Trinktradition:Endlich wieder Goaßmass-Time

Bierkrüge

Eine Goaßmass enthält - je nach Rezept - Weißbier, hell oder dunkel, dunkles Bier, Kirschlikör oder Cognac und immer Cola.

(Foto: dpa)

Früher einmal, lange vor Alkopops, Biermixgetränken oder Craft Beer, war die Goaßmass in. Jetzt erlebt die Mass aus Bier, Cola und Kirschlikör eine veritable Renaissance.

Von Hans Kratzer

Die weibliche Ziege wird in Südbayern Goaß genannt, wobei auch der Plural d'Goaßn eine Erwähnung wert ist. Es gibt hierzulande Tiere mit höherem Ansehen als die Goaß, den Löwen etwa und das Ross. Umso bemerkenswerter, dass ein hiesiges Kultgetränk ausgerechnet den Namen Goaßmass trägt. Manche sagen auch Goaß oder Goaßnmass zu dem aus Bier, Cola und Kirschlikör zusammengemischten Gebräu. Biathlon-Star Laura Dahlmeier erteilt verdutzten Interviewern gerne Bairisch-Nachhilfe, indem sie ihnen lachend erklärt, was eine Goaßnmass ist. Der Straubinger Festwirt Hubert Reisinger wollte da nicht zurückstehen. Vor Kurzem hat er angekündigt, er wolle auf dem Gäubodenfest künftig auch Goaßmassn ausschenken. Er erregte damit vor allem bei jenen Konsumenten Aufsehen, die das Getränk aus ihrer Jugendzeit kennen.

In den 70er- und 80er-Jahren erfreute sich die Goaßmass bei der feierwütigen Disco-Klientel, bei Kreisklassen-Fußballern sowie an Dorfstammtischen größter Beliebtheit. Im kulinarischen Ranking jener Zeit stand sie trotz ihrer trüben Konsistenz auf einer Ebene mit Schmankerln wie Leberkas und Aufschnitt. Zugleich war sie immun gegen sämtliche Anfechtungen der Hochkultur. Die schlichte Seinshaftigkeit der Goaßmass kommt recht gut in einem Youtube-Filmchen zum Ausdruck, in dem ein Reibeisenrocker namens "Da Bobbe" ihre Süffigkeit und ihre Schädelbumsigkeit besingt: "Wo is mei Goaßmass ... wo, wo, wo! A Dunkels und a Cola und obmdraf no zwoa, drei Stamperl Kirschlikör. . . prooost, prooost, prooost!"

Hie und da wird sie sogar noch in München feilgeboten, etwa in der Gaststätte Baadereck in der Isarvorstadt. Trotzdem sind die Goaßmass-Biotope zuletzt immer kleinräumiger geworden, sie geriet mit dem Aufkommen der Alcopops und der modernen Biermischgetränke aus der Mode. Der Sangesbruder Thomas Mayer alias Vogelmayer aus Mitterfels überredete deshalb den Festwirt Reisinger, die Renaissance der Goaßmass in die Wege zu leiten.

Den Äußerungen Mayers ist ein Anflug von Midlife-Crisis zu entnehmen, jedenfalls plagt ihn eine starke Sehnsucht nach seiner Jugendzeit, die wohl auch vom Genuss von Goaßmassn geprägt war. "In der Disco hat's immer Goaßmassn geben", erinnert sich Mayer, "das war für uns ein Kultgetränk. Es sollte unbedingt auf dem Gäubodenfest ausgeschenkt werden."

Reisinger war schnell überzeugt, der Wirt ist ja bekannt für seinen Reformeifer. An Straubinger Stammtischen wird gerne erzählt, wie er einst auf dem Höhepunkt von BSE- und Rinderkrise kundgab, dann setze er eben Krokodilfleisch auf die Speisekarte. Gegen derlei Innovationen wirkt die Goaßmass-Offensive geradezu bieder. Trotzdem fielen die Reaktionen in Straubing zwiespältig aus, wie eine Umfrage des Senders Donau TV belegt. Mehrere Befragte lehnten die Goaßmass als Volksfestgetränk rundweg ab. "Des hamma früher als junge Leit gmacht, aber am Volksfest ghört a Hopfenmass her und sonst nix anders", pulverte ein älterer Herr. Reisinger hielt dagegen: "Ein Volksfest unterliegt dem Wandel der Zeit. Wenn wir so kochen täten wie vor 20 Jahren, dann täten wir an den Leuten vorbeikochen." Der Ausschank von Goaßmassn ist jedoch aufwendig. Unter anderem braucht der Wirt im Festzelt vier Personen mehr zum Einschenken.

