Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:Viele Schlachtbetriebe betäuben Schweine nicht richtig

Lesezeit: 3 min

Von Katrin Langhans, Fürstenfeldbruck

Ein Mitarbeiter jagt Stromstöße durch ein Kalb, das sich weigert vorwärts zu gehen, einer surft auf Schweinen, ein anderer tritt einem Schaf mehrmals mit dem Schuh ins Gesicht. Am schlimmsten aber sind die Bilder der sterbenden Schweine: Ein Tier baumelt am Schlachtband, sein Maul öffnet sich vier Mal. Der Metzger dreht sich weg und pfeift eine fröhliche Melodie. Das übernächste Schwein, dem er mit seinem Messer den Todesstich setzt, zappelt heftig, hebt mehrmals den Kopf. Der Metzger dreht sich abermals fort. Ein anderes sich aufbäumendes Schwein bemerkt er nicht einmal.

"All das sind Anzeichen für eine fragliche Betäubung, im schlimmsten Fall spürt das Tier gerade seinen eigenen Tod", sagt Kathrin Zvonek von der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbundes. Die Tierärztin hat sich für die Süddeutsche Zeitung und den Bayerischen Rundfunk die Filmaufnahmen angesehen, die der Tierrechtsorganisation Soko Tierschutz zugespielt wurden. Über Monate hinweg dokumentiert das Material Tierquälerei und gesetzliche Verstöße am Schlachtbetrieb Fürstenfeldbruck - bis in den April hinein.

Eigentlich müsste ein Mitarbeiter die Tiere während des Sterbens beobachten, ihre Reflexe prüfen und sie nachbetäuben - so regelt es die Schlachtverordnung. Stattdessen notiert ein Mitarbeiter für den Tag im März, an dem die Videoaufnahmen die zappelnden Schweine zeigen: Alle Tiere seien gut betäubt gewesen. Fast durchweg gibt sich der Schlachtbetrieb Bestnoten. Das zeigen Unterlagen, die der SZ und dem BR vorliegen. Wie kann es sein, dass Tiere mehrmals dem Risiko ausgesetzt werden, den eigenen Tod zu spüren, obwohl ein amtlicher Kontrolleur bei jeder Schlachtung am Ort ist?

Die grausamen Bilder zeigen, dass die Idee, beim Metzger von nebenan könne man Biofleisch von glücklichen Tieren einkaufen, wohl ein Mythos ist. Denn der Brucker Schlachthof schlachtete bis vor wenigen Tagen Biotiere und verkaufte das Fleisch an umliegende Metzgereien sowie an Bioland und Naturland. Konfrontiert mit den Bildern gab der Betrieb Ende vergangener Woche bekannt, die Schlachtung vorerst einzustellen, man plane eine Schwachstellenanalyse. Auch das Landratsamt teilte mit, man prüfe die Vorwürfe.

Der Schlachthof Bruck ist nicht der einzige, der Probleme mit der Betäubung der Tiere hat. Das Zwischenergebnisse der Sonderkontrollen Tierschutz, bei denen heuer mehr als 30 Schlachtbetriebe überprüft werden, zeigt: Zwei Drittel der kontrollierten Schlachtbetriebe haben Probleme mit der Betäubung der Tiere. Bei vier von sechs kontrollierten Schlachtunternehmen fanden die Prüfer des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) Mitarbeiter, die Tiere schlampig betäubten.

Mal waren sie nicht in der Lage, die Betäubungszange richtig anzusetzen, mal überprüfte niemand die Betäubungseffektivität. Auch dabei fiel ein Betrieb auf, der im Internet damit wirbt, einer von den Guten zu sein. Man sei ein Metzgerbetrieb in fünfter Generation, so präsentiert sich die Hofmetzgerei Ottillinger aus Pöttmes (Landkreis Aichach-Friedberg) im Netz. Man setze auf Ehrlichkeit und lege Wert auf regionale Qualität.

Im Januar stellten die Prüfer des LGL bei der Tierschutz- Sonderkontrolle fest, dass Tiere "nicht ausreichend betäubt" waren. Das bedeutet konkret: Das Risiko, dass sie ihren eigenen Tod erlebt haben, war "sehr hoch". Die Mitarbeiter erkannten die Anzeichen der Wahrnehmungsempfindungen der Tiere nicht und betäubten die Schweine erst nach, als die Kontrolleure sie dazu anwiesen.

Auf Anfrage von SZ und BR teilt die Hofmetzgerei Ottillinger mit, man bewerte die festgestellten Verstöße lediglich "als leicht" und werde sie abstellen. Der Bereich der Betäubung sei ohnehin "diskutiert, nicht eindeutig". Das ist besonders pikant, da der Betrieb nach eigenen Angaben als Referenzbetrieb des Fleischerverbandes Bayern auch Personal zum Schlachten ausbildet, also eine Vorbildfunktion hat. Weder beim Schlachtbetrieb Fürstenfeldbruck noch bei der Hofmetzgerei Ottillinger kamen die Behörden zu dem Schluss, dass ein Bußgeld nötig sei.

Eine Anfrage der Freien Wähler beim Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz zeigt, dass in den Jahren 2014 und 2015 in ganz Bayern gerade einmal elf Mal ein Bußgeld gezahlt wurde. Im gleichen Zeitraum haben allein Kontrolleure des Landesamtes mehr als 400 Verstöße festgestellt. Auch zeigte im vergangenen Jahr die Studie einer LGL-Mitarbeiterin, dass es im gleichen Zeitraum bei jedem vierten elektrisch betäubten Schwein Probleme gegeben hatte. Bußgelder aber wurden kaum gezahlt. Auch lagen die Beträge in der Regel im unteren dreistelligen Bereich und nie höher als 1000 Euro.

Dabei läge der Ermessensspielraum der Behörden bei bis zu 25 000 Euro. "So geringe Beträge jucken die Betriebe nicht", sagt Benno Zierer, Landtagsabgeordneter von den Freien Wählern. "Wenn Tiere Schmerzen leiden, müssen hohe Bußgelder verhängt werden", sagt Zierer. Ministerin Ulrike Scharf habe lange genug auf die Eigenkontrolle der Betriebe gesetzt. Eine Lösung für die mangelhafte Kontrolle könnte eine Kameraüberwachung der Schlachter sein.

Das Verbraucherschutzministerium will von 2018 an einige Schlachtbetriebe von einer Sonderkontrollbehörde prüfen lassen, die gerade aufgebaut wird. Aber eben nicht alle. So werden viele kleinere Schlachtbetriebe weiterhin auf Kreisebene kontrolliert werden.

Beim Brucker Schlachtbetrieb hat das Landratsamt eine interessante Doppelrolle: Einerseits soll es kritisch prüfen, andererseits hat es als stiller Gesellschafter bisher mehr als 20 000 Euro Gewinn eingestrichen. In dieser Konstellation mag man auf Anfrage keinen Konflikt sehen. Wie man sich das erkläre, dass der amtliche Tierarzt die schlampigen Betäubungen nicht bemerkt habe? Auch diese Frage bleibt unbeantwortet.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2017
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