Kraftwerk am Inn:Mehr Strom aus dem Fluss

Kraftwerk am Inn: Das neue Kraftwerk soll weitgehend unter der Erde verschwinden, um dem Industriedenkmal nebenan optisch möglichst wenig Konkurrenz zu machen.

Das neue Kraftwerk soll weitgehend unter der Erde verschwinden, um dem Industriedenkmal nebenan optisch möglichst wenig Konkurrenz zu machen.

(Foto: Verbund AG)

Nirgends in Deutschland wird gerade so viel für die Wasserkraft getan wie im oberbayerischen Töging. Das fast 100 Jahre alte Innkraftwerk wird saniert. Was bringt das?

Von Matthias Köpf, Töging am Inn

Am ruhigsten ist es gerade hier oben im Wasserschloss. Aber wenn sich am Dienstag nach und nach diese Getriebe mit den rot-schwarzen Zahnrädern eines nach dem anderen knirschend in Bewegung setzen und ein paar Meter Drahtseil von den Spulen lassen werden, wenn sich deswegen dann darunter nacheinander die Schieber vor die Einlässe senken, dann wird auch drunten im Krafthaus ein Generator nach dem anderen auslaufen. Nach fast 100 Jahren Industriegeschichte wird es dann sehr still werden im längst denkmalgeschützten Wasserkraftwerk in Töging am Inn. Und spätestens dann, sagt Bernhard Gerauer, "zählt jede Sekunde".

Denn wenn das Töginger Kraftwerk an diesem Dienstag vom Netz geht, dann werden zwar die 15 großen, starr konstruierten Francis-Turbinen ihren Dienst für immer getan haben. Nur einen Steinwurf weiter drüben aber sollen schon im kommenden Frühjahr drei neue Maschinensätze anlaufen, diesmal getrieben von drei riesigen Kaplan-Turbinen, bei denen sich die Flügel der Schrauben verstellen lassen. So lässt sich ihre Drehzahl je nach Wasserangebot viel leichter auf die nötige Drehzahl regulieren, um die Frequenz von 50 Hertz im Stromnetz zu halten.

Kraftwerk am Inn: Bernhard Gerauer behält alles im Blick.

Bernhard Gerauer behält alles im Blick.

(Foto: Matthias Köpf)

Unter anderem wegen dieser viel effizienteren Turbinen wird das Töginger Innkraftwerk nach dem laufenden Umbau rund 700 Gigawattstunden Strom pro Jahr produzieren können, 140 Gigawattstunden mehr als bisher und genug für 200 000 bayerische Durchschnittshaushalte. Allein dieser Zuwachs um 20 Prozent übersteigt schon die Strommenge, welche die 2200 kleinsten Wasserkraftwerke in Bayern pro Jahr herstellen.

Und Strom wird gebraucht in Bayern, regenerativer zumal. Die Stromertrag aus der Wasserkraft soll bis 2022 von 12,5 auf 13,5 Terawattstunden steigen, hatte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger vor zwei Jahren in einer Regierungserklärung zur Energiewende verkündet. Der Umbau in Töging wird alleine 14 Prozent dieser zusätzlichen Terawattstunde bringen. Weil er aber im Moment das weitaus größte Wasserkraftprojekt in ganz Deutschland ist, wird die Staatsregierung ihr ohnehin in regelmäßigen Abständen neu aus der Schublade gezogenes Ausbauziel ein weiteres Mal deutlich verfehlen.

An Bernhard Gerauer soll das aber jedenfalls nicht scheitern. Er ist Projektleiter für Töging bei der österreichischen Verbund AG. Die hatte 2009 die bayerischen Innkraftwerke vom Eon-Konzern übernommen, 2013 kamen im Tausch gegen das eigene Türkei-Geschäft dann auch die Grenzkraftwerke am Inn dazu, die dem Verbund und Eon bis dahin jeweils zur Hälfte gehört hatten. Insgesamt 21 Anlagen sind das einschließlich des Donaukraftwerks in Jochenstein östlich von Passau. In Töging, im Landkreis Altötting gelegen und ungefähr 20 Kilometer Luftlinie von der Grenze entfernt, gab der Verbund schon 2011 die erste Studie für die 250 Millionen Euro schwere Erneuerung in Auftrag.

