Umstrittener Einsatz in Passau:"Der Polizist hat mich auf den Teer geschmettert"

Siegfried Bauer soll von Polizisten schlimm zugerichtet worden sein: Der Passauer Augenarzt berichtet, dass zwei Beamte ihn vom Rad gerissen und später so auf den Boden geschleudert hätten, dass er bewusstlos geworden sei. Mehrere Zeugen bestätigen seine Version. Doch die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen ein.

Dietrich Mittler

Zunächst dachte Annette R. aus Fürstenzell an eine Faschingsschlägerei, als sie nachts in Passau auf der gegenüberliegenden Straßenseite miterlebte, wie ein dunkel gekleideter Mann einem Radfahrer hinterherrannte und nach ihm griff. "Der hat ihn abrupt gepackt und ohne Vorwarnung vom Rad zu Boden gerissen - mit vollster Brutalität", sagt sie.

Umstrittener Einsatz in Passau: Siegfried Bauer wurde von Passauer Polizeibeamten angeblich schlimm zugerichtet.

Siegfried Bauer wurde von Passauer Polizeibeamten angeblich schlimm zugerichtet.

(Foto: privat)

Erst kurz darauf bemerkte die 50-Jährige, dass es sich bei dem Verfolger um einen Polizisten handelte, der von einem Kollegen unterstützt wurde. Ihre Beobachtungen im Frühjahr 2011 teilte Annette R. als Zeugin auch der Staatsanwaltschaft Passau mit, doch die hat nun das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Beamten eingestellt. Begründung: Straftaten seien den Beschuldigten "nicht mit der für eine Anklageerhebung zu fordernden Sicherheit nachzuweisen".

Weiterhin ermittelt wird indes gegen den Radfahrer, den Passauer Augenarzt Siegfried Bauer - ihm werden sowohl Widerstand gegen Vollzugsbeamte als auch Körperverletzung vorgeworfen. Bauer spricht von einem Skandal. "Der Beamte hat mich auf den Teer geschmettert, unfassbar. Ich - aber auch er - können froh sein, dass ich noch lebe", sagt er. Mittlerweile lässt sich Bauer vom Münchner Anwalt Hartmut Wächtler vertreten - wie jene Familie, die in Schechen bei Rosenheim von Zivilbeamten mit äußerster Härte angegangen wurde.

Parallelen zu einem Fall in Rosenheim

Dass auch die Ermittlungen gegen die Rosenheimer Beamten eingestellt wurden, gegen die betroffene Familie aber ein Strafverfahren läuft, ist laut Bauer eine Absurdität unter vielen: "Hundert Prozent der Polizeianzeigen werden vor Gericht verhandelt, Bürgeranzeigen gegen Polizeibeamte hingegen werden zumeist eingestellt", behauptet er.

Annette R. ist nicht die einzige Zeugin des Vorfalls. Eine weitere Frau gab an, der Polizist habe den Radfahrer gepackt, umgeworfen und sich, als er am Boden lag, auf ihn gekniet. Ihr Eindruck von diesem Polizeieinsatz: "Übertrieben."

Eine dritte Zeugin bekam von ihrem Auto aus nur mit, dass der Radfahrer, der sich offenbar entfernen wollte, plötzlich samt Rad am Boden lag. Ein Polizist habe dann auf ihm gekniet und dessen Arm nach hinten gebogen. Ihre Mitfahrerin wiederum will gesehen haben, wie der Polizist den Radler gepackt und zu Boden geworfen hat.

Annette R. ist immer noch schockiert von diesem Vorfall. "Der Radler hat mehrmals geschrien: ,Ich wehre mich nicht, ich wehre mich nicht!' Aber keiner der Beamten hat auch nur Anstalten gemacht nachzuschauen, ob er sich bei dem schweren Sturz - er war ja doch relativ schnell unterwegs - verletzt hat." Stattdessen habe man ihn hochgezerrt "und wie ein Schlachtvieh oder so eine Mülltüte ins Auto" geworfen.

Laut Bauer war damit sein Martyrium aber noch nicht zu Ende. Er sei von den Beamten zur Polizeiinspektion Passau gebracht worden. Als er verlangt habe, dass man ihn in ein Krankenhaus bringe, sei er brutal aus dem Auto gezerrt und zu Boden geschleudert worden. Er sei erneut mit dem Kopf aufgeprallt und daraufhin bewusstlos geworden.

Der Augenarzt spricht von "Opferverhöhnung"

Aus Sicht der Beamten stellt sich der Fall indes ganz anders da. Bauer habe sich bewusst einer Personenkontrolle entzogen. Er habe - nachweislich alkoholisiert - eine rote Fußgängerampel missachtet, sei der Aufforderung, sofort anzuhalten, nicht nachgekommen, sondern einfach weitergefahren. Er sei auch keineswegs vom Rad geschubst, sondern erst zu Boden geworfen worden, nachdem er sich immer wieder dem Zugriff entwunden und wie wild um sich geschlagen habe.

Im Polizeifahrzeug habe er mit seinen Beinen die Tür blockiert und sich im Hof der Polizeiinspektion so heftig widersetzt, dass einer der Beamten mit ihm umgefallen sei und sich dabei selbst am Knie und an der Hand verletzt habe.

Der ermittelnde Staatsanwalt hält die Aussagen der zwei Beamten für glaubwürdig. "Soweit seitens der Zeuginnen ausgeführt wird, sie seien über die Brutalität des Polizeieinsatzes entsetzt gewesen, mag dies auf die Unkenntnis des Gesamtgeschehens zurückzuführen sein", heißt es im Einstellungsbescheid. Allein Bauers mangelnde Bereitschaft, den Weisungen der Beamten zu folgen, habe zum Einsatz von Zwangsmitteln geführt.

Bauer habe selbst angegeben, er sei mit dem Fahrrad davongefahren, weil er eventuellem Ärger aus dem Weg gehen wollte. Zudem seien die Aussagen der Zeuginnen nicht widerspruchsfrei. Das gelte auch für jene Aussage Bauers, der Beamte, der ihn massivst misshandelt habe, sei auf dem Beifahrersitz gesessen.

Nach Angaben der Polizisten lenkte der Hauptbeschuldigte das Streifenfahrzeug. Alles in allem will der Staatsanwalt auch nicht ausschließen, dass sich Bauer "einen Teil der Verletzung (etwa Ausreißen eines Haarbüschels) selbst zufügte, um diese Verletzungen dem Beschuldigten nachfolgend anzulasten".

Für den Augenarzt grenzt das an "Opferverhöhnung". Aus seiner Sicht gibt es Ungereimtheiten: Der Hof der Polizeiinspektion ist zwar videoüberwacht - doch es gibt keine Aufzeichnungen, auch konnte in der Polizeiinspektion keiner als Zeuge "zum Tatgeschehen Auskünfte geben", wie es im Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft heißt.

Bauer fing an zu recherchieren und will dabei herausgefunden haben, dass einer der Polizisten bereits als gewalttätig aufgefallen ist. Aber in der Ermittlungsakte gegen den Beamten sei kein Auszug aus dem Strafregister zu finden.

Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Passau wird kein "Auszug aus dem Bundeszentralregister eingeholt, wenn ein Staatsanwalt davon ausgeht, dass der Betroffene nicht tatverdächtig ist". Bauer indes gibt noch nicht auf. Sein Anwalt hat Widerspruch gegen den Einstellungsbescheid eingelegt.

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