Tradition:Im Brustton der Entrüstung

Tradition: Angemessen flachbrüstig: der "Griaser Engel" in Prien.

Angemessen flachbrüstig: der "Griaser Engel" in Prien.

(Foto: Tourismusbüro Prien)

Nacktheit in der Kunst löst gerne Skandale aus: von Priener Duttenfeilern bis zur dicken Esther

Von Hans Kratzer

Der iranische Präsident Hassan Rohani hat in dieser Woche in Rom politische Gespräche geführt. Um ihn, den Sittenstrengen, nicht zu brüskieren, verhüllten italienische Behörden mehrere Statuen, die nackte Körper zeigen, etwa die Kapitolinische Venus. "Die spinnen, die Römer", lästerten daraufhin die Kritiker auf Twitter und überhaupt entbrannte ob dieser "Unterwerfung" europaweit eine scharfe Debatte. Aber nicht nur die Italiener pflegen sittliche Gesten. Gerade in Bayern kochen regelmäßig Skandale hoch, die durch die Zurschaustellung von nacktem Fleisch provoziert werden.

Ein populärer Fall hat sich einst in der Marktgemeinde Prien am Chiemsee zugetragen. Die Priener verdanken dieser Geschichte sogar ihren populären Beinamen "Priener Duttenfeiler". Wer die Hintergründe en détail erfahren will, sollte sich unbedingt einer Ortsführung von Helga Schömmer anschließen, die diesen kuriosen Fall minutiös recherchiert hat (Anmeldung: Tel. 08051/5130).

Laut Schömmer wollten die Priener nach dem Krieg von 1870/71 ihren gefallenen Söhnen ein Denkmal setzen. Zu diesem Zweck fertigte ein Bildhauer eine bronzene Germania an, die 1876 in der Nähe der Kirche aufgestellt werden sollte. Der Dichter Ludwig Thoma, der als Ferienbub alles miterlebt hatte, schildert in seinen Erinnerungen, dass damals im Pfarrhof von Prien neben dem allseits beliebten Pfarrer auch ein frommer Kooperator hauste. Dieser habe die linke Brust der Statue als "zu groß und zu entblößt" kritisiert, weshalb er einen Schlosser beauftragte, die Brust vor der Enthüllung abzuflachen. Dummerweise wurde der Mann dabei ertappt, und die Statue wurde eingeschmolzen. Die wesentlich flachbrüstiger konstruierte Ersatz-Statue steht heute "Am Gries" und trägt den schönen Namen "Griaser Engel".

Außer den Priener Duttenfeilern ist auch die "dicke Esther" in die Sittengeschichte des Freistaats eingegangen. Sie ist, acht Zentner schwer, in der Domstadt Freising zu bewundern. Der Wiener Künstler Ernst Fuchs beließ sie in ihrer Nacktheit, und der damalige SPD-Landtagsabgeordnete Hans Hartl stellte sie 1991 vor seinem Freisinger Kunsthaus auf, wo sie sogleich für Ärger sorgte. Wiederholt wurden ihre üppigen Formen mit Röcken und Oberteilen bedeckt, wobei immer auch ein Verdacht auf Hartl selber fiel, der ja am allerlautesten gegen Fuchsens nackige Frauenfiguren wetterte.

Nach einer Verhüllung lechzte vor fünf Jahren auch das Kirchenvolk von Erlangen, nachdem in der Fastenzeit plötzlich das großformatige Bild einer nackten Frau in der katholischen Herz-Jesu-Kirche hing und zu allem Überfluss den Titel "Wollust" trug. Es sollte eine der sieben Todsünden darstellen. In Würzburg wiederum gibt man sich mit Verhüllungen nicht zufrieden: 2012 wurde nach Protesten die Plastik eines nackten Mannes aus dem Dom entfernt, 2005 widerfuhr dieses Schicksal auch dem Bild "Der Auferstandene", auf dem der Heiland hüllenlos zu sehen war.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: