Oberbayern:Wie Gift ins Blut von Karin Fraundorfer kam

Oberbayern: Karin Fraundorfer will das mit dem PFOA jetzt genau wissen.

Karin Fraundorfer will das mit dem PFOA jetzt genau wissen.

(Foto: Matthias Köpf)
  • Viele Menschen im Landkreis Altötting sind mit Perfluoroctansäure belastet.
  • Der Stoff wird meist PFOA genannt und steht im Verdacht, vor allem Hoden- oder Nierenkrebs auszulösen. Von 2020 an wird er in der EU komplett verboten.
  • PFOA wurde von 1968 bis 2003 im Chemiepark Gendorf bei Burgkirchen hergestellt.

Von Matthias Köpf, Altötting

Karin Fraundorfer ist eine von den wenigen, die es schon wissen. Sie hat sich schon im November von ihrem Hausarzt Blut abnehmen und ins Labor schicken lassen, auf eigene Kosten. Vor Kurzem ist das Ergebnis gekommen. Der Wert ist ungefähr zwölfmal so hoch wie die Konzentration, die offiziell als unbedenklich gilt. Karin Fraundorfer ist klar, dass ihr dieses Wissen eigentlich nichts hilft, und wenn sie sich bewusst macht, wie sich das anfühlt, dann kann sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Aber sie ist keine, die still weiterleiden würde. Sie isst seit 40 Jahren nur bio, lebt im Ruhestand und hat Zeit. Und sie ist eine, die es jetzt wissen will, so wie andere auch im Landkreis Altötting. Wie also ist diese Perfluoroctansäure in ihre Körper gelangt, in ihr Blut? Und warum erfahren sie das alles erst jetzt?

Der Stoff, den die meisten nur PFOA nennen und der im Verdacht steht, vor allem Hoden- oder Nierenkrebs auszulösen, wurde von 1968 bis 2003 im Chemiepark Gendorf bei Burgkirchen hergestellt. Danach ist die Firma Dyneon, eine Tochter des amerikanischen 3M-Konzerns, noch fünf Jahre lang mit den Beständen ausgekommen. Seit zehn Jahren benutzt sie andere Grundstoffe, um Beschichtungen etwa für Pfannen und Funktionskleidung herzustellen. Dass sich das Gift in der Alz gefunden hat, im Fett der Aale, in den Organen der Wildschweine im Öttinger Forst, alles das haben viele erfahren, seit Greenpeace-Aktivisten 2006 belastetes Alzwasser aufs Werksgelände zurückgeleitet hatten. Aber erst vor ein paar Monaten hat das Thema die Menschen in ihrem Innersten erreicht. In ihrem Blut.

PFOA hat sich darin schon länger angereichert. Sie wird im Körper nicht abgebaut, sondern - so die Hoffnung - über die Jahre langsam ausgeschieden. Das Wasser, das bei Fraundorfer in Marktl aus der Leitung fließt, kommt vom Brunnen in Alzgern, und der ist schon 2009 mit Filtern ausgestattet worden. Seit neun Jahren schon sollte sie also nicht mehr viel neue PFOA aufgenommen haben, und doch liegt ihr Wert so hoch.

Karin Fraundorfer und ihr Mann haben sich auch für die flächendeckenden Bluttests angemeldet, zu denen sich das Landratsamt und das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) durchgerungen haben. Sie sei "sehr gespannt, inwieweit wir dann die tatsächlichen Werte erfahren", sagt Karin Fraundorfer. Sie sieht sich von den Behörden schon bisher viel zu schlecht informiert.

Bessere Informationen wären wichtig gewesen

Andere sind ähnlicher Meinung. Ernst Spindler etwa, ein Physiker im Ruhestand aus Burghausen, kümmert sich zusammen mit Holger Lundt für den Bund Naturschutz um das Thema. Die Behörden hätten das immer kleingehalten, sagt Spindler. Absicht will er da nicht unterstellen, Fahrlässigkeit schon. Jedenfalls hätte das Landratsamt nicht nur besser informieren können, sondern auch müssen, sagt Spindler.

