Naturschutz:Der Umweltschutz ist in Bayern am Tiefpunkt

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Nicht überall zeigt sich die Landschaft in Bayern von ihrer idyllischen Seite - zum Beispiel bei Plattling. (Foto: Sebastian Beck/oh)
  • Naturschutz gegen Gewerbegebiet - darum geht es allzu oft in Bayern. Verlierer ist dabei fast immer die Umwelt.
  • So schlimm wie derzeit sei es um den Naturschutz in Bayern seit Jahren nicht bestellt gewesen, kritisieren Umweltschützer.
  • Sie sehen die Schuld bei der Staatsregierung. Trotzdem vertrauen viele darauf, dass Umweltministerin Ulrike Scharf den Parteigranden die Stirn bietet.

Von Christian Sebald, München

Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) wählt gerne deutliche Worte. So auch auf dem letzten Neujahrsempfang ihres Hauses. Vor Hunderten Ehrengästen brach sie eine Lanze für die bayerische Heimat. "Unser Reichtum besteht nicht nur aus Gewerbegebieten", rief Scharf ihnen zu. "Er blüht auch auf unseren Wiesen und brütet in unseren Wäldern." Naturschutz sei "Pflege der Heimat".

Ihr Publikum reagierte freudig angetan. Mit so einer Ministerin müsse einem nicht bange sein, hieß es, Scharf spreize sich ein beim Artensterben, beim Flächenfraß, beim Alpenschutz und den anderen Missständen, die der Umweltszene auf den Nägeln brennen.

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Das war vor einem Jahr. Inzwischen ist es mit der Zuversicht vorbei. Unter den Naturschützern herrscht Frust. "Gleich ob Artensterben, Flächenfraß oder Alpenschutz - so schlimm wie derzeit war es um den Naturschutz in Bayern seit Jahren nicht bestellt", sagt Hubert Weiger, der Chef des Bundes Naturschutz (BN). "Das Dramatische ist, die CSU tut nichts dagegen. Im Gegenteil. Es wird alles immer schlimmer." Der Grünen-Politiker Christian Magerl, seit mehr als 30 Jahren in der Landespolitik, ist deprimiert. "Der Freistaat zieht sich immer weiter aus dem Naturschutz zurück", sagt er. "Und das obwohl die Zahl der Rote-Liste-Arten immer größer wird."

Sogar in der CSU hadern einige mit ihrer Partei - allerdings nur anonym. Der einzige, der offen mit ihr ins Gericht geht, ist der mittelfränkische Bundestagsabgeordnete Josef Göppel. "Die Stärke unserer Partei war immer ihr Wertkonservativismus", sagt er. "Zu ihm zählt aber auch wesentlich der Erhalt der Natur hier bei uns." Die Zeiten des Wertkonservativismus in der CSU seien Vergangenheit, sagt Göppel bitter. Seine Partei sei auf dem Weg zu "einer reinen Wirtschaftspartei", der Naturschutz sei zunehmend "ohne Belang".

Immer mehr Baugebiete auf der grünen Wiese

Natürlich war die CSU zu keinem Zeitpunkt eine Umweltpartei wie die Grünen. Doch hat sie in der Vergangenheit immer wieder wichtige Akzente gesetzt. So war der erste Nationalpark in Deutschland der im Bayerischen Wald. Er wurde 1970 eingerichtet. Sein Gründer war der damalige CSU-Agrarminister Hans Eisenmann. Der Freistaat war das erste Bundesland, das - ebenfalls 1970 - ein Umweltministerium etablierte.

"Die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen (...) lässt es nicht zu, den Umweltschutz heute noch von den Ministerien gesondert (...) wahrzunehmen", sagte der damalige CSU-Ministerpräsident Alfons Goppel. Auch im Landesentwicklungsprogramm - dem Masterplan des Freistaats für die gute Zukunft Bayerns - spielte der Schutz von Natur und Landschaft mehr als 30 Jahre eine zentrale Rolle. Und der 45 Jahre alte Alpenplan mit der Schutzzone C, die frei bleiben muss von Liften, Skipisten und anderen Tourismus-Einrichtungen, ist europaweit Vorbild.

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Die Zeiten, in denen Staatsregierung und CSU stolz waren auf solche Errungenschaften, sind vorbei. Als Umweltministerin Scharf unbeirrt daran festhielt, dass das Riedberger Horns verschont bleiben soll von der umstrittenen Skischaukel, wurde sie im Kabinett und in der Fraktion so derb gerüffelt, dass sie sich seither nicht mehr öffentlich zu dem Thema äußert.

