Traunsteiner Mordprozess:"Eine tapfere, starke Frau"

Vor Gericht schildert ein Opfer des Bundeswehrsoldaten die brutale Atttacke, die es nur knapp überlebte

Von Heiner Effern, Traunstein

Sarah F. rückt den Stuhl ein wenig nach hinten, dreht ihren Oberkörper nach links, dann sieht sie direkt in das Gesicht des jungen Mannes, den sie sofort als ihren Peiniger erkennt. Den Mann, der sie mit einem Bundeswehrmesser lebensgefährlich verletzte. Kurz blicken sich der 21 Jahre alte Christoph R., der wegen Mordes und Mordversuchs vor dem Landgericht Traunstein angeklagt ist, und sein 18 Jahre altes Opfer in die Augen. Dann wendet sich Sarah F. ab, ihr kommen in Erinnerung an die WM-Nacht vom 14. Juli 2014 die Tränen. Doch nach einer kurzen Pause sagt sie im Zeugenstuhl, dass sie den Angeklagten "eindeutig" als Täter identifizieren könne. Sie erkenne die Augen, die Ohren, die runde Kopfform wieder.

Damit wurde Christoph R. am dritten Prozesstag schwer belastet. Er selbst äußert sich nicht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, den 72 Jahre alten Alfons S. nach dem Finalsieg der deutschen Mannschaft gegen drei Uhr nachts mit 29 Stichen ermordet zu haben. Wenige Minuten danach soll er Sarah F. überfallen haben. Klar und wieder sehr gefasst schildert die junge Frau vor Gericht die Vorfälle der Nacht. Als sie ihr Rad auf dem Heimweg bergauf schob, habe sie in 50 Metern Entfernung einen Mann stehen sehen, der dann auf sie zugekommen sei. Kurz überlegte sie noch die Straßenseite zu wechseln, doch dann war er schon da und sagte "Hallo". Sarah F. antwortete mit einem "Hey", ging an ihm vorbei - und kurz darauf "habe ich schon den ersten Stich im Kopf gespürt". Die junge Frau drehte sich um und versuchte, sich zu wehren. Immer wieder rief sie in der Folge, als er auf Kopf und Nacken einstach: "Lass es!" oder "Hör auf!" Der junge Mann schwieg, schlug und stach weiter auf sie ein. Immer wieder habe der Täter versucht, ihre Augen zu treffen, sagt Sarah F. vor Gericht. Als es ihm schließlich gelang, ihr linkes Auge für immer mit einem Stich zu zerstören, brach sie zusammen. "Ich habe mich tot gestellt", sagt die junge Frau. Doch auch das half nichts. An den Haaren zog sie der Angreifer hoch, attackierte ihr rechtes Auge, das sie mit der linken Hand erfolgreich schützen konnte. Schließlich erhielt Sarah F. einen Stich in die Brust, ging wieder zu Boden, schaffte aber mit letzter Energie einen Fluchtversuch zu den Häusern auf der anderen Straßenseite. Ihr sei klar gewesen, sagt sie: "Wenn ich jetzt nichts mache, sterbe ich." Sie rannte auf ein Licht zu, mehr konnte sie wegen ihrer Verletzungen nicht sehen. Sie läutete, ein Anwohner kam heraus, Lichter im Haus gingen an. Sie alarmierten die Polizei und den Notarzt. Die lebensgefährlich verletzte Sarah überlebte knapp.

Unklar bleibt, warum sie der Angreifer nicht verfolgte, als sie schwer verletzt floh. Zeugen aus dem Haus beschreiben, dass er das Fahrrad der jungen Frau in die Hecke gegenüber schob und sich ruhig entfernte.

Christoph R. lässt nicht erkennen, wie es hinter seiner bubihaften Fassade aussieht. Als ihn Sarah F. anblickt, weicht er zunächst mit den Augen aus. Erst auf Aufforderung des Gerichts wendet er sich ihr ganz zu. Er hört auch zu, wie Sarah F. ihren Weg zurück ins Leben schildert. Im Sommer wird sie ihre Lehre als Einzelhandelskauffrau abschließen, sie geht wieder aus, trifft Freunde. "Sie werden eine tapfere, starke Frau vor Gericht sehen", hatte Anwalt Maximilian Pauls, der sie als Nebenklägerin vertritt, zum Prozessauftakt angekündigt. Auch wenn klar wird, dass Sarah F.s Leben nie wieder so werden wird wie vor dem 14. Juli, zerstören konnte es der Angreifer nicht.

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