Kraftwerk am Inn: Die alten Turbinen werden bald ganz still stehen.

Die alten Turbinen werden bald ganz still stehen.

(Foto: Matthias Köpf)

Seit es 2014 konkreter wurde, ist Gerauer als Projektleiter dabei. Jetzt, zwei Jahre nach der Grundsteinlegung für das neue Kraftwerk, kann er schon prüfen, ob die erste Turbine richtig sitzt. 4,30 Meter misst sie im Durchmesser, die Lücke zu ihrer Schale aus Beton und Stahl ist kaum zu erkennen. "Da geht es um Zehntelmillimeter", sagt Gerauer, denn verkanten sollte so eine Turbine nicht, wenn bald 136 Kubikmeter Wasser pro Sekunde mit einem gewaltigen Druck durch diesen stockdunklen Schacht schießen werden, genau wie durch die beiden Schächte nebenan. In den Einlässen klettern noch die Arbeiter über Gerüste und schauen sehr klein aus im Verhältnis zu der gewaltigen Betonkonstruktion.

Von all dem soll im kommenden Jahr aber nicht mehr viel zu sehen sein. Schon jetzt fahren beinahe im Minutentakt schwere Kipper vor, um in der Nähe gelagerten Abraum aus der tiefen Baugrube wieder herbei zu schaffen. Denn das neue Kraftwerk entsteht direkt neben dem alten an der Stelle, an der sich früher eine Art Überlauf für den Notfall befand. Dort wird dann oben und unten noch jeweils ein breites Betonband herausschauen, der Rest wird wieder mit Erde verfüllt und begrünt, um dem noch bis Dienstag vor sich hinbrummenden Industriedenkmal nebenan keine Konkurrenz zu machen.

Kraftwerk am Inn: Die erste neue Turbine ist schon installiert.

Die erste neue Turbine ist schon installiert.

(Foto: Matthias Köpf)

Das Kraftwerk in Töging ist das älteste am Inn und nicht nur ein Kern der Industrialisierung im südöstlichen Oberbayern. Es ist auch die Keimzelle der Stadt Töging, die zwei rote Blitze auf blauen Wellen im Wappen trägt und bis vor 100 Jahren nicht viel mehr war als eine lose Ansammlung von Bauernhöfen. Doch dann ließ die neu gegründete "Innwerk, Bayerische Aluminium AG" von 1919 bis 1924 in Töging eine Fabrik bauen und für diese Fabrik ein Kraftwerk, denn bei der Herstellung von Aluminium werden zur Elektrolyse gewaltige Mengen Gleichstrom gebraucht.

Erst seit die Aluminiumproduktion in Töging Mitte der 1990er-Jahre wieder eingestellt wurde, produziert das Kraftwerk nur noch Wechselstrom für die allgemeine Energieversorgung. Sechs der 15 Generatoren haben das immer schon getan, acht wurden dafür umgebaut, einer stillgelegt. Wenn das Kraftwerk bald ganz still stehen wird, stellt sich auch die Frage, wie das Denkmal künftig genutzt werden könnte. Da gebe es "Prozesse", sagt Verbund-Sprecher Wolfgang Syrowatka, es solle aber auf jeden Fall etwas sein, das der Bedeutung des Kraftwerks für das Unternehmen und für die Stadt gerecht werde. Etwas anderes als eine kulturelle Nutzung etwa als kombiniertes Energie- und Stadtmuseum wird da kaum in Frage kommen.

Doch vieles wird ohnehin noch gebraucht, denn die ganzen Anlage und damit auch die Baustelle erstreckt sich eigentlich über knapp 30 Kilometer. In Jettenbach bei Waldkraiburg leitet ein Wehr den größten Teil des Wasser vom Inn in den Innkanal. Während sich der Fluss bis Töging rund 30 Kilometer weiter durch die Landschaft schlängelt, ist der Kanal rund zehn Kilometer kürzer, hat viel weniger Gefälle und stellt so in Töging die nötige Fallhöhe her. "Ausleitungskraftwerk" heißt so eine Konstruktion mit Kanal. Eine Anlage in dieser Größenordnung wäre jetzt, 100 Jahre nach dem Bau, sicher nicht mehr durchsetzbar, sagt Bernhard Gerauer. Aber das Kraftwerk ist ja schon da. Und es bleibt, nur viel neuer.

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