Übersetzer:So wichtig waren die Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen

Übersetzer: Der amerikanische Armeefotograf Ray D'Addario dokumentierte den Verlauf des Nürnberger Prozesses. Die anspruchsvolle und fordernde Arbeit der Dolmetscher und Übersetzer beachtete er dabei besonders.

Der amerikanische Armeefotograf Ray D'Addario dokumentierte den Verlauf des Nürnberger Prozesses. Die anspruchsvolle und fordernde Arbeit der Dolmetscher und Übersetzer beachtete er dabei besonders.

(Foto: Marco Einfeldt)

Ohne sie wäre das Tribunal nach dem Zweiten Weltkrieg womöglich erst Jahre später zu Ende gegangen. Eine Ausstellung in Landshut gibt Einblicke in die belastende Arbeit der Übersetzer.

Von Hans Kratzer

Von dem führenden Nationalsozialisten Hermann Göring, der beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess unbestritten die Nr. 1 der Hauptangeklagten war, ist ein bezeichnender Satz dokumentiert. "Ich brauche keinen Rechtsanwalt", sagte er, "ich habe nie etwas mit Anwälten zu tun gehabt, sie würden in diesem Prozess nichts nützen. Was ich wirklich brauche, ist ein guter Dolmetscher."

Tatsächlich spielten die Dolmetscher beim Nürnberger Prozess eine eminent wichtige Rolle, auch wenn sie in der Regel nur als Nebendarsteller dieses welthistorischen Ereignisses gehandelt werden. Das Thema Dolmetschen beim Nürnberger Prozess wird zurzeit in einer Ausstellung in Landshut beleuchtet, die, obwohl zu diesem Thema alles gesagt und geschrieben zu sein scheint, dennoch manche Überraschungen bietet.

Greifen wir nur einmal das damals mit Spannung erwartete Duell zwischen Chefankläger Robert H. Jackson und Hermann Göring auf, das aufgrund eines Übersetzungsfehlers für den Amerikaner zu einer ärgerlichen Pleite werden sollte. Bei der Eröffnung der Ausstellung in Landshut schilderte Theodoros Radisoglou vom Bund Deutscher Übersetzer, wie Jackson Göring zunächst mit der Militarisierung und Vorbereitung des Krieges belasten wollte. Er legte dazu ein Dokument vor, in dem von der "Vorbereitung der Befreiung des Rheins" die Rede war (in englischer Übersetzung: "preparation for the liberation of the Rhine").

Göring aber schlug sofort zurück und wies darauf hin, dass sich dies auf den Fluss Rhein und nicht auf das Rheinland bezogen habe und dass das deutsche Wort fälschlicherweise mit "Liberation" übersetzt worden sei, während tatsächlich von "Freimachung" (clearing) die Rede gewesen sei.

Bei diesem Jahrhundertprozess ist buchstäblich um jedes Wort gerungen worden. Den vier Siegermächten war von vornherein klar, dass die Sprache den Nürnberger Prozess im juristisch-taktischen Sinn prägen werde wie noch keinen Prozess davor. Dieses Ereignis markiert deshalb die Geburtsstunde des modernen Dolmetschens, insbesondere des Simultandolmetschens. Zum ersten Mal überhaupt waren in einer Gerichtsverhandlung Dolmetscher in großem Umfang zugelassen.

Immerhin musste alles Gesagte in vier verschiedene Sprachen - Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch - übersetzt werden. Für die Kommunikation zwischen Richtern, Anklägern, Angeklagten, Verteidigern, Zeugen, Sachverständigen und Presseleuten wurde eine speziell entwickelte Simultananlage verwendet. Mithilfe von Mikrofon und Kopfhörer arbeiteten die Dolmetscher erstmals simultan, sie hörten und sprachen also gleichzeitig - eine intellektuell höchst anspruchsvolle Leistung.

Ein kluger Schachzug von Amerikanern und Briten

Die in der Ausstellung gezeigten Fotografien aus den Jahren 1945 und 1946 belegen diese Anspannung und geistige Herausforderung auf ebenso eindrückliche Weise wie die gesamte Prozessatmosphäre. Die Bilder stammen von dem amerikanischen Armeefotografen Ray D'Addario (1920-2011), der das Talent besaß, den Charakter der abgebildeten Personen - seien es Richter, Ankläger, Rechtsanwälte oder Angeklagte - punktgenau zu treffen. Dazu kommt, dass D'Addarios Kodakfilme, obwohl sie damals zum Teil schon abgelaufen waren, ihre Farbbrillanz bis heute erhalten haben.

Eines dieser Fotos zeigt zum Beispiel die Besetzung der Richterbank, die belegt, dass damals alle Tricks und Finessen angewendet wurden. So saßen in der Mitte die zwei englischen und die zwei amerikanischen Richter, außen rechts die Russen und links die Franzosen. Es wird also deutlich, dass die angloamerikanischen Richter jederzeit in ihrer Sprache miteinander kommunizieren und so spontan den Prozessablauf beeinflussen konnten. Es war ein durchaus kluger sprachlicher Schachzug bei der Besetzung der Richterbank.

Für die vier Arbeitssprachen gab es drei Teams mit je zwölf Dolmetschern. In einer Kabine saßen je drei Dolmetscher. Darüber hinaus konnten die Dolmetscher mit Hilfe verschiedenfarbiger Glühbirnen den Rednern signalisieren, langsamer zu sprechen, etwas zu wiederholen oder gar gänzlich abzubrechen. Ein Problemfall war Fritz Sauckel, der unter Hitler von 1942 bis 1945 Generalbevollmächtigter für die Zwangsarbeit war. Er sprach ein sehr schlechtes Deutsch, war für die Dolmetscher kaum zu verstehen und glaubte bis zuletzt, er sei wegen eines Übersetzungsfehlers zum Tode verurteilt worden.

Für die Dolmetscher bedeutete der Prozess bisweilen auch eine große psychische Belastung. Eine junge Dolmetscherin, die kurz zuvor die Gräueltaten der Deutschen in ihrer Heimatstadt erlebt hatte, bat beispielsweise um die Versetzung aus dem Kabinendienst, weil die Schilderung der Nazi-Untaten ihre schrecklichen Erfahrungen zu stark ins Gedächtnis zurückrief.

Als Zeuge beim Prozess trat auch Paul Otto Schmidt (1899-1970) auf, der bis 1945 als Chefdolmetscher für Hitler tätig war. Er wartete in der Zelle im Zeugenflügel des Nürnberger Gefängnisses manchmal wochenlang darauf, als Zeuge vernommen zu werden. Nach dem Krieg wurde er "entlastet", 1952 gründete er das renommierte Sprachen- und Dolmetscher-Institut (SDI) München.

Interessant ist seine Aussage im Zeugenstand, den Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop betreffend. Im Kreuzverhör mit dem britischen Ankläger Maxwell-Fyfe bestätigte Schmidt, dass die Ziele der Nazi-Führung von Anfang an auf einen Angriffs- und Eroberungskrieg ausgerichtet waren. Der Nürnberger Prozess hätte ohne das Simultandolmetschen einige Jahre länger gedauert. Vielleicht wäre er nie zu Ende gegangen, denn danach begann der Kalte Krieg.

Ausstellung "Dolmetscher und Übersetzer beim Nürnberger Prozess", Rathausfoyer und Kleine Galerie der Stadt Landshut. Dienstag bis Sonntag 14-18 Uhr, Samstag 11-18 Uhr, bis 26. März.

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