Töging:"Sensation im Flutlicht: Damen-Fußballspiel"

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Die Anfänge des Frauenfußballs in Deutschland. Das Foto zeigt die deutschen und österreichischen Frauenteams nach einem Spiel im Mai 1959. (Foto: Privat)

Es war eines der ersten Fußball-Länderspiele der Frauen: 1958 siegen die Deutschen mit 3:1 gegen die Niederlande - in der ostoberbayerischen Provinz. Der DFB lehnt Frauenfußball da noch kategorisch ab.

Von Rudolf Neumaier

Was für ein Spektakel! Aus allen Himmelsrichtungen strömten die Leute herbei. Und sie kamen von weither, die freiwillige Feuerwehr musste die vielen Autos einweisen. An diesem Abend versetzten die Schaulustigen Töging in einen Ausnahmezustand. Wer von Fans spräche, läge daneben, denn Frauenfußball gab es zu dieser Zeit offiziell gar nicht. Fürs Publikum war das Spiel umso interessanter: Hier kickten Frauen - und sie boten sogar ein Länderspiel. Deutschland gegen Holland, wann hat man so was schon mal in der ostoberbayerischen Provinz?

"Die Kabinenfenster waren von innen abgehängt, dass ihnen die Männer nicht beim Umziehen zuschauen können", sagt Engelbert Petershofer. Er erinnert sich an diesen Abend. Ein bisschen jedenfalls. Früher zählte er zu den zuverlässigsten Kräften der freiwilligen Feuerwehr. Er war an dem Abend auf der Wiese eingeteilt, die als Parkplätze herhalten musste. So viele Autos auf einmal. Herr Petershofer, Jahrgang 1937, besucht regelmäßig die Zeitzeugentreffen im Café Göbel, wenn die Altöttinger Kreisheimatpflegerin Renate Heinrich nach Töging kommt, um die Geschichten älterer Töginger aufzuschreiben.

Menschenmassen strömten herbei, das weiß Engelbert Petershofer noch. Zwischen drei- und fünftausend Zuschauer wurden gezählt - so viele wie nie zuvor auf der Töginger Sportanlage. Und dann ging die Sirene. Im Nachbardorf Erharting brannte es. Wie das Spiel ausging? Herr Petershofer bekam es nicht mehr mit, er musste löschen. Das Ergebnis kennt heute keiner mehr. Nicht einmal das genaue Datum ist bislang überliefert gewesen. Und beim Deutschen Fußball-Bund in Frankfurt gibt es kein Archiv, in dem man nach solchen Spielen suchen könnte.

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Die offizielle Fußballorganisation lehnte Frauenfußball kategorisch ab: "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand", hieß es in einem Kommuniqué des DFB. Vereine, die auf ihren Plätzen Frauen kicken ließen, mussten ausdrücklich mit Strafen rechnen.

Genau deswegen war Töging der ideale Austragungsort für ein Frauen-Länderspiel, weil hier der Fußballplatz nicht einem im DFB organisierten Verein gehörte, sondern dem Innwerk, das gleich neben dem Platz das große Wasserkraftwerk betrieb. Und einem Unternehmen konnten die Betonköpfe vom Verband nichts anhaben. Zudem verfügten die Töginger über eine nagelneue Flutlichtanlage. Sie wurde Anfang August 1958 eingeweiht. Wenn die Zeitzeugen davon berichten, sind sie heute noch stolz. Töging, das Bauerndorf mit der Aluminium-Industrie, war zu dieser Zeit der Inbegriff für das, was die benachbarten Städte Altötting und Mühldorf nicht gerade verkörperten: Fortschritt und Wachstum.

Die besten deutschen Fußballfrauen spielten ziemlich oft in Süddeutschland, in Bayern vor allem. Ihr Manager und Spiritus rector, Josef Floritz, war ein Fußballfeminist und stammte aus München. Er organisierte die Spiele. "Wir wollten beweisen, dass wir genauso Fußball spielen können wie Männer", sagt Christa Kleinhans, 79. Die Dortmunderin zählte zu den besten deutschen Spielerinnen der späten 1950er-Jahre. Wenn sie am Telefon über ihre Spiele redet, klingen zwei Leidenschaften durch: die Begeisterung fürs Kicken und der Kampfgeist in eigener Sache - sie waren Sportlerinnen und Frauenrechtlerinnen zugleich.

