Training für Journalisten in Krisengebieten:Stresstest im Matsch

"Das Ziel des Lehrgangs heißt: Überleben." Am Bundeswehrstandort Hammelburg werden Journalisten auf Einsätze in Kriegs- und Krisengebieten vorbereitet. Die Teilnehmer lernen Verhaltensweisen für bedrohliche Situationen kennen - und ihre eigenen Ängste.

Von Sarah Ehrmann

Im Zimmer des Bandenchefs riecht es nach alten Teppichen und dem sauren Schweiß der Angst. Kniend auf Leinensäcken, blind, die Augen seit Stunden hinter schwarzen Gläsern, zuckt der Körper plötzlich zusammen, wie von einem Stromschlag getroffen. Der Rebellenboss hat einen Stock krachend auf den Metalltisch niedersaußen lassen.

Die Muskeln brennen von zu vielen Liegestützen und Sit-ups - eine Strafe, weil einem beim Stehen mit ausgebreiteten Arme die Kraft ausgegangen ist. Die Brille quetscht die Nase, Atemnot. "Breathe through your mouth", herrscht einen einer der Wächter an. Angst kriecht vom Körper in den Kopf, Sorge um die Liebsten zu Hause und die Kollegen nebenan, Wut über die Willkür. Zwei Hände nehmen die Brille ab. Sie gehören einem brüllenden Mann mit Sturmhaube, der einem jetzt seine Fragen mit stark russischem Akzent ins Ohr schnarrt, er rasselt und schnaubt.

So echt sich die Bedrohung anfühlt, so unangenehm das Szenario - Geiselnahme und Verhör sind nur eine "Impfung für den Ernstfall", wie die Bundeswehr-Ausbilder es nennen. Die Entführung ist die letzte Etappe eines Trainings für Journalisten in Krisengebieten, das seit 14 Jahren vom Verteidigungsministerium und der Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung am Bundeswehrstandort Hammelburg angeboten wird. Es bereitet Fernseh- und Printjournalisten sowie Fotografen auf Einsätze in Afghanistan, Syrien und anderen Regionen vor, in denen Krieg herrscht.

Vor der Entführung ist erst mal Theorie angesagt. Bundeswehrpsychologe Florian Nasterlack zeigt den 16 Journalisten Fotos und Videoausschnitte von Geiselnahmen, von brüllenden Guerillas mit Maschinengewehren. "Seien sie die graue Maus, machen Sie keine hektischen Bewegungen", sagt Nasterlack. Er trägt keine Uniform, sondern ein blaues Shirt, darüber eine Daunenweste.

Er erklärt, wann eine Entführung am gefährlichsten ist (im Moment des Überfalls) und wie man sich verhalten soll (möglichst ruhig, Handflächen sichtbar). Später begleitet Nasterlack die Journalisten während der simulierten Geiselnahme. Er sitzt auch in Momenten neben ihnen, wenn sie sich völlig einsam fühlen. Wenn einer aufhören will, betreut er ihn in einem anderen Raum.

Geplättet, aber irgendwie stolz

Nach Übungsende zeigt er den Teilnehmern auf Video, was sie hinter den Brillen nicht sehen können. "Das war total wichtig für mich, da haben sich ganz viele Ängste wieder abgebaut, die ich während der Geiselnahme hatte", wird einer der Teilnehmer dann sagen. Ein anderer wird weinen, Nasterlack danken und den Rebellenchef-Schauspieler umarmen. Einige werden das Gespräch unter vier Augen suchen, um zu besprechen, ob in der Entführung Gefühle einer früheren Notsituation herausgebrochen sind. Alle werden danach geplättet sein, aber irgendwie stolz.

Eine Sache stellt Oberstleutnant Volker Dewenter von Anfang an klar: "Das Ziel des Lehrgangs heißt: Überleben." Im Jahr 2011 wurden nach Angaben von Reporter ohne Grenzen 66 Journalisten bei ihrer Arbeit getötet und 71 entführt. "Tödlich in Auslandseinsätzen sind Scham und Routine", sagt Dewenter, der seit drei Jahren die Journalistenausbildungen in Hammelburg leitet.

