

Zwischen den Äckern ist ebenfalls kein Platz für Wildtiere und Wildpflanzen. Die Getreide-, Kartoffel-, Rübenfelder grenzen direkt aneinander an. Zwischen ihnen ist kein Feldrain, kein Busch, kein Gestrüpp, keine Hecke und schon gar keine Wiese. Solche Strukturen, wie Feldraine, Büsche, Gestrüpp, Hecken oder Wiesen im Expertenjargon heißen, sind aber die Lebensräume von Wildpflanzen und -tieren. Fehlen sie, verschwindet die heimische Flora und Fauna.

Nur ein Beispiel: Braunkehlchen lassen sich zum Singen oder bei der Jagd nach Insekten, Würmern oder anderem Kleingetier auf sogenannten Ansitzen nieder, von denen aus sie einen guten Überblick über die Umgebung haben. Das können lange Schilfhalme sein, aber auch vertrocknete und verholzte Stängel der Wilden Möhre, wie sie auf Brachflächen stehen. Zur Not tut es auch ein Pfahl oder eine Staude. In der Agrarlandschaft bei Straßkirchen ist weder Platz für Schilfhalme, noch für verholzte Stängel der Wilden Möhre. Also wird man dort auch kein Braunkehlchen mehr antreffen.

Dabei geht es auch anders, wie Siering an diesem Frühlingsvormittag ebenfalls demonstriert. Das Wallersdorfer Moos liegt nur gute zehn Kilometer Luftlinie entfernt von Straßkirchen am Übergang vom Gäuboden ins Isartal. Das vormalige Moor wurde Mitte des 20. Jahrhunderts trockengelegt. Seither betreiben die Landwirte dort intensiven Ackerbau samt massivem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Die Hauptfrüchte, die sie anbauen, sind Getreide, Kartoffeln und Mais. Ganz ähnlich also wie in Straßkirchen.

Der entscheidende Unterschied zu Straßkirchen freilich ist: Im Wallersdorfer Moor setzen Bauern, Umweltverbände, Kommunen und Behörden schon seit mehr als 20 Jahren auf ein Miteinander zwischen intensiver Landwirtschaft und Naturschutz. Das heißt: Die Bauern betreiben längst nicht auf allen Flächen Ackerbau. Etwa zehn Prozent davon stehen als Lebensraum für Feldlerchen, Kiebitze, Rebhühner und Co. zur Verfügung.

Dazu wurde nicht nur Ackerland in naturnahe Wiesen zurückverwandelt. Entlang alter Entwässerungsgräben wurden außerdem Brachflächen angelegt. Anderswo wurde das Erdreich abgeschoben, sodass wieder Tümpel und Feuchtmulden entstanden sind. An den Feldrändern ziehen sich allerlei Hecken und Gehölze entlang. Selbst auf manchen Feldern lassen die Bauern Büsche stehen, zum Beispiel unter Strommasten, wo sie eh nicht ackern können.

Den Erfolg kann man buchstäblich hören, so laut rufen an diesem Vormittag die Feldlerchen, Kiebitze und anderen Feldvögel, die hier leben. Mit ein bisschen Glück kann man sogar einen Großen Brachvogel beobachten, wie er bedächtig einen Entwässerungsgraben entlangschreitet. Und überall auf den Äckern hoppeln Feldhasen herum. Auch die fehlen auf den gigantischen Äckern nahe Straßkirchen völlig.

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