Umstrittener Kampfsport MMA:Schläge bis zum Tabubruch

Perverser Zirkus oder sportliches Kräftemessen? Dem Kampfsport "Mixed Martial Arts" haftet der Ruf an, ein Sammelbecken für gewaltliebende Schläger und blutgierige Zuschauer zu sein. Die Befürworter halten bei der EM in Aschaffenburg dagegen.

Niklas Nau

Kaum fünf Sekunden sind vergangen, schon liegen die beiden muskelbepackten Kontrahenten am Boden. Kristian "Kiki" Ozimec landet mit seinem ganzen Gewicht auf Benjamin Nüßle. Nun beginnt ein hartes Ringen um jeden Zentimeter Raum. Die beiden setzen den gesamten Körper als Waffe ein. Faustschläge von oben, Stöße mit der Schulter und der Druck des Körpers machen den unten liegenden Gegner mürbe, der windet sich immer wieder aus gefährlichen Positionen.

Umstrittener Kampfsport MMA: Kristian Ozimec versucht seinen Gegner am Boden mit Schlägen zu bearbeiten. Für Gegner des Mixed Martial Arts ist das rohe Gewalt.

Kristian Ozimec versucht seinen Gegner am Boden mit Schlägen zu bearbeiten. Für Gegner des Mixed Martial Arts ist das rohe Gewalt.

(Foto: Niklas Nau)

Der Kampf der beiden ist die einzige Profibegegnung, und eines der Highlights bei der Shooto-EM der Amateure in Aschaffenburg. Shooto ist eine Form des Mixed Martial Arts (MMA), der "gemischten Kampfkünste". Hier treffen Elemente aus verschiedenen Kampfsportarten aufeinander. Die Idee ist nicht neu. Schon in der Antike maßen sich Kämpfer aus verschiedenen Disziplinen wie Ringen und Boxen untereinander. Pankration nannte sich diese olympische Disziplin, in der außer Beißen, Angriffen auf die Augen und Finger in die Nasenlöcher bohren alles erlaubt war. Heute ist der Sport weitaus reglementierter, ein Ringrichter und ein Arzt überwachen jeden Kampf.

Dieses Mal sind Kämpfer aus ganz Europa angereist, um den Titel des Europameisters zu erringen. Gekämpft wird nicht nur im Stehen, sondern auch am Boden. Schlagen ist den Amateuren dort zwar verboten. Bodenkampfspezialisten aber kennen andere Möglichkeiten, den Gegner zur Aufgabe zu zwingen. Ein unvorsichtig vom Körper gestreckter Arm wird gepackt, am Boden oder eng am eigenen Körper fixiert und dann langsam bis zur Schmerzgrenze überstreckt oder verdreht. Mit Würgetechniken wie dem Mata León, dem Löwentöter, wird dem Gegner die Blutzufuhr am Hals unterbrochen. Wer nicht bewusstlos werden will, muss abklopfen - und gibt damit auf.

Bei den Profis gibt es weniger Beschränkungen als bei den Amateuren. Sie tragen keinen Kopfschutz oder Schienbeinprotektoren, nur Handschuhe, Mund- und Unterleibsschutz. Für sie heißt es "Ground and Pound" - am Boden darf der Gegner weiter geschlagen werden, auch ins Gesicht. Wer hier oben liegt, kann mit der vollen Wucht seinen Körpergewichts nach unten schlagen. Wer sich aus dieser Position nicht schnell befreien kann oder den Gegner geschickt kontrolliert, ist nach Sekunden im Schlaghagel bewusstlos. Kritiker des Sports stoßen sich vor allem an dieser Brutalität.

Kristian Ozimec liegt auf seinem Gegner, aber der klammert sich eng an ihn und versteckt seinen Kopf gut vor den Schlägen. Mit einer schnellen Hüftbewegung schafft er es schließlich den Spieß umzudrehen und Ozimec auf den Rücken zu werfen. "Benni, Benni" -Schreie schallen von der Tribüne. Aus den Ecken am Ring rufen die beiden Trainer ihren Schützlingen ununterbrochen Anweisungen zu und übertönen das Brüllen der Menge nur knapp.

Ozimec hat sich aus seiner Position befreien können. Beide Kämpfer stehen wieder, aber Sekunden später hat Ozimec Nüßle wieder zu Boden gebracht und setzt mit einem spektakulären Schlag ins Gesicht nach. Er springt an den zur Verteidigung ausgestreckten Beinen seines Gegners vorbei und trifft ihn noch im Flug, bevor er krachend neben ihm landet. Im Aufstehen setzt er noch einen harten Treffer zum Kopf. So hat er es davor mit seinem Trainer abgesprochen. Zwei oder drei harte Schläge, dann wieder weg.

Die Sportart ist umstritten. Boxkommentator Werner Schneyder nannte die Kämpfe in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen "perversen Zirkus", den es zu verbieten gelte. Auch in den Landtagen der Republik wird immer wieder über ein Verbot nachgedacht.