Die Region lebt seit Langem mit und von der Chemieindustrie. Doch die Kreisbehörde in Altötting ist in der Defensive, seit ihre Kritiker und der Alt-Neuöttinger Anzeiger im Herbst eine LGL-Studie aufgegriffen haben, die da schon fast ein Jahr unbeachtet auf der Homepage des Landkreises gestanden hatte. Demnach fanden sich in Blutspenden aus dem kleinen Emmerting PFOA-Konzentrationen, die teilweise 20-mal höher als sind als der Unbedenklichkeitswert. Einen Grenzwert hat das zuständige Umweltbundesamt allerdings weder für das Blut noch für das Trinkwasser zu bieten, obwohl der Stoff von 2020 an in der EU komplett verboten sein wird.

Schadstoffe, die schon vor Jahren freigesetzt wurden

So ein Grenzwert würde helfen, heißt es auch im Landratsamt, wo man vom Kleinhalten nichts wissen will. Im Gegenteil habe man immer transparent informiert, alles publiziert und alle Fragen "intensiv beantwortet", sagt Klaus Zielinski. Man habe oft und lange diskutiert, was die LGL-Studie für neue Erkenntnisse bringe. Für ihn seien nach wie vor "die gleichen Fragen offen wie seit Jahren".

Zielinski leitet das Büro von Landrat Erwin Schneider, der jetzt "mal den Verursachern auf die Finger klopfen" will. Dyneon greift auch für die Kommunikation auf die Dienste des Chemiepark-Betreibers Infraserv zurück. Dessen Sprecher erklärt, dass der Umgang mit PFOA stets legal gewesen ist. Dyneon habe mit der überall wachsenden Sensibilität für solche Themen im Jahr 2000 Anlagen eingebaut, welche die PFOA-Emission in Luft und Wasser um rund 90 Prozent reduziert hätten. Man kämpfe heute mit den Schadstoffen, die schon vor Jahrzehnten freigesetzt worden seien.

Oberbayern: Auch der Aushub für das Burghauser Güterverkehrszentrum ist belastet.

Auch der Aushub für das Burghauser Güterverkehrszentrum ist belastet.

(Foto: Matthias Köpf)

Infraserv selbst hat eine Studie finanziert, wonach die PFOA-Konzentration im Wasser erst etwa 2030 ihr Maximum erreichen wird. Der Chemiepark-Betreiber bezahlt auch Aktivkohlefilter für die kommunalen Wasserversorger. Für Kastl, Burgkirchen und Tüßling baut er im Forst, ein paar Hundert Meter vom Werkszaun entfernt, gerade eine Anlage, im Sommer soll sie fertig sein. Mehrere der nahen Brunnen mussten 2016 geschlossen werden, weil die Behörden den Unbedenklichkeitswert für PFOA im Wasser gesenkt hatten.

Auf lange Sicht soll es für Kastl und Burgkirchen aber neue Brunnen weiter nördlich geben, damit der Chemiepark im jetzigen Wasserschutzgebiet seine Gleisanlagen erweitern kann, sagt Kastls Bürgermeister Gottfried Mitterer. Diese neuen Brunnen werden nicht direkt in der Richtung liegen, in die der Wind den belasteten Feinstaub getragen hat. Die Fichten und Kiefern im Öttinger Forst haben das Gift regelrecht aus der Luft gekämmt. Aus dem Grund stocken bei Burghausen die Bauarbeiten für das neue Güterverkehrszentrum, weil der ausgehobene Waldboden unter Plastikplanen auf seine spezielle Entsorgung wartet.

Im Altöttinger Gesundheitsamt ist Leiter Franz Schuhbeck unterdessen mit den Blutuntersuchungen beschäftigt, die er und das LGL zunächst für überflüssig hielten, weil die Ergebnisse absehbar seien. 46 Bürger kam allein am ersten Tag zur Blutentnahme, mehr als 900 haben sich gemeldet und Termine bekommen. Einer der ersten ist Harald Ritter. Auch er fühlt sich schlecht über das Problem informiert. Daheim in Tüßling diskutierten manche heftig, vielen anderen aber sei es egal.

Das lässt sich auch von den meisten Menschen behaupten, die an dem Abend zur Blutspende beim BRK in Altötting kommen. Sie wissen auch nach dem Gespräch mit dem Arzt nicht, dass das Plasma aus dem Landkreis nicht mehr für Transfusionen an Patienten benutzt wird, sondern nur noch zur Herstellung von Medikamenten. Es sei nicht absolut auszuschließen, dass mit dem Plasma auch PFOA transfundiert werde, heißt es zur Begründung.

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