Derweil arbeiten Seehofer, Söder und Kreuzer unbeirrt daran, die Vorgaben für Baugebiete auf der grünen Wiese immer weiter aufzuweichen. So wie Seehofer auch dafür gesorgt hat, dass die Landtagsfraktion mit ihrer absoluten Mehrheit das bayerische Naturschutzgesetz geändert hat, damit der Freistaat im Steigerwald ein Naturschutzgebiet aufheben konnte, gegen das CSU-Größen Sturm gelaufen sind.

Der Grund für diesen Niedergang, so heißt es in der Szene, "ist Seehofers Koalition mit den Bürgern". "Seit der Ministerpräsident sie in seiner Regierungserklärung 2013 ausgerufen hat, zieht sich die Staatsregierung immer weiter aus ihrer landespolitischen Verantwortung für ganz Bayern zurück", erklärt BN-Chef Hubert Weiger. "Entscheidungen trifft sie möglichst nur noch zusammen mit den betroffenen Kommunalpolitikern und lokalen Interessensgruppen." Nicht nur für Weiger ist das der Hauptgrund, warum der Naturschutz zunehmend auf der Strecke bleibt. "Welcher Bürgermeister verzichtet schon für den Naturschutz auf ein Gewerbegebiet?", fragt ein anderer hochrangiger Verbandsmann, "vor allem, wenn es dann die Nachbargemeinde einrichtet."

Es gibt aber noch einen Aspekt. Naturschutz ist für CSU-Politiker offenbar nicht mehr attraktiv, viele in der Partei begreifen ihn als das ureigenste Terrain der Grünen. Wenn sich Josef Göppel, der seit 26 Jahren auch Chef des CSU-Arbeitskreises Umwelt ist, im Herbst aus der aktiven Politik zurückzieht, tritt der letzte CSU-Umweltpolitiker von bundesweitem Rang ab.

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Die Zeiten sind vorbei, in denen führende CSU-Leute wie selbstverständlich auch dann eine Affinität zum Naturschutz hatten, wenn er nicht ihr vorrangiges Arbeitsgebiet war. Der langjährige CSU-Fraktionsvorsitzende Alois Glück, dessen Fokus auf der Sozialpolitik lag, war so einer. Der heutige Chef der Landtags-CSU, Thomas Kreuzer, soll intern schon dann seinem Verdruss über den Naturschutz freien Lauf lassen, sowie das Wort "Nationalpark" fällt.

In dieser Gemengelage erscheint Seehofers Versprechen, einen dritten Nationalpark in Bayern einzurichten, in einem hauptsächlich wahltaktischen Licht. "Seehofer hat erkannt, dass sich die CSU mit ihrer Missachtung des Naturschutzes keinen Gefallen tut", sagt einer, der den Ministerpräsidenten gut kennt. "Schließlich hat der Naturschutz eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung." Um diese "offene Flanke" für die bevorstehenden Wahlkämpfe zu schließen, hätten Seehofers Leute etwas gesucht, was sie dem Unmut der Naturschutzszene entgegensetzen können. "Dabei kam der dritte Nationalpark heraus", sagt der Mann, "konzeptionelle Überlegungen haben keine Rolle gespielt."

Die fachliche Arbeit muss jetzt Umweltministerin Scharf erledigen. Die 49-jährige Diplomkauffrau hat es sehr schwer in der CSU. Das hat viel damit zu tun, dass sie dem Landtag erst seit 2013 angehört und wenig Hausmacht in der Fraktion hat. Außerdem war sie bis zu ihrer Berufung im September 2014 fachlich unbeleckt - in der CSU erzählen sie sich bis heute, dass Scharf ihr Amt ihrer Freundschaft mit Wirtschaftsministerin Ilse Aigner verdanke.

Dafür hat sich Scharf umso schneller den Respekt der Umweltverbände erworben. Und zwar nicht nur, weil sie sich bei Neujahrsempfängen klar gegen den grassierenden Flächenfraß und andere Naturfrevel positioniert. Sondern weil sie sogar so mächtigen Parteifreunden wie Heimatminister Söder die Stirn bietet. An diesem Dienstag ist es wieder so weit. Dann richtet Scharf in München ihren Neujahrsempfang aus. In der Naturschutzszene hoffen sie sehr auf ein Zeichen, dass die Umweltministerin weiter fest zu ihnen steht.

© SZ vom 30.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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