Überlebende des Costa-Concordia-Unglücks:Wie die Seele mit der Katastrophe fertig wird

Sie wollte einen Traumurlaub auf dem Kreuzfahrtschiff genießen und erlebte das Kentern der "Costa Concordia" hautnah. Angelika Blank aus dem fränkischen Rohr schaffte es, rechtzeitig ins Wasser zu springen - und überlebte. Was sie da noch nicht ahnen konnte: Ihre härteste Prüfung stand ihr noch bevor.

Tobias Dorfer

Angelika Blank sitzt mit ihrer besten Freundin Gabriele Grube im Theater, als beide ein knirschendes Geräusch hören. Es ist der letzte Abend ihrer Reise auf der Costa Concordia. Die Koffer sind gepackt, die Frauen sehen sich zum Abschied eine Show an. Das Geräusch halten sie zunächst für einen Spezialeffekt. Doch dann geht das Licht aus. Die Zuschauer rennen nach draußen und zu den Rettungsbooten. Angelika Blank findet keinen Platz mehr. Das Schiff liegt so schief, dass auf der Seite, die aus dem Wasser ragt, die Boote nicht mehr ins Meer gelassen werden können.

Angelika Blank, Costa-Concordia-Überlebende

Angelika Blank aus Rohr hat die Havarie der "Costa Concordia" zwar selbst überlebt, aber ihre beste Freundin verloren.

(Foto: Tobias Dorfer)

Mit ihrer Freundin tastet sie sich durchs Schiffsinnere auf die andere Seite. Es ist glitschig, nur nicht stolpern, denkt Angelika Blank. Als sie ihr Ziel erreicht hat, ist das Wasser so nah, dass sie ins Meer springen kann. Blank ist eine gute Schwimmerin, das Ufer hat sie schnell erreicht. Gabriele Grube jedoch bleibt auf der Costa Concordia zurück. Als Blank am Ufer steht und anderen Passagieren aus dem Wasser hilft, hofft sie noch, ihre Freundin zu finden. "Doch schon zu diesem Zeitpunkt hatte ich ein komisches Gefühl", sagt sie.

Es dauert fast zwei Wochen, bis Blank Gewissheit hat: Ihre Freundin hat das Unglück nicht überlebt. Die Polizei hat ihr eine Nachricht auf dem Handy hinterlassen. Sie fährt auf die Wache, der Beamte ist freundlich, holt ihr ein Glas Wasser. Und dann erzählt er, dass die Leiche ihrer Freundin gefunden worden sei.

Blank sitzt auf der Eckbank am Küchentisch ihrer Mietwohnung in Rohr bei Nürnberg und erzählt ihre Geschichte. Selbst kleinste Details der Unglücksnacht hat sie parat. Das Reden habe ihr geholfen, sagt sie. Seit zwölf Jahren kannten sich die beiden Frauen. Sie waren ein gutes Team, sind zusammen verreist. Weil Gabriele Grube keine Angehörigen hatte, war sie bei jedem Fest, bei jedem Ausflug von Angelika Blank dabei.

Doch für Trauer ist nach der Todesnachricht keine Zeit. Als engste Freundin steht Blank jetzt in der Pflicht. Die Vermieterin will beruhigt, die Traueranzeige muss gestaltet, die Feuerbestattung organisiert werden. Freunde sollen in die Planungen einbezogen werden. Sie verbringt viel Zeit im Auto - aber die Arbeit ist eine gute Ablenkung. "Ich habe förmlich nach Beschäftigung gesucht", sagt Blank.

"Ich laufe und laufe und komme nicht vorwärts"

Zwei Wochen nach dem Unglück arbeitet sie wieder. In einer Tankstelle, Nachtschicht. Dazu hat sie zwei Putzstellen, damit das Geld reicht. Die Nachtschichten belasten sie, denn tagsüber kann sie schwer schlafen. Es ist nicht nur der Verlust der besten Freundin. Auch Albträume quälen sei. In denen ist sie wieder auf der Costa Concordia. "Ich laufe und laufe und komme nicht vorwärts. Dann kippt das Schiff um, und ich wache auf." Manchmal träumt sie, dass ihre Freundin wegschwimmen kann und sie selbst es nicht mehr schafft.