Goaßmassn waren früher nicht nur die Krönung feuchtfröhlicher Feiernächte (Goaßmass-Time!), sie waren auch ein prima Medium für die Rituale von Saufrunden. Der Vorletzte, der aus einer am Tisch kreisenden Goaßmass trinkt, muss nach altem Brauch die nächste Mass bezahlen. Diese Art von Saufterror befördert die Konsumenten ohne Umweg ins Delirium. Wer auf diese Weise rauschig, deppert und schädelbumsig wird, setzt alsbald ein Goaßgschau auf, das heißt, er stiert blöd und betrunken vor sich hin. Dass die Goaßmass Jugendliche zum Rausch und damit zum Goaßgschau verleitet, glauben Reisinger und Mayer nicht. "Die ganz Jungen wollen ja gar keine Goaßmass", sagte Reisinger im TV-Interview. Er betrachtet sie eher als Nostalgiegetränk für ältere Leute. Strittig ist überdies die berauschende Wirkung einer Goaß. Der Alkoholgehalt liege weit unter dem eines richtigen Festbiers, argumentieren die Befürworter.

Trägt also die Goaßmass ihren Namen deshalb, weil sie eher weiblich sanft daherkommt? Diese Frage schreit nach einer etymologischen Aufklärung. Andrea Schamberger-Hirt von der Wörterbuchkommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften weiß, dass die Jesuiten in München bereits im 18. Jahrhundert eine leichtere, süßere Variante des Bockbiers brauten, sie wurde "Gais" genannt. Das bestätigt auch ein Blick in Schmellers altes Wörterbuch, wo unter dem Stichwort "Gaiß" geschrieben steht: "Im Gegensatz des unter dem Namen Bock bekannten Doppelbieres eine schwächere und süßere Art desselben. In München stand die von den Jesuiten ... gebraute Gaiß in gutem Ruf."

Die Goaßmassn unterscheiden sich regional um Nuancen

Die "Geiß" ist demnach ein volksetymologisches Pendant zum "Bock", wobei der "Bock" und das "Bockbier" nicht vom männlichen Tier herstammen, sondern vom "Einbecker Bier", benannt nach der niedersächsischen Stadt Einbeck. Bockbier ist ein Starkbier, weshalb es laut Schamberger-Hirt naheliegt, ein weniger starkes Bier Geiß zu nennen. "Vermutlich geht die Goaßmass nicht unmittelbar auf dieses schwächere Bier des 18./19. Jahrhunderts zurück", sagt sie, doch die Bedeutungsübertragung lief wohl ähnlich ab.

Die Zubereitung der Goaß erfolgt nach regionalen Eigenarten, so ist es auch bei den Hybriden Laternenmass, Schneemass und Rüscherl. Peter Hobmaier, Chef der "Griabigen Sankt Veiter Buam", weiß die Nuancen zwischen der oberbayerischen und der niederbayerischen Goaßmass exakt zu benennen. Die Oberbayerische enthält 0,5 Liter dunkles Bier, 0,5 Liter Cola, ein Stamperl Kirschlikör und ein Stamperl Weinbrand. In der Niederbayerischen, auch Gaggerle genannt, schwimmen dagegen zwei rohe Eier. "Da braucht man starke Nerven", sagt Hobmeier. "Du musst Dir nämlich vorstellen, du schluckst beim Trinken der Goaßmass plötzlich Eiweiß und Dotter. Wenn das schlazige Ei in den Rachen flutscht, oh, das ist ein greisliger Moment. Das fühlt sich an, wie wenn Du einen riesigen Lungenharing verschluckst."

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