Übergangsklassen:Lehrer sind mit traumatisierten Flüchtlingskindern überfordert

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Flüchtlingskinder brauchen in der Schule vor allem Sicherheit, aber nicht unbedingt tiefe Gespräche über ihre schrecklichen Erlebnisse. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)
  • Viele Flüchtlingskinder sind traumatisiert.
  • Die meisten Lehrer sind nicht dazu ausgebildet, Kinder mit Traumata zu betreuen.
  • Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband bietet nun selbst Seminare zur Weiterbildung an.

Von Maria Terhart, München

Wenn Babette Elteste von ihren Erfahrungen mit traumatisierten Flüchtlingskindern erzählt, dann geht ihr das sichtlich nahe. "Wir haben einen Ausflug ins Völkerkundemuseum gemacht mit den Kindern. Da lag eine Flinte in einer Vitrine. Ein kleiner Junge aus Afghanistan fing plötzlich an zu zittern," sagt sie. "Sein Vater war wohl mit so einer Flinte erschossen worden, und er hat es gesehen." Eines von vielen Erlebnissen der Frau, die als Co-Pädagogin arbeitet.

Seit fünf Jahren steht sie freiwillig mit in den Klassenzimmern der Mittelschule Simmernstraße in München. Sie kümmert sich um Kinder, die während des Unterrichts nicht mitkommen, oder gibt jenen Aufgaben, denen es nicht schnell genug voran geht. Vor allem in Übergangsklassen wird sie eingesetzt, also dort, wo geflüchtete und andere ausländische Kinder die Sprache erlernen und auf den Unterricht in deutschen Regelklassen vorbereitet werden. Gerade hier, unter Flüchtlingskindern, sind Traumata häufig: Daheim wurden sie Opfer von Krieg, auf der Flucht bangten sie um ihr Leben, und immer öfter müssen sie auch in Deutschland um ihre Sicherheit fürchten.

Lehrer wissen oft nicht damit umzugehen. "Wir fühlen uns wirklich im Stich gelassen", sagt Klaus Wenzel, der Ehrenpräsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV). Die Lehrer würden mit dem Problem alleine gelassen, niemand kümmere sich darum, ob die Pädagogen des Freistaats die Kompetenzen hätten, mit traumatisierten Kindern umzugehen. "Aber diese Kompetenzen haben wir nicht. Dafür sind wir nicht ausgebildet." Deshalb hat der BLLV selbst die Initiative ergriffen und in München ein Seminar für den Umgang mit traumatisierten Kindern angeboten.

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Auffällig dabei: Die Nachfrage nach dem Seminar war groß, doch kaum ein Lehrer will öffentlich zugeben, wie sehr ihn die Arbeit mit diesen Kindern überfordert. Eine Grundschullehrerin erzählt von einer gescheiterten Übergangsklasse, möchte aber auf keinen Fall, dass die Geschichte zu ihrer Schule zurückverfolgt werden kann: "Bei uns ist die Integration nicht gelungen, die Kinder hatten kaum Kontakt zu den Regelklassen, einige waren verhaltensauffällig. Ein Kind ist mehrmals weggelaufen und wollte sogar aus dem Fenster springen."

Sie besucht das Seminar, um beim nächsten Mal auf eine solche Situation vorbereit zu sein. Auch eine Mittelschullehrerin erzählt von Kindern, die bei Feueralarm anfingen zu weinen oder die Wörter aus dem Wortfeld Familie nur ungern lernten und benutzten. Sie vermutet, dass viele von ihnen Angehörige verloren haben oder gar deren Tod mit ansehen mussten.

Niemand will sein Scheitern eingestehen, das fällt auch Birgit Dittmer-Glaubig auf. Sie ist die Leiterin der Abteilung Berufswissenschaft beim BLLV und Konrektorin der Mittelschule Simmernstraße in München. "Es liegt in der Natur des Lehrers, immer zu denken: 'Ich kann das schon, ich schaff das schon.'" In dem Seminar gehe es also auch darum, den Lehrern den Mut zu geben, nach Hilfe zu fragen.

Willi Butollo sieht es genauso. Er ist der Referent des BLLV und Leiter des Münchner Instituts für Traumatherapie. Seit dreißig Jahren forscht er zu Traumatisierungen, war lange an Hilfseinsätzen während des Kosovokriegs und in Bosnien beteiligt, bei denen er Menschen betreute, die vom Krieg gezeichnet waren. "Es ist wichtig, Lehrer zu desensibilisieren gegenüber ihrer Angst vor traumatisierten Kindern", sagt Butollo. "Man ist nicht verantwortlich, wenn etwas nicht sofort gelingt."

Woher die Unsicherheit im Umgang kommt

Denn auch dieses Denken setzt die Lehrer unter Druck, das wird in dem Seminar deutlich. Sie fühlen sich unsicher im Umgang mit traumatisierten Kindern, weil jeder Fehler gravierende Folgen haben könnte. Dabei geht es genau darum, Sicherheit zu vermitteln, wie Butollo betont. Es sei wichtig, Traumatisierte nicht zum Opfer zu machen, sondern sie zu ermutigen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Anders ausgedrückt: Die Kinder zum Spielen einzuladen kann wirkungsvoller sein als ein tiefes Gespräch. Wenn Kinder über ihre Erlebnisse schweigen wollen, dann sollte man das akzeptieren. Man könne so ein Gespräch vorsichtig anbieten, etwa mit Spielfiguren, die man Szenen nachspielen lasse. "Dann kann man nachfragen: Wer ist hier der Böse, vor wem hat diese Figur Angst und so weiter", sagt Butollo. Das sind Tipps, die gerne angenommen werden von den Pädagogen der Runde.

Der Unterricht in Übergangsklassen ist schließlich schwer genug - auch ohne den Druck, auf alle Schwierigkeiten perfekt zu reagieren. So sollten höchstens 21 Kinder in einer Übergangsklasse sein, wie in einer Infobroschüre des BLLV zu lesen ist. "Derzeit meist nicht einhaltbar", steht dahinter in Klammern. Manchmal fehlen die Klassen ganz, gerade auf dem Land kommen Flüchtlingskinder sofort in Regelklassen. Große Sprachprobleme und Leistungsunterschiede im Vergleich zu einheimischen Klassenkameraden sind die Folge.

Eines zeigt das Seminar: Die Lehrerinnen und Lehrer brauchen auf vielfältige Weise Unterstützung, von Dolmetschern bis hin zu Teams aus Psychologen und Sozialpädagogen. Der Mittelschullehrerin, die von weinenden Kindern beim Feueralarm erzählte, hat es jedenfalls geholfen. "Das mit den Spielfiguren kann ich mal nachmachen", sagt sie. "Man denkt ja erst, die sind schon zu groß dafür, aber die meisten sind noch ganz kindlich und kindisch."

© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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