Scham, weil sie einen möglicherweise unvorsichtig in ein Minenfeld treten lässt, wenn die Blase drückt, Routine, weil man unachtsam wird und Gefahren unterschätzt. In viereinhalb Tagen bringt der 59-Jährige den Journalisten daher in einem Mix aus Theorie und Rollenspielen möglicherweise lebensrettende Techniken bei. "Wir sind kein Bootcamp und machen keine Drillausbildung - sondern wir geben eine Art Stressimpfung", sagt Dewenter.

Dazu gehört, Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen - da liegen rotbemalte Steine, das könnte ein Minenfeld sein - und auch in Extremsituationen noch "zweckmäßig" zu reagieren. Also beispielsweise erst einmal die Lage zu sondieren, bevor man blindlings losrennt, um den angeschossenen Kollegen zu retten - womit man sich selbst möglicherweise in Gefahr bringt.

"Bei Beschuss schleunigst raus"

Anlass für die Kooperation, durch die bis dato ungefähr 1500 Journalisten geschult und trainiert worden sind, war der 13. Juni 1999: Die Nato-Luftschläge gegen Jugoslawien waren gerade einmal einen Tag lang eingestellt, als die Stern-Journalisten Gabriel Grüner und Volker Krämer vermutlich von einem russischen Söldner in serbischen Diensten im Südwestkosovo getötet wurden.

Die erfahrenen Auslandsreporter hatten keinen Fehler gemacht, sie waren in keinen Hinterhalt geraten - sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort: Ihr Mörder hatte es offenbar auf ihr Auto abgesehen, mit dem er flüchtete. Doch viele Situationen, denen Kriegs- und Krisenreporter bei ihren Reisen ausgesetzt sind, lassen sich eben schon trainieren.

Zum einen durch Wissen - "bei Beschuss schleunigst raus aus dem Auto, die Kugeln gleiten hindurch wie durch Butter" -, und Entspannungstechniken für Stresssituationen, zum anderen durch praktische Trainingseinheiten, in denen man Erfahrungen sammelt, auf die man im Erstfall zurückgreifen kann. Beim Journalistentraining in Hammelburg geht es nicht darum, Fehler zu machen, sondern das in der Theorie Gelernte in der Praxis anzuwenden - selbst dann geht noch genügend schief. Denn die Rollenspieler der Bundeswehr, freiwillig Wehrdienstleistende oder Zeitsoldaten, provozieren Risikosituationen, die Teilnehmer müssen in Sekunden ihr Verhalten anpassen.

Dass das Spiel im Kopf real wird, dafür ist jeder Teilnehmer selbst verantwortlich. Aber auch die Umgebung hilft: Denn die Bundeswehr in Hammelburg trainiert nicht in Attrappen, sondern in einer echten kleinen Ortschaft mit verwinkelten Häusern, dicken Mauern und uneinsehbaren Innenhöfen. Zum Truppenübungsplatz gehört die kleine Ortschaft Bonnland, in der sich Soldaten vor allem auf Auslandseinsätze in Afghanistan und den Häuserkampf vorbereiten.

"Kooperation, Kooperation, Kooperation", hat Volker Dewenter den Teilnehmern vor einem Praxisblock eingeschärft. Also an einem Checkpoint nicht herumblödeln oder den harten Max markieren, sondern die Taschen ausräumen, wenn das befohlen wird, oder sich in den wässrigen Schnee knien und in den Wald starren. Nicht allen fällt diese Unterordnung leicht, nicht einmal im Spiel.

Ein Journalist macht einen blöden Spruch an einem illegalen Checkpoint und grinst die vermummten Schauspieler versehentlich an - sie zwingen ihn, sich auf die matschige Straße zu legen und lassen ihn dort ein paar Minuten liegen. Eine Teilnehmerin holt mit dem Ellenbogen aus, als ein Schauspieler sie an eine Hauswand stellen will. Er hält ihre Hände fest. Im Ernstfall, das wissen die Teilnehmer, hätten sie möglicherweise einen Gewehrkolben im Gesicht - und keine Schneidezähne mehr.

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