Kunst:Erinnerungen an den letzten Sozi

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Künstlerische Arbeiten des früheren SPD-Landtagsabgeordneten Gustav Starzmann in der Galerie des Gasthauses „D‘Feldwies". (Foto: Sebastian Beck)

Am Chiemsee beleuchtet eine Ausstellung unbekannte Seiten des 2023 verstorbenen SPD-Landtagsabgeordneten Gustav Starzmann – als Künstler und Brieffreund von Oskar Maria Graf.

Von Sebastian Beck

Vielleicht hätte der junge Gustav Starzmann doch besser auf Oskar Maria Graf hören sollen. Der warnte den Studenten aus Bad Reichenhall in einem Brief ausdrücklich vor einer Mitgliedschaft in der SPD: „Sie werden dort sehr große Enttäuschungen erleben“, schrieb ihm der Schriftsteller in den Sechzigerjahren aus New York. Starzmann aber hörte nicht auf den weisen Rat und ging trotzdem zur SPD.

Für die Partei saß Starzmann dann 21 Jahre lang im bayerischen Landtag, von 1982 bis 2003. Phänotypisch hätte der Dialektsprecher mit seiner Trachtenjoppe jederzeit einen Abgeordneten der CSU abgegeben, zumal er obendrein auf die Jagd ging und seine oberbayerische Heimat liebte. Für die bayerische SPD, in der Durchschnittlichkeit zu den wichtigsten Qualifikationsmerkmalen zählt, waren das ein paar Eigenschaften zu viel. Starzmann galt unter den Genossen im Landtag als Konservativer, als königlich bayerischer Sozialdemokrat. Und so fristete der versierte Agrarexperte und scharfe Redner ein Dasein in der zweiten Reihe.

Man könnte sein Politikerleben als tragisch und unvollendet bezeichnen, weil er einen besseren Landwirtschaftsminister abgegeben hätte als diejenigen von der CSU. Nicht einmal in den SPD-Fraktionsvorstand schaffte er es. Damit täte man Gustav Starzman aber unrecht. Der Mann führte ein ausgefülltes Leben, vor allem nach dem Ende seiner politischen Laufbahn. In Übersee am Chiemsee erinnert derzeit eine Ausstellung an die andere Seite des Vermessungsingenieurs und SPD-Politikers Starzmann, der am 23. März 2023 im Alter von 78 Jahren starb.

Gustav Starzmann saß für die SPD im Landtag. Später widmete er sich der Kunst. (Foto: Klaus Brenninger)
Aus Mais wird Kunst - ein Objekt von Gustav Starzmann. (Foto: Sebastian Beck)
Als Künstler experimentierte Starzmann mit vielen Materialien. (Foto: Sebastian Beck)

In den späten Jahren nach dem Ausscheiden aus dem Landtag widmete er sich ganz einer frühen Leidenschaft: der Kunst. Sehr zur Freude seiner Frau Pia Starzmann, einer studierten Kunsthistorikerin. „Ich fand das super interessant“, sagt sie. „Wir haben oft diskutiert darüber, was er macht.“ Sie war es auch, die in der Galerie des Gasthauses „D’Feldwies“ in Übersee die Gedächtnisausstellung mit seinen Werken zusammenstellte. Die Bilder, Collagen und Skulpturen zeugen davon, dass er über erhebliches Talent verfügte, das er in etlichen Kursen über die Jahre verfeinerte.

Zu den vielen Anekdoten, die in der Werkschau noch einmal aufleben, gehört auch die Brieffreundschaft zu Oskar Maria Graf, den der 20-jährige Starzmann als Mitarbeiter des Reichenhaller Tagblatts 1964 kennenlernte. Graf, der unter schwerem Asthma litt, hielt sich damals zur Kur in Reichenhall auf und liebäugelte mit einer Rückkehr in die alte Heimat, aus der er 1933 vor den Nazis geflohen war.

Starzmann suchte und fand für Graf sogar ein Häusl in der Gegend, das diesem aber ungeeignet schien, wie er ihm per Brief im November 1965 mitteilte: „Was Sie mir von dem Haus schreiben, ist leider enttäuschend wegen der primitiven Ofenheizung. Sie brauchen sich also nicht mehr bemühen.“ Und was den berühmten Schriftsteller an Deutschland ganz generell störte: „Ja, was man so liest an Neonazi-Umtrieben in Deutschland, da vergeht einem die Lust, dauernd nach dieser ‚ursprünglichen Heimat’ zurückzugehen …“

Die Kunsthistorikerin Pia Starzmann stellte die Werkschau ihres verstorbenen Ehemanns zusammen. (Foto: Sebastian Beck)

Schade, denn hätte Starzmann den alten Graf tatsächlich nach Reichenhall gelockt, es wäre eine Sensation gewesen. So aber entwickelte sich eine Brieffreundschaft zwischen dem weltberühmten Schriftsteller und dem Studenten aus Bayern. Die 15 Briefe von Graf, in denen sich dieser auch kritisch über Günter Grass und die Gruppe 47 ausließ, hat Starzmann der Münchner Monacensia-Bibliothek vermacht. Vier Monate vor seinem Tod schrieb Graf am 27. Februar 1967 in seinem letzten Brief an Starzmann: „Es war sehr lieb von Ihnen, wieder zu schreiben. Wenn man, wie ich nun bereits seit Monaten, gesundheitlich so miserabel beisammen ist, tut es wohl, wenn Freunde an einen denken.“

Auch der frühere SPD-Abgeordnete Gustav Starzmann ist seinen Freunden anscheinend noch in guter Erinnerung, wenn man die zahlreichen Besucher bei der Vernissage als Maß dafür nimmt. Als Politiker wollte er die SPD näher an das Lebensgefühl der oberbayerischen Bevölkerung heranführen. „Ich habe das Ziel nicht erreicht“, konstatierte er zum Schluss seiner Politiker-Karriere. Die SPD ist in Bayern mit Starzmann von der Landkarte im Berchtesgadener Land und im Chiemgau verschwunden.

Nein, ihr Mann habe nicht resigniert, beteuert seine Frau Pia Starzmann, die mit ihm ein halbes Jahrhundert verbracht hat. „Es war eine gute Zeit“, sagt sie.

Die Ausstellung (Greimelstraße 30, Übersee) dauert bis zum 10. November (Montag bis Freitag von 15 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag von elf bis 17 Uhr). Sämtliche dort gezeigten Werke können günstig erworben werden, der Erlös kommt einem Naturschutzprojekt in der Gemeinde zugute.

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