Umbau des G 8:Seehofer erfindet Flexi-Gymnasium

Bayern will das achtstufige Gymnasium umbauen: Ein zusätzliches, freiwilliges Lernjahr in der Mittelstufe soll den Druck von den Schülern und der Staatsregierung nehmen. Elternvereinigung und Philologen sind zufrieden, die Opposition spricht von einer unausgereiften Idee.

Sarah Ehrmann, Frank Müller und Johannes Süssmann

Die bayerischen Gymnasien stehen vor einer einschneidenden Reform: In der letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause beschloss die schwarz-gelbe Koalition am Dienstag den Umbau des achtstufigen Gymnasiums (G8).

SPD warnt vor G8-Schnellschuss

Reformen geplant: Das achtjährige Gymnasium soll verbessert werden.

(Foto: dpa)

Kern der Reform ist das zusätzliche freiwillige Lernjahr, das Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) in die Mittelstufe zwischen achter und zehnter Klasse einbauen will. Es soll individuelle Förderung ermöglichen und von den Schulen selbst organisiert werden. Neu ist der Name: Es wird "Flexi-Jahr" heißen, Spaenle hatte bisher von einem "Intensivierungsjahr" gesprochen. Außerdem soll es einen entrümpelten Lehrplan geben, den das Kultusministerium an diesem Mittwoch vorstellen will.

Damit ist auch klar, dass die Schulen noch einmal zusätzliche Planstellen bekommen. Finanzminister Markus Söder (CSU) sagte nach der Sitzung, es sei "vereinbart, dass es auf jeden Fall ein Plus an Lehrerstellen geben muss". Im Haushalt für die Jahre 2013 und 2014, den das Kabinett ebenfalls beschloss, "sind sicherlich noch Möglichkeiten drin", sagte Söder. Dies sei auch nötig, damit die Reform landesweit umgesetzt werden könne. Details wollte Söder nicht nennen, im Gespräch sind aber mehrere hundert Lehrerjobs. Das Thema werde im September spruchreif, wenn der Etat im Landtag beraten wird, sagte Söder.

Bei der neuen G8-Reform hatte vor allem Ministerpräsident Horst Seehofer selbst aufs Tempo gedrückt. Er will im Wahlkampf der SPD in der Bildungspolitik die Angriffspunkte nehmen und hatte sich deswegen selbst eingeschaltet. Spaenle zeigte sich nach der Sitzung zufrieden mit den Beschlüssen. Die Koalition habe seine Ideen vorangebracht und umgesetzt, sagte er.

Allerdings hatte Seehofer in der Vorbesprechung zur Kabinettssitzung noch einmal Druck gemacht, wie Teilnehmer berichteten. Das Projekt dürfe nicht an Fehlern im Kultusministerium scheitern, habe Seehofer gewarnt. Im Kabinett wurde dies teils als Warnung an Spaenle gewertet, der sich dagegen nicht gewehrt habe, teils aber auch als motivierender Appell.

"Unausgereifte Ideen"

Die Opposition sieht die Reformpläne, die in einem Treffen von Lehrer-, Eltern- und Schülervertretern mit dem Kultusminister und Bildungspolitikern der Koalition bei Seehofer festgezurrt worden sind, kritisch: "Ich glaube nicht, dass sich die unausgereiften Ideen aus dem Bildungsministerium dadurch verbessern, dass der Ministerpräsident ein Machtwort spricht", sagte Thomas Gehring, bildungspolitischer Sprecher der Grünen.

Seiner Meinung nach hätte das Staatsministerium das Thema G8 einfach gerne vom Tisch - "aber ich bezweifele, dass das so funktioniert". Allein, dass das Flexi-Jahr in wenigen Monaten dreimal den Namen gewechselt habe, - erst Intensivierungsjahr, dann individuelle Lernzeit - zeige das Problem einer inhaltlichen Definition.

Lehrer und Eltern zufrieden

Künftig soll es so sein, dass der Schüler, der eine Klasse wiederholt, bereits bestandene Fächer wie Geografie, Geschichte oder Kunst ablegen kann, um mehr Zeit für Fächer zu haben, in denen er noch Schwierigkeiten hat. Gehring erscheint das in der Praxis schwer umsetzbar: "Wie soll das gehen? Die Mittelstufe ist nicht als Kurssystem, sondern als Klassenverband aufgebaut, man kann nicht einfach Mathe mit der Klasse und Deutsch dann mit anderen Schülern besuchen." Wichtiger sei eine neue Lern- und Unterrichtskultur.

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Martin Güll sagte zum Flexi-Jahr: "Das ist ein besseres Wiederholungsjahr ohne wirkliches pädagogisches Konzept." Auch frage er sich, mit welchen Lehrerstellen das zusätzliche Jahr in den staatlichen Gymnasien gestemmt werden solle. Städtische und private Schulen müssen ohnehin selbst dafür aufkommen, wenn sie ein Flexi-Jahr wollen.

Spaenle wies die Kritik an der G8-Reform zurück: "Das bayerische Gymnasium ist damit für die Zukunft gut aufgestellt", sagte er. Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands, erkennt nach dem Treffen mit Seehofer "deutliche Nachbesserungen" seitens der Landesregierung. Die bereitgestellten Mittel kämen der Umsetzung des Flexi-Jahres wie der integrierten Lehrerreserve gleichermaßen zugute.

Zum Frühwarnsystem gehört ein Rettungssystem

Beim "Frühwarnsystem" für potentielle Sitzenbleiber sieht der Funktionär Schüler und Eltern in der Pflicht: "Zum Frühwarnsystem gehört zunächst ein Rettungssystem; und dann gehört dazu einer, der gerettet werden will." Wie die Reformen verliefen, werde sich im Juli 2013 zeigen.

Die Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern ist zufrieden mit den ausgehandelten Reformen. "Jetzt sind wir hoffnungsvoll, dass wir die nötigen Ressourcen bekommen - aber die Bemühung des Ministers, die Schüler mitzunehmen, ist da", sagte die Vorsitzende Susanne Arndt. Glücklich sei die Vereinigung über die Verzahnung von Beratung und Maßnahmen im Frühwarnsystem.

Der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, Max Schmidt, hält die Idee hingegen für nicht finanzierbar, wenn es "zu einem staatlichen Nachhilfesystem wird". Über die Lehrplanverschlankung was fremdsprachige Literatur angeht, ist er irritiert: "Ich halte es für nicht richtig, dass man bei der Schullektüre nur noch das Inhaltsverzeichnis und drei Szenen liest." Das sei schlicht nicht gymnasial. In diesem Fall setzt der Vorsitzende der Bayerischen Direktorenvereinigung, Karl-Heinz Bruckner, auf die Eigeninitiative der Schüler. Wenn der Lehrer eine interessante Lektüre auswähle, sollten die Schüler sie freiwillig zu Ende lesen.

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