Urteil:Jagd-Gegner darf Bambi schützen

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Dürfen Jäger auf Privatgrund schießen? (Foto: dpa)

Roland Dunkel mag Rehe. Er konnte bislang aber nichts dagegen tun, dass sie auf seiner Wiese getötet werden. Nach jahrelangem Kampf hat der Jagd-Gegner jetzt vor Gericht gewonnen. Die Jäger-Lobby ist geschockt, das Urteil könnte unabsehbare Folgen für sie haben.

Von Christian Sebald

Natürlich könnte Roland Dunkel jetzt triumphieren. Seit Jahren liefert sich der 54-jährige Verwaltungsangestellte aus dem unterfränkischen Frankenbrunn einen erbitterten Kampf mit Behörden und Gerichten, damit auf der Wiese gleich hinter seinem Haus nicht mehr gejagt werden darf. "Denn so viel steht fest", sagt Dunkel in sanftem Fränkisch, "die Jägerei, das ist die reinste Tierquälerei. Das weiß ein jeder, der auch nur einmal gesehen hat, wie ein angeschossenes Reh panisch ins Unterholz flieht, wo es dann qualvoll verendet."

Dunkel weiß, wovon er spricht. Er stammt von einem kleinen Bauernhof und hat schon als Bub erlebt, wie es auf der Jagd zugehen kann. Nun hat der Jagd-Gegner Recht bekommen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat dieser Tage geurteilt, dass auf Dunkels Wiese nicht mehr gejagt werden darf. Aber Dunkel will nicht triumphieren. "Die Entscheidung war überfällig", sagt er nur.

Dunkels Abgeklärtheit ist erstaunlich. Und zwar nicht nur, weil er doch viele Jahre lang genau für dieses Ziel gekämpft und nun endlich einen Sieg errungen hat. Sondern weil der Beschluss des VGH unabsehbare Folgen haben könnte, für die gut 50.000 Jäger in Bayern und die Jägerei insgesamt. Darin sind sich Tierschützer und Jäger einig, so erbittert sie sich sonst streiten. "Der VGH hat Rechtsgeschichte geschrieben", jubelt der Rechtsanwalt Dominik Storr. Er vertritt Roland Dunkel und zahlreiche andere Jagd-Gegner, die sich in der Initiative "Zwangsbejagung ade" zusammengeschlossen haben.

"Zum ersten Mal überhaupt hat ein Tierschützer, der aus ethischen Gründen die Jagd ablehnt, jetzt durchgesetzt, dass auf seinem Grundstück, nicht mehr auf Wildtiere geschossen werden darf." Bei den Jägern herrscht denn auch Ratlosigkeit. "Solange das ein Einzelfall bleibt, können wir ihn verschmerzen", sagt der bayerische Jägerpräsident Jürgen Vocke so, als würde er sich Mut zusprechen wollen. "Aber wenn dieses Beispiel Schule macht, bricht über kurz oder lang unser Reviersystem und damit die Jagd insgesamt zusammen."

Auch beim Ökologischen Jagdverband ist man alarmiert. "Natürlich akzeptieren wir den Spruch", sagt dessen Chef Wolfgang Kornder, "auch wenn keiner weiß, wie ein Jäger in seinem Revier ein Jagdverbot für einzelne Flächen umsetzen soll. Allein schon das Problem, wie er die Flurstücke markieren soll, auf denen er dem Wild nicht mehr nachstellen darf."

Streitereien um die Jagd sind immer verzwickt. So auch hier. Der Punkt, an dem Dunkel und andere Tierschützer in ihrem Kampf gegen die Jagd angesetzt haben, ist die Zwangsmitgliedschaft in den Jagdgenossenschaften. Nach dem Bundesjagdgesetz ist ein jeder, der bis zu 75 Hektar Wald, Wiesen oder Ackerland besitzt, verpflichtet, Mitglied in einer Jagdgenossenschaft zu sein.

Diese vergibt das Jagdrecht an einen Jäger, damit der dafür sorgt, dass sich nicht zu viele Hirsche und Rehe, aber auch Wildschweine und andere Wildtiere in der Region tummeln. Es ist diese Zwangsmitgliedschaft, gegen die sich Tierschützer wie Dunkel bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht wehrten. Ohne Mitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft, so ihr Argument, darf auch keine Jagd auf ihrem Grund und Boden stattfinden. Allerdings fanden sie damit nie Gehör.

Erst im Sommer 2012 war plötzlich Schluss damit. Damals sprach der Europäische Gerichtshof (EGMR) für Menschenrechte ein Urteil, das die Rechtsprechung zur Jagd revolutionierte. Der EGMR entschied, dass die Zwangsmitgliedschaft in einer Genossenschaft für einen Grundeigentümer, der die Jagd aus ethischen Gründen ablehnt, eine unzumutbare Belastung darstellt. Die Jäger erstarrten förmlich vor Schreck. Sie hatten bis dahin nicht im Traum daran gedacht, dass so ein Spruch einmal möglich sein würde. Rechtsanwalt Storr, der zahlreiche ethische Jagd-Gegner vertritt, kündigte denn auch damals sofort an, dass er Dunkels Klage erneut vorantreiben werde.

Dabei hatte der Rechtsanwalt mehr Erