Traunstein:Überraschende Wendung im Raserprozess

Die Unfallstelle auf der Bundesstraße. Beim Zusammenstoß starben zwei junge Frauen, zwei weitere wurden schwer verletzt.

Mehr als vier Jahre liegt der schwere Unfall, bei dem zwei Frauen den Tod fanden, schon zurück. Die juristische Aufarbeitung dauert noch an.

(Foto: dpa)

In einem Berufungsverfahren wird der angeklagte Autofahrer vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Die Aussagen zweier Zeugen erscheinen der nun zuständigen Kammer des Landgerichts nicht glaubwürdig genug.

Von Matthias Köpf, Traunstein

Diese Nacht im November 2016, in der zwei 15 und 21 Jahre junge Frauen auf einer Rosenheimer Umgehungsstraße ihre Leben lassen mussten, hat für ihre Familien wieder und wieder von vorne begonnen. Schon das Amtsgericht Rosenheim hatte mehrere Anläufe gebraucht für alle Strafverfahren gegen die drei Männer, die den jungen Frauen in jener Nacht in hochgezüchteten Autos entgegenkamen, bis ein auffrisierter Golf beim Überholen frontal in ihren grünen Kleinwagen krachte. Es folgten zwei weitere Instanzen, die Revision eines dieser Fahrer beim Bayerischen Obersten Landesgericht war allein wegen eines Formfehlers erfolgreich. Doch am Freitag hat ihn das Landgericht Traunstein vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen, weil es von seiner Schuld nicht überzeugt ist.

Der inzwischen 28 Jahre alte Mann, damals Mitglied der längst polizeibekannten Rosenheimer Autoposer-Szene, hatte in der Unfallnacht am Steuer eines BMW gesessen, so wie ein Freund vor ihm auch. Die beiden Fahrer sollen zwischen ihren Autos keine Lücke zum Einscheren gelassen haben, als der überholende Golf auf den grünen Kleinwagen zuraste - bis es schließlich zum tödlichen Crash kam. Zunächst hätte schon die Staatsanwaltschaft den Fahrer des hinteren BMW straflos davonkommen lassen und das Verfahren gegen ihn eingestellt. Doch das Amtsgericht, das den Golffahrer zu einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung und den Fahrer des vorderen BMW zu zwei Jahren Haft verurteilt hatte, fordert bei der Gelegenheit auch eine Strafverfolgung des hinteren BMW-Fahrers. In einem separaten Verfahren erhielt er eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten.

Im folgenden Berufungsprozess bestätigte das Landgericht Traunstein seine Strafe und erhöhte die für den vorderen Fahrer um weitere fünf Monate. Während dessen Revision am Obersten Landesgericht nicht erfolgreich war, bekam der hintere Fahrer nur wegen eines Formfehlers eine neuen Prozess: Während Dinge verhandelt wurden, die allein den anderen BMW-Fahrer betrafen, hatte ihm der Vorsitzende Richter auf Anfrage seines Verteidigers mit einem Handzeichen erlaubt, den Saal zu verlassen. Dazu wäre aber ein förmlicher Beschluss nötig gewesen, beschloss das Oberste Landesgericht und verwies den Fall zurück nach Traunstein.

Dort musste dann eine andere Kammer den Fall aufs Neue aufrollen - wieder neun Verhandlungstage, wieder mehr als drei Dutzend Zeugen, wieder mit den Familien der getöteten jungen Frauen als Nebenkläger. Und wieder mit der älteren Schwester der toten 15-Jährigen, die den Unfall selbst zwar überlebt hat, aber bis heute körperlich und seelisch schwer unter den Folgen leidet. Der Sachverständige trug auch dieses Mal sein Gutachten vor, in dem er mangels Spuren auf der Straße und Schäden an den BMWs nicht zu gesicherten Erkenntnissen über den Abstand zwischen beiden Fahrzeugen kommt.

Dafür war in dem Verfahren viereinhalb Jahre nach dem Unfall überraschend ein ganz neuer Zeuge hinzugekommen, der die ganze Szene in jener Nacht mit eigenen Augen gesehen haben will und die BMW-Fahrer belastete. Allerdings waren seine Angaben zum Teil widersprüchlich und deckten sich beim Geschehen nach dem Unfall nicht mit den Wahrnehmungen etlicher anderer Zeugen. Die Kammer schenkte ihm ebenso wenig Glauben wie den Angaben des Golffahrers, auf denen die bisherigen Urteile zu einem großen Teil beruhten. Er hat in allen Prozessen ausgesagt, dass ihm die BMW-Fahrer keine Lücke zum Einscheren gelassen hätten. "Die Schweine haben mich nicht reingelassen", soll er auch seiner Schwester kurz nach dem Unfall am Telefon gesagt haben. Doch diese Version schilderte der Golffahrer nicht gleich nach dem Unfall, sondern erstmals eineinhalb Jahre später, als er nach längerer Verhandlungsunfähigkeit zum ersten Mal selbst vor Gericht stand.

Dieser Kammer des Landgerichts reichte das nicht aus, um dem BMW-Fahrer ein bewusstes Verhindern des Einscherens nachzuweisen. Sie urteilte auf Freispruch, wie es die Verteidiger stets gefordert hatten. Die Strafen für die Fahrer des Golf und des anderen BMW bleiben rechtskräftig. Gegen das aktuelle Urteil steht der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern wieder eine Revision zum Obersten Landesgericht offen.

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