Am Nachmittag jenes 11. Mai 2023 hat sich Josef Hofrichter zum ersten Mal gedacht: Hier könnte etwas schieflaufen. Mehr als ein halbes Jahr zuvor hatte der Eventmanager die MS Starnberg für eine Rundfahrt gebucht, ein großes Logistikunternehmen wollte eine Firmenfeier begehen. Dann kam der Anruf. Es gebe da ein technisches Problem mit dem Schiff, erklärte ihm der Mitarbeiter der Bayerischen Seenschifffahrt. Aber man habe bereits Techniker an Bord, die den Fehler bis zum Abend beheben würden.
Das Unternehmen hat Wort gehalten, der am Nachmittag entdeckte Defekt ist bis zum Abend tatsächlich repariert worden. Doch auch Hofrichter sollte mit seinem Gefühl Recht behalten: Denn weil kurz darauf ein zweites technisches Problem aufgetreten ist, ist die Rundfahrt geplatzt. Bei der Ausfahrt ist ein Teil im Maschinenraum gerissen. Das Schiff war manövrierunfähig, prallte zu allem Überfluss gegen die Mole und fuhr zurück zum Steg.
Die Gäste mussten wieder von Bord, standen laut Hofrichter „eineinhalb Stunden im Regen“ und wurden schließlich auf verschiedene Restaurants verteilt, um wenigstens ein bisschen zu feiern. Das hat nochmals etwa 20 000 Euro gekostet, die der Kunde von Hofrichter zurückfordert. Für den Veranstalter ist dieser 11. Mai 2023 jedenfalls ein finanzielles Fiasko. Hinzu kommt der Imageschaden, der Kunde werde schließlich „nie wieder was bei mir buchen“, sagt Hofrichter.
Deshalb haben sich der Eventmanager und die Bayerische Seenschifffahrt am Mittwochmorgen vor dem Landgericht Traunstein getroffen. In dem Zivilverfahren geht es um die Frage, wer für den Schaden verantwortlich ist, und ob Hofrichter auf den durch die Klage angestrebten Schadenersatz hoffen darf. Es war ja alles vorbereitet: das Essen, die Getränke, die Band, der Zauberer. All das kostet schließlich einen Haufen Geld. Und weil das Event ja nicht zustande gekommen ist, hat Hofrichter von seinem Kunden „keinen Cent bekommen“, wie er sagt. Den eingeplanten Gewinn, sprich den Lohn für die ganzen Vorbereitungen, könne er ohnehin abschreiben. Für ihn ist klar: Er ist mit einem großen Unternehmen als Kunden „auf die Nase gefallen“, ohne etwas dafür zu können.


Aber weil die Sache nicht ganz so eindeutig ist, wie sie auf den ersten Blick vielleicht scheint, geht es in Traunstein auch um die Frage, die in genau diesem Wortlaut gleich mehrmals aufgeworfen wurde: Wer ist hier der Gelackmeierte? Hofrichter? Die Seenschifffahrt? Oder gar beide?
Der Gerichtssaal, in dem diese Frage verhandelt wird, ist ein schmuckloser Sitzungsraum: türkise Vorhänge, grauer Teppichboden. Wie in den meisten Zivilverfahren üblich, stellt die Richterin gleich zu Beginn die Möglichkeit eines Vergleichs in den Raum. Ob sich beide Parteien vielleicht auf einen Betrag einigen könnten? Hofrichter und sein Anwalt Matthias Rappel haben den entstandenen Schaden auf rund 85 000 Euro beziffert, die beklagte Seenschifffahrt hat im Vorfeld eine Zahlung von 15 000 Euro angeboten.
Klappt es nicht mit einer Einigung, müsste die Richterin die Beweisaufnahme eröffnen und eventuell noch ein Gutachten anfordern, um zu klären, ob die Seenschifffahrt für den Defekt verantwortlich gemacht werden kann. Das könne dauern. Für Hofrichter wäre das zudem ein großes Risiko: Käme das Gericht zu dem Schluss, dass das Unternehmen nicht haften muss, würde er im schlimmsten Fall leer ausgehen und auf dem kompletten Schaden sitzen bleiben. Auch die Seenschifffahrt ist an keinem langwierigen Verfahren interessiert. Schnell steht fest: Es läuft auf einen Vergleich hinaus. Nur: Zu welchen Konditionen?
Die Bayerische Seenschifffahrt betont, auch sie könne für die geplatzte Fahrt nichts. Das Schiff sei turnusgemäß kurz zuvor gewartet und auf Vordermann gebracht worden. Allerdings habe es bei dem für den Defekt verantwortlichen Bauteil einen Haarriss gegeben, den man auch in der Werft kaum habe bemerken können. Prokurist Marcus Weisbecker erkennt den für Hofrichter entstandenen Schaden an, nur beim Streit erkennt er Posten, für die er die Seenschifffahrt nicht in der Verantwortung sieht. „Was ist gerechtfertigt, und was ist aufgeblasen?“, fragt er. 25 000 Euro, maximal 30 000 Euro könne sein Unternehmen akzeptieren.
Beide Parteien wollen die Zusammenarbeit fortsetzen
So geht das eine Weile hin und her, bis die Richterin unterbricht. Beide Parteien gehen zur Beratung vor die Tür. Dann geschieht das, was bei Vergleichen vor Gericht eigentlich immer passiert: Man trifft sich irgendwo in der Mitte. 38 000 Euro wird die Seenschifffahrt an Hofrichter zahlen, die Gerichtskosten teilen sich die Parteien untereinander auf. Richtig zufrieden ist damit niemand. Hofrichter bleibt auf einem großen Teil des Schadens sitzen. Und die Seenschifffahrt muss fast 40 000 Euro zahlen für etwas, für das sie kaum verantwortlich gemacht werden kann. So hat das die Richterin in der Sitzung festgestellt.
Wer also ist in diesem Fall der Gelackmeierte? Beide Seiten nehmen diese Bezeichnung für sich in Anspruch. Was hat der Anwalt der Seeschifffahrt in der Sitzung doch gleich über jenen verflixten 11. Mai 2023 gesagt? „Es gibt im Leben mal Ereignisse, da kann der eine nichts dafür und der andere auch nicht.“ Zumindest eines hat dieser Tag nicht geändert. Hofrichter bucht seit 16 Jahren Rundfahrten bei der Bayerischen Seenschifffahrt. Beide Seiten möchten diese Zusammenarbeit fortsetzen. Nur soll dabei wie in all den Jahren zuvor nach Möglichkeit niemand mehr gelackmeiert werden.