Süddeutsche Zeitung

Transsexueller Flüchtling aus Regensburg:"Ich weiß nicht, was Glück ist"

Lesezeit: 3 min

Von Wolfgang Wittl, Regensburg

Vor ein paar Tagen war Marion Puhle wieder zu Besuch im Regensburger Bezirkskrankenhaus: Dervisa R. gehe es den Umständen entsprechend - soweit man das von einem Menschen sagen könne, der gerade versucht hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Mit einem Cocktail aus Schnaps, Antidepressiva und Shampoo hatte R. sich vor gut zwei Wochen umbringen wollen. Tags zuvor sollte sie von einem Regensburger Asylbewerberheim aus in ihre Heimat Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden. Der Protest von 40 Aktivisten hat das im letzten Moment verhindert.

In der deutschen Asylgesetzgebung gibt es kaum etwas, was nicht bis ins letzte Detail geregelt wäre. Und doch schreibt das Leben Geschichten, die sich auf Anhieb nur schwer mit Paragrafen fassen lassen. Die Geschichte von Dervisa R. ist so eine.

"Wir fackeln dich ab, wir nageln dich wie Jesus ans Kreuz."

Laut Gesetz gilt Dervis R., wie Dervisa offiziell heißt, noch als Mann. Doch die 24-Jährige fühlt sich als Frau und möchte auch so angesprochen werden. Schon als Kind habe sie lieber mit Puppen als mit Autos gespielt. Mit 14 Jahren geht sie zum ersten Mal in Frauenkleidern auf die Straße. Für viele Menschen im islamisch geprägten Bosnien-Herzegowina ist sie damit eine wandelnde Provokation. Bereits als Angehörige der Roma habe sie es in dem Balkanstaat schwer gehabt, doch mit ihrer Transsexualität stößt sie in eine neue Dimension der Feindseligkeit vor.

Von Mitschülern wird sie laut eigenen Worten beschimpft und geschlagen, von wildfremden Menschen attackiert, sogar Polizisten hätten sie verprügelt statt zu schützen. R. bekommt Todesdrohungen zu hören, etwa: "Wir fackeln dich ab, wir nageln dich wie Jesus ans Kreuz." Die Eltern setzen sie mit 17 Jahren auf die Straße, weil sie fürchten, selbst Opfer von Gewalt zu werden. Ihren Unterhalt bestreitet R. fortan mit dem Sammeln von Kartons und Altmetallen. Wenn sie nichts erbetteln kann, sucht sie in Mülltonnen nach Essbarem.

Im Juni vergangenen Jahres kommt R. nach Deutschland, Anfang August stellt sie einen Asylantrag. Einer persönlichen Anhörung bleibt sie fern, weil sie die Aufforderung nicht versteht. Bei der schriftlichen Stellungnahme hilft ihr eine Caritas-Mitarbeiterin. Darin schildert R. ihre Vergangenheit. Nach Bosnien könne sie nicht zurückkehren, weil sie um ihr Leben fürchte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnt den Antrag ab, zumal Bosnien-Herzegowina seit November 2014 in Deutschland als sicherer Herkunftsstaat betrachtet wird.

Der Richter schlägt vor, die "Neigung nicht offen" zu zeigen

Marion Puhle vom Regensburger Flüchtlingsforum, die sich des Falls mittlerweile angenommen hat, will die Entscheidung des BAMF nicht verurteilen. Die von R. geschilderten Fluchtgründe seien für ein erfolgreiches Asylverfahren vielleicht wirklich "zu dünn" gewesen. Auch der Rechtsweg hilft nicht weiter. Das Verwaltungsgericht Regensburg räumt zwar eine "zweifelsohne schwierige gesellschaftliche Situation" für R. in Bosnien ein, hält eine Rückkehr aber für zumutbar. Empörung löst lediglich der Satz des Richters aus, Dervisa R. müsse ja ihre "Neigung nicht offen zeigen". R. wird aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Anfang Februar soll sie abgeschoben werden.

Puhle gelingt es unterdessen, Stück für Stück das Vertrauen der 24-Jährigen zu gewinnen. Was sie erfährt, schockiert sie zutiefst. Denn in Wahrheit sind Dervisa R. in ihrer Heimat viel schlimmere Dinge widerfahren, als sie zunächst zu Protokoll gab. Sie berichtet etwa von zigfachen Vergewaltigungen. Dass sie darüber anfangs nicht reden wollte, verwundert Puhle keineswegs. "Schwerst traumatisiert" sei Dervisa R., ihre schlechten Erfahrungen mit Behörden hätten sie auch in Deutschland schweigen lassen. Man kenne so ein Verhalten von Missbrauchsopfern, sagt Puhle: Manche schafften es erst nach Jahrzehnten, sich zu öffnen. Andere nie.

Puhle hegt an den Worten R.s keine Zweifel. Haarklein erzählt diese ihr, wie sie im Sommer 2013 von einer Landsfrau, die ihr angeblich helfen will, in ein Zimmer nur mit einer Matratze darin gesperrt wird. Wie Männer wieder und wieder über sie herfallen. Wie sie nach Italien verkauft werden soll, ehe sie fliehen kann. Oder wie sich später ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher an ihr vergeht. Und dessen Freunde. Dervisa R. nennt Adressen und Namen. Einer gehört einem Polizisten, der sie auf der Straße auffordert, keine Stöckelschuhe zu tragen und sich nicht zu schminken. In einem Fluss drückt er ihr den Kopf unter Wasser, nimmt ihr alle Utensilien ab und verprügelt sie. Als R. Anzeige erstatten will, werden ihr von anderen Polizisten nur weitere Prügel angedroht. Puhle ist überzeugt: "Daran ist nichts übertrieben."

R. will nur ein Leben ohne Angst

Im Regensburger Bezirksklinikum wird R. derzeit Tag und Nacht überwacht. Aufgrund der drohenden Abschiebung sei das Risiko für einen erneuten Suizidversuch als "hoch einzuschätzen". Ärzte sehen "eine weitere psychiatrische Behandlungsbedürftigkeit" und stellen klar: "Eine Reisefähigkeit des Patienten wäre somit nur dann gegeben, wenn eine lückenlose Weiterbehandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Bosnien erfolgen könnte und der Transport in lückenloser 1:1-Überwachung stattfinden würde."

R.s Helfer vom bayerischen Flüchtlingsrat hoffen, die Abschiebung mit einer Petition an den Landtag außer Kraft zu setzen und ein Asylfolgeverfahren starten zu können. Dann könnten alle medizinischen Aspekte und zunächst unbekannten Misshandlungen neu bewertet werden.

Ein Satz von Dervisa R. beschäftigt Puhle besonders: "Ich weiß nicht, was Glück ist." Ihren Traum, welches zu finden, hat R. allerdings noch nicht aufgegeben. Derzeit lernt sie ein bisschen Deutsch, sie möchte eines Tages heiraten und arbeiten. Im Grunde will sie nur ein Leben führen, in dem sie keine Angst mehr haben muss.

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SZ vom 25.02.2015
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