Bayern:Wie türkische Gemeinden den Heldenkult im Klassenzimmer lehren

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Mit diesem Bild lädt der Moscheeverein Ditib in Bobingen zum Heldengedenken an die Schlacht von Gallipoli ein. (Foto: Privat)
  • Der Nationalismus hat sich breitgemacht in den 17 türkischsprachigen Moschee- und vier Elternvereinen der Region in und um Augsburg.
  • Ihre Kulturprogramme bedienen seit mehr als 20 Jahren die staatstragende, nationalistische Erinnerungspolitik.
  • An den bayerischen Schulbehörden geht dieser Konsularunterricht komplett vorbei.

Von Stefanie Schoene, Augsburg

Mustafa Çakır vom türkischen Generalkonsulat München beteuert: "Wir entfremden die Kinder nicht der deutschen Gesellschaft, sondern bringen ihnen ihre Muttersprache bei!" Er ist auf Werbetour für den Türkischunterricht, den das Münchner Konsulat für Südbayern seit 2009 organisiert. Derzeit laufen die Anmeldefristen für das kommende Schuljahr. Mitte März macht Çakır Station in Augsburg. Die Kammgarnmoschee auf dem historischen Gelände der Augsburger Kammgarn-Spinnerei hat für den hohen Besuch ihren Versammlungsraum zur Verfügung gestellt. Sie gehört zum Dachverband Ditib, der Außenstelle des türkischen Religionspräsidiums, die schon öfter bundesweit wegen Märtyrerverehrung und Kriegsspielen beim Kindertheater unter Beschuss stand. Der Verein Türkischer Eltern Augsburg (VTE) hat den Bildungsattaché eingeladen.

Leidenschaftlich und auf Türkisch erklärt er die Vorteile der Zweisprachigkeit: Bereichernd sei sie, für die Entwicklung der Kinder wie für die Gesellschaft. Çakır weiß, wovon er redet: Er war bis zu seiner Berufung zum Bildungsattaché im vergangenen Jahr Professor für Deutsch als Fremdsprache an einer westtürkischen Universität. "Lernt nicht nur die türkische, sondern auch die deutsche Nationalhymne", mahnt er.

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Neue Töne? Nur scheinbar. Der Nationalismus hat sich längst breitgemacht in den 17 türkischsprachigen Moschee- und vier Elternvereinen der Region in und um Augsburg. Ihre Kulturprogramme bedienen seit mehr als 20 Jahren die staatstragende, nationalistische Erinnerungspolitik. Gelegenheiten zum Gedenken gibt es im türkischen Kalender ausreichend. Im März wird die Geburt der Nationalhymne 1921, vor allem aber der Sieg von Gallipoli gefeiert. An dieser Meerenge schlug die osmanische Armee bei der Stadt Çanakkale am 18. März 1915 einen Großangriff der alliierten Schiffsflotte nieder. Insgesamt starben 100 000 Menschen, auf britischer Seite vor allem neuseeländische und australische Freiwillige.

Mitten in die Staatsfeierlichkeiten in der Türkei fiel in diesem Jahr der rechtsterroristische Anschlag in Neuseeland, bei dem 50 Muslime starben. Auf der zentralen Gedenkveranstaltung zu Gallipoli nannte Erdoğan Mitte März den Terrorakt einen Angriff auf die muslimische Welt und provozierte Neuseeländer und Australier: "Wir haben schon eure Großväter in Särgen zurückgeschickt! Wenn ihr mit ähnlichen Absichten kommt, werdet ihr schon sehen."

Die historische Verknüpfung ficht die regionalen Veranstalter dieser Tage nicht an. Die 360 Kinder, die in der Stadt Augsburg den außerschulischen, unter der Hoheit des türkischen Staates stehenden Konsulatsunterricht besuchen, lernten dort die Nationalhymne auswendig. Am großen Tag, der "Legende von Çanakkale - Gedenken für unsere Märtyrer", den der VTE seit Jahren veranstaltet, wird die Hymne um die Wette aufgesagt. Wer gewinnt, kommt in die Bayernausscheidung. Auch die VTE Bobingen und Aichach warben für die Veranstaltung am 17. März im Königsbrunner Eventcenter. In sozialen Medien sind im Nachgang etwa 300 Zuschauer und Auftritte der Grundschulkinder zu sehen. Im vergangenen Jahr nahmen 75 Schüler teil, moderiert von einer Jugendfunktionärin des rechtsextremen Grauen-Wölfe-Vereins Alparslan Türkes. Vom Bayerischen Verfassungsschutz heißt es: "Der Verein Alparslan Türkes Ülkü Ocagi in Augsburg wird als unabhängiger Ülkücü-Verein als extremistisch bewertet und beobachtet." In Bobingen haben sich der dortige VTE und die örtliche Ditib-Moschee in diesem Jahr zusammengetan und die Veranstaltung "Çanakkale - die Legende der Unsterblichen" organisiert.

Und der nächste Feiertag steht schon bevor: Der "23. April - Tag der Unabhängigkeit und des Kindes" wird in ähnlichen Kooperationen über die VTE und die Türkischlehrer abgewickelt, die aus Ankara für den Konsulatsunterricht entsendet werden. Der Unterricht ist für die deutschtürkischen Familien die Anbindung an die als starke Nation vorgestellte alte Heimat und an die nationalistische Politik Erdoğans und seiner Partei AKP. Es geht vor allem um die Festigung einer sunnitisch-türkischen Identität. Denn Aleviten werden - obwohl ebenfalls türkischsprachig - nach Auskunft des Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde Augsburg gar nicht erst eingeladen.

Wie viele Kinder den Unterricht besuchen, war bisher unbekannt. Auf Nachfrage bestätigen das bayerische Kultusministerium und das staatliche Schulamt in Augsburg, keine Information zu haben. Und auch Attaché Çakır lässt sich lange bitten. Erstmals liegen jetzt aktuelle Zahlen für Südbayern vor: 41 türkische Beamte unterrichten in den Räumen von 283 Schulen insgesamt 2610 Kinder. Zehn der Lehrerinnen und Lehrer sind derzeit in Augsburg stationiert. Vergleichszahlen aus den Vorjahren möchte er nicht nennen.

In Niedersachsen und NRW findet der Unterricht heute ausschließlich in staatlicher Aufsicht als reguläres Schulfach statt. Saarland plant dies. Das bayerische Kultusministerium weist darauf hin, dass es an hiesigen Gymnasien die Möglichkeit gibt, Türkisch als späte Fremdsprache zu wählen. Immerhin. Alle anderen Schularten werden weiterhin vom Konsulat bedient.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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