Süddeutsche Zeitung

Ärger um ein Denkmal:Gruselschloss Neuschwanstein

Mobbing, Rassismus und betrunkene Gäste, die in die Gemächer urinieren: Was ist los in Bayerns wichtigster Touristenattraktion?

Von Stefan Mayr, Schwangau

Es geschah am letzten Samstag im Juli, mitten in der Hauptsaison. An so einem Tag besichtigen bis zu 7000 Menschen aus aller Welt das Schloss Neuschwanstein. Am Nachmittag um Viertel nach drei brach Unruhe unter den Besuchern und Mitarbeitern aus. Vier Feuerwehr-Fahrzeuge, ein Polizeiauto und ein Rettungswagen rasten mit Blaulicht den Schlossberg hoch. Feueralarm. Die Brandmeldeanlage hatte wegen Rauches im Verwaltungstrakt angeschlagen. Die Chefin des Hauses hatte in der Mikrowelle eine Breze anbrennen lassen.

Der Einsatz war nach einer Stunde beendet, es entstand kein Schaden. Dennoch waren die Leute von der Freiwilligen Feuerwehr Schwangau nicht begeistert über diesen unnötigen Zwischenfall. Erstens wurden sie aus ihrem Sommerfest gerissen. Zweitens war es nicht das erste Mal, dass die Schlossherren Essen anbrennen ließen. "Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir das nicht lustig finden", sagt Feuerwehr-Kommandant Siegfried Janta.

Kann es einen symbolischeren Zwischenfall geben? Alarm auf Schloss Neuschwanstein!? Jedenfalls kann man seit der Brutzel-Brezel nicht mehr behaupten, dass die verbeamteten Manager der bayerischen Schlösser auf der nationalen Ikone Neuschwanstein alles im Griff haben und nichts anbrennen lassen.

Es gibt viele neue unappetitliche Horrorgeschichten aus dem Schloss, von denen der Füssener Landtagsabgeordnete Paul Wengert (SPD) berichtet. Ihm zufolge habe ein Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma einer dunkelhäutigen Reinigungskraft zugerufen: "Nigger, mach die Türe zu!" Diese Beleidigung hätten zahlreiche Schlossbesucher mitgehört. Einmal sollen die Security-Leute sichtlich betrunkene Gäste ins Schloss gelassen haben, diese hätten dann in die Gemächer uriniert und mussten von Führern rausgeworfen werden. Ein Security-Mann soll alkoholisiert zum Dienst erschienen sein, einer soll Besucherinnen mit anzüglichen Bemerkungen belästigt haben.

All das sind Geschehnisse, die Bayerns wichtigste Touristenattraktion in keinem guten Licht erscheinen lassen. Mit den Vorwürfen konfrontiert, antwortet die Bayerische Schlösser-Verwaltung (BSV) ausweichend. "Es gibt keine konkreten Hinweise, die die genannten Vorwürfe bestätigen", schreibt sie. Um dann zu berichten, dass der Objektleiter der Security-Firma seines Postens enthoben wurde, dass ein anderer Mitarbeiter freigestellt wurde, dass es eine Abmahnung und eine Kündigung gab. Ganz schön drastische Maßnahmen, die wohl nicht ohne Grund ergriffen wurden.

1,5 Millionen Besucher aus aller Welt

Was ist da los auf Neuschwanstein? Das Schloss des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. ist weltweit ein Symbol für ganz Deutschland. In der Bundesrepublik gibt es wohl kaum ein Gebäude, das berühmter ist. Reichstag und Brandenburger Tor? Olympiagelände, Frankfurter Römer? Nichts davon erreicht global die Symbolkraft und Bedeutung des entrückten Türmchen-Baus in den Allgäuer Alpen. 1,5 Millionen Besucher lassen sich pro Jahr durch die Schloss-Gemächer führen. Der Freistaat macht also mächtig Kasse auf Neuschwanstein und trägt auch eine große Verantwortung in Sachen Außenwirkung.

Diese Verantwortung liegt seit 2011 bei Finanzminister Markus Söder (CSU), ihm untersteht die Schlösserverwaltung. Zugespitzt formuliert: Auf Neuschwanstein zeigt sich, ob der ehrgeizige Söder das Management eines international bedeutenden Objekts beherrscht. Neulich ließ er sich gut gelaunt auf der frisch restaurierten Marienbrücke mit Blick aufs Schloss ablichten. Doch dass sein Wirken auf dem wichtigsten Besuchermagneten im Besitz des Freistaats bislang viel Luft nach oben lässt, konnte er nicht weglächeln.