Hätten sie schlecht gespielt, wären sie bestenfalls als weibliche Zirkusclowns beklatscht worden. Sie rannten um ihre Fußballerinnenehre und kämpften und schossen und köpften. Christa Kleinhans erzielte selbst sehr viele Tore. "Fragen Sie mich nicht, wie viele es waren!" Und sie bereitete mindestens genauso viele Tore vor. Aber an ein Spiel gegen Holland in einem Ort namens - wie hieß das noch mal? - Töging, nein, an einen solchen Auftritt erinnere sie sich nicht, sagt sie. Auch ihre Mannschaftskameradinnen von damals, die noch telefonisch erreichbar sind, wissen nichts mehr von diesem Abend.

Allein Erika Faul findet einen handschriftlichen Hinweis auf ein Länderspiel in Töging. Frau Faul lebt in Nürnberg und betreut den Nachlass ihrer Schwester Helga, einer damals in Fachkreisen berühmten Stürmerin. Helga Faul starb im vergangenen Jahr. Sie hatte jedes Spiel akribisch aufgezeichnet. Tatsächlich findet Erika Faul einen Eintrag über ein Länderspiel in Töging: 4:3 gegen Österreich am 2. Mai 1959, Helga Faul spielte ausnahmsweise als rechte Verteidigerin. Sondervermerk: "Bei Flutlicht." Es gibt sogar zwei Fotos von dem Abend. Am Tag zuvor hatten die Deutschen die gleichen Gegnerinnen im fast 40 Kilometer entfernten Trostberg noch deutlicher bezwungen: mit 5:1.

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Aber das Spiel gegen Holland? Der sagenumwobene Abend in der zweiten Jahreshälfte 1958, von dem die Zeitzeugen von Töging bis Dortmund so gut wie nichts mehr wissen? Man muss dazu ins Mühldorfer Stadtarchiv gehen, das bestens sortiert ist, und in die Bayerische Staatsbibliothek und in den Zeitungsbänden von damals stöbern. Als erstes kommen Inserate zum Vorschein. Die Veranstalter warben in den Zeitungen der Umgebung für den Auftritt der Fußball-Frauen: "Internationales Damen-Fußballspiel" war groß gedruckt und "Flutlicht" nur ein wenig kleiner. 2,50 Mark kostete der Sitz-, 1,50 Mark der Stehplatz. Die Sportsfrauen wurden damals ausschließlich als "Damen" bezeichnet - oder als "Fußballamazonen".

Der Alt-Neuöttinger Anzeiger widmete dem Ereignis eine ausführliche redaktionelle Ankündigung. "Sensation im Flutlicht: Damen-Fußballspiel", lautete der Titel. Josef Floritz, der männliche Frauenfußballaktivist, kam darin ebenso zu Wort, wie die Bedenken des Töginger Fußballvereins TuS "in einer internen Sitzung" angedeutet wurden. Dort seien "Für und Wider eingehend erörtert" worden, wohl auch im Hinblick auf das DFB-Verbot. Floritz sagte in dem Artikel, gerade weil "der Damen-Fußball nicht so hart ist, dafür aber schnell und technisch einwandfrei", habe er durchaus Anhänger. "Ein Fußballspiel mit untalentierten und nicht trainierten Spielerinnen würde zur Groteske und zugleich das Ende des Damen-Fußballs bedeuten."

Die Töginger waren dann heiß auf den Frauenkick. Am 20. September 1958, einem Samstag, spielten in der ostoberbayerischen Provinz unter Flutlicht Deutschland und Holland gegeneinander. Der Bericht der Lokalzeitung über dieses Ereignis findet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek. Deutschland gewann 3:1. Überschrift: "Fußball-Damen überraschen durch schönes Spiel." Ein "Fräulein Kleinhans" erzielte ein Tor, sie bereitete zwei Tore eines "Fräulein Marohn" vor. Der Reporter, der einen Töginger Publikumsrekord verzeichnete, zollte höchsten Respekt: Er verzeichnete während der 70 Spielminuten kein einziges Foul und rühmte das technische und läuferische Vermögen der Frauen. "Viele Zuschauer wollten es kaum glauben, dass die Spielerinnen Amateure sind." Sie waren es aber.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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