Willi Butollo kennt so etwas gut. "Albträume sind Bewältigungsversuche der Psyche", sagt der Professor für Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er erforscht posttraumatische Belastungsstörungen - eine psychische Erkrankung, die nach schweren Erlebnissen auftreten kann. Butollo erzählt von einem Experiment: Bei Skispringern wurde ein EKG aufgezeichnet. Vor und während dem Sprung blieb die Herzfrequenz relativ stabil, erst nach der Landung stieg sie rasant an. Oft, sagt Butollo, gehe es traumatisierten Menschen ähnlich: "Während der Katastrophe haben sie sich unter Kontrolle." Die Aufregung komme erst danach.

Doch nicht jede Extremsituation endet in einer Belastungsstörung - nur sieben Prozent der Betroffenen erkranken psychisch. Häufig hat das mit einem starken Ohnmachtsgefühl zu tun. Diese Ohnmacht, sagt Butollo, wollen manche Traumatisierte wegschieben. "Sie wehren sich deshalb gegen die Erinnerung." Das Gehirn jedoch rufe die Gedanken immer wieder auf, um mit der Zeit die Erinnerungen zu entschärfen. "Ein innerer Konflikt, bei dem am Ende meist das Verdrängen siegt", sagt der Forscher. "Die Betroffenen halten das Erlebte von sich fern, verarbeiten es aber nicht." Am Anfang sei es normal, dass die Gedanken kommen. Sollten die Symptome nicht abnehmen, rät er zur Therapie. Wenn Menschen aufbrausend werden, unaufmerksam, sich zurückziehen, seien das Anzeichen für eine Belastungsstörung.

Angelika Blank ist nicht zur Therapie, gegangen. Wenn ich mich verändere, dann schick' mich zum Arzt, hat sie ihrer Tochter gesagt. Immerhin hat sie die Nachtschichten los. Sie bedient jetzt in einem Café, "ein ruhiger Job", sagt Blank. Kürzlich ist ihr die Weihnachtskarte von Gabriele Grube in die Hände gefallen. "Ich wünsche dir für 2012, dass du einen Job findest, wo du dich wohlfühlst und mit dem du leben kannst", steht darin.

11.000 Euro Entschädigung

Die Reederei hat jedem Passagier 11.000 Euro Entschädigung angeboten. Blank hat akzeptiert. "Ich habe ja keine Verletzungen, und die Gabi bringt mir kein Geld der Welt zurück", sagt sie. Die Frage allerdings, warum sie überlebt hat und ihre Freundin nicht, beschäftigt sie noch immer. Wenn alles überstanden ist, will Blank mehr für sich tun, schwimmen gehen oder mit dem Enkel in den Freizeitpark. Irgendwann könnte sie sich auch wieder eine Kreuzfahrt vorstellen. Eine Nummer kleiner, vielleicht auf einem Fluss.

Für Traumaforscher Butollo ist das der richtige Weg. Er kennt Blank nicht und möchte nicht über ihren Fall sprechen. Nur so viel: Wenn Betroffene nach einem schlimmen Erlebnis eigene Bedürfnisse formulieren, klinge das gut, sagt er. Es gebe auch Fälle, in denen Menschen eine Art "Überlebensschuld" empfinden und sich selbst keine Freude mehr gönnen.

Ihren persönlichen Schlusspunkt unter die Katastrophe hat Angelika Blank gesetzt. Einen Monat nach dem Unglück fuhr sie zum Trauergottesdienst nach Giglio. Ihre Tochter und ihr sechsjähriger Enkel begleiteten sie. Von der Messe auf Italienisch verstand Blank kein Wort. Doch sie sah die Tränen in den Augen des Priesters, lauschte dem Chorgesang. Nach dem Gottesdienst kam Pier Luigi Foschi auf sie zu, der Vorstandsvorsitzende der Reederei. "Scusi, scusi", sagte er. "I am so sorry." Auch er hatte Tränen in den Augen. "Es war so eine friedliche Stimmung", sagt Blank, "als würde Gabi sagen: Lass los, alles ist gut, mir geht's gut".

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