SPD-Mann Wengert kritisiert den Möchtegern-Ministerpräsidenten jedenfalls scharf: "Herr Söder hat die Schlösserverwaltung offenbar nicht im Griff, deren Spitze in München ist mit ihrer Aufgabe wohl völlig überfordert." Tatsächlich sind die Brutzel-Brezel und die Sprüche des Wachpersonals nicht die ersten peinlichen Dinge, die in den vergangenen Jahren in den königlichen Gemäuern passierten.

2012 kursierte ein Foto von einer hochrangigen Mitarbeiterin, die auf dem Betstuhl des Königs ihren Mittelfinger Richtung Altar reckte. Und die Klingelschilder am Schloss-Portal trugen die Namen "Ludwig II", "Richard Wagner" und "Sisi". Für die einen sind das harmlose Scherze, für andere unfassbare Respektlosigkeiten.

2013 wurde der Erker im Wohnzimmer des Königs großflächig von Schimmelpilzen befallen und im Kammerdienerzimmer rissen sechs historische handgewalzte Fensterscheiben. Das Schloss-Personal sagt, Schuld an den Schäden sei unsachgemäße Arbeit der Restauratoren. Die BSV dagegen spricht von einem "völlig normalen bauphysikalischen Problem", das mit "der exponierten Lage", mit "Dauerregen" und "hohem Besucheraufkommen" zusammenhänge. Diese Darstellung ist mutig, nachdem die Scheiben zuvor 120 Jahre und zwei Weltkriege ohne Schaden überstanden hatten. Und wer bitte ist verantwortlich dafür, die Besucherströme so zu regeln, dass keine Schäden entstehen?

2014 fand vor dem Amtsgericht Kaufbeuren ein Strafprozess gegen den ehemaligen Schlossverwalter und den Kastellan wegen Betrugs und Untreue statt. Das Verfahren wurde eingestellt, hinterließ aber einen faden Nachgeschmack. "Der Angeklagte hat nur ein seit Jahren etabliertes System übernommen", sagte der Staatsanwalt damals. Zuvor hatten mehrere BSV-Mitarbeiter als Zeugen ausgesagt, die Verantwortlichen in der Schlösserverwaltung hätten von unversteuerten Barauszahlungen an die Führer gewusst.

2016 fand vor dem Arbeitsgericht Kaufbeuren ein Termin statt, der unschöne Details aus dem Innenleben des Schlosses an die Öffentlichkeit beförderte. Von Mobbing und Schikanen war die Rede. Es ging um zwei Abmahnungen der Schlossherrin Katharina Schmidt gegen den Leiter des Führungsdienstes. Sie musste diese Abmahnungen aus der Personalakte streichen. Am Donnerstag verkündete Schmidt den überraschten Mitarbeitern nun, sie lasse sich in die BSV-Zentrale nach München zurückversetzen. Auf SZ-Anfrage wollte sie sich dazu nicht äußern. Im August hatte sie noch vom "schönsten Arbeitsplatz Deutschlands" gesprochen.

Das sehen einige der 30 festangestellten Mitarbeiter etwas anders. Schmidts Rücktritt ist ein Schlussstrich unter jahrelange Querelen, aber auch ein weiterer Beleg für eine unglückliche Personalpolitik der BSV. Denn Schmidts unrühmlicher Abgang ist bereits der zweite innerhalb von drei Jahren. Auch ihr Vorgänger wurde vorzeitig vom Schloss gejagt. Die Stimmung im Personal hat in all den Jahren des Schreckens stark gelitten, deshalb wirft der Abgeordnete Wengert der BSV und dem verantwortlichen Minister Söder "Missmanagement" vor. Er fordert: "Es braucht jetzt endlich eine qualifizierte Führungskraft, die Erfahrungen auf einer exponierten staatlichen Liegenschaft hat und soziale Kompetenz mitbringt."

Ungeduld im Söder-Ministerium

Die Antwort von Söders Sprecherin lässt eine gewisse Ungeduld durchblicken: "Wir haben die Schlösserverwaltung angehalten, alle Vorkommnisse abzustellen und endlich für eine dauerhafte Befriedung zu sorgen. Das beinhaltet auch personelle Veränderungen." Die BSV gelobt Besserung: "Die Schlösserverwaltung arbeitet mit hoher Priorität daran, vor Ort eine bessere Zusammenarbeit zu ermöglichen."

Voraussichtlich im November wird der neue Chef anfangen. Ein Schloss-Mitarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, blickt dem Termin mäßig optimistisch entgegen: "Es herrscht jetzt gespannte Erwartung, wer als nächstes kommt." Er hoffe auf jemand, der nicht nur mit Mikrowellengeräten, sondern auch mit Menschen umgehen kann.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2016/vewo
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