Aus dem Fernsehen verbannt

Gegner der "Käfigkämpfe", wie sie gerne bezeichnet werden, führen die Verletzungsgefahr für die Kämpfer ins Feld. Die Bundesärztekammer sprach sich 2010 für ein Verbot aller "Ultimate-Fighting"-Veranstaltungen und der TV-Übertragung in Deutschland aus, da "deren Ziel - anders als in allen Kampfsportarten - offen und ausschließlich die Verletzung des Gegners an Körper, Gesundheit und Leben" sei. Regelmäßig komme es zu schwersten Verletzungen des Kopfes oder innerer Organe, vielfach sogar zu Todesfällen. Diese Aussagen widerrief die Kammer aber später in einer Unterlassungserklärung gegenüber dem Veranstalter der Kämpfe.

Der Ringarzt in Aschaffenburg, selbst kampfsportbegeistert, winkt ab: "Jeder Boxkampf ist gefährlicher." Zu einem ähnlichen Schluss kam auch eine Studie in den USA, wo MMA den Boxsport an Popularität schon überholt hat. Wissenschaftler in Nevada beobachteten, dass die Verletzungsrate beim MMA in etwa auf dem Niveau anderer Kampfsportarten liege, die Gefahr einer Hirnschädigung beim Boxen wahrscheinlich sogar höher sei.

An einem anderen Punkt aber stoßen sich die Kritiker des Sports besonders: Es darf auch am Boden zugeschlagen werden, für viele ein Tabubruch. Denn wer am Boden liegt, gilt als wehrlos.

Stimmt nicht, meinen die Befürworter. Unzählige Möglichkeiten gebe es im Bodenkampf, von simplen Schlägen bis zu komplizierten Hebeln, bei denen kleinste Unterschiede im Bewegungsablauf über Gelingen oder Scheitern entscheiden. Jede Gewichtsverlagerung, jede Veränderung der eigenen Position, jede technische Finesse würde über Jahre austrainiert und perfektioniert. Nur wer nicht verstehe, was am Boden passiert, sehe zwei Kämpfer, die aufeinander einprügelten. Tatsächlich aber sei sehr genau geregelt, was erlaubt sei und was nicht. Sobald ein Kämpfer tatsächlich wehrlos sei, würde der Kampf vom Ringrichter abgebrochen. Außerdem könne jeder Kämpfer durch "abklopfen" am Boden sofort aufgeben.

Ein Gericht in Hessen sah das ähnlich und kippte dort schon einmal das Verbot einer Veranstaltung. Viele offizielle Stellen in Bayern aber sind anderer Meinung. Im Jahr 2010 ließ die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) die Ausstrahlung des vielleicht bekanntesten MMA-Events, der amerikanischen Ultimate Fighting Championship, im Deutschen Sportfernsehen unterbinden. Die Begründung: Das Grundgesetz verbiete den Medien die Verherrlichung von Gewalt. Gewalt gegen am Boden liegende Gegner sei ein Tabubruch und nicht mit den Richtlinien des Rundfunks vereinbar. Weil die Regeln im Fernsehen nicht erläutert würden, sei außerdem die Wirkung auf den Zuschauer noch mal problematischer, so BLM-Präsident Siegfried Schneider.

"Es geht nicht um Hass"

Auch das Kreisverwaltungsreferat München zieht eben bei jenen Schlägen und Tritten am Kopf die Grenze. Wer in München Kämpfe veranstalten will, darf diese Techniken nicht erlauben. Zu groß sei die Gefahr, dass Zuschauern - insbesondere labilen Jugendlichen - das Bild vermittelt würde, einen am Boden liegenden Gegner zu schlagen, sei in Ordnung.

Peter Angerer, der Veranstalter der Shooto-EM und Präsident von Shooto Germany, hatte keine Probleme damit, die Veranstaltung zu organisieren. Das Event fand in einer privaten Halle statt und war deswegen nicht genehmigungspflichtig, erklärte die Stadtverwaltung Aschaffenburg.

Die Kämpfer können viele der Vorwürfe nicht verstehen. "Es geht nicht um Hass oder Schmerzen, es geht wie in jedem Sport darum, dass ich mich messen möchte", sagt Kristian Ozimec. Sein Trainer Johannes Wieth, selbst ein international erfolgreicher Bodenkämpfer, meint: "Die Leute sehen nicht, was für ein Trainingsaufwand und für eine Lebensphilosophie hinter dem Ganzen steht, sie sehen nicht, wie sich die Kämpfer hinter den Kulissen respektieren. Es gibt immer schwarze Schafe, die dem Sport einen schlechten Ruf bescheren. Über kurz oder lang wird sich MMA aber durchsetzen."

Im Ring in Aschaffenburg wird es brisant. Ozimec trifft seinen Gegner mit einem leichten Schlag am Kopf, aber der verliert auf dem rutschigen Ringboden den Halt und knallt auf die Bretter. Schon im Fallen hat Ozimec zu einem Tritt angesetzt. Im letzten Moment aber zieht er das Bein zurück. Er geht neben Nüssle in die Knie, die Faust zum Schlag geballt. Sein Kontrahent hat sich weggedreht, die Hände an den Kopf gelegt. Ozimec zögert noch immer, blickt fragend zum Ringrichter. Der Kampf wird unterbrochen, der Arzt betritt den Ring.

Doch schließlich kann es weitergehen, und nach einer harten Auseinandersetzung gewinnt Nüßle den Kampf mit einem Schulterhebel - auch wenn viele den Sieg bei der Unterbrechung schon Ozimec zugesprochen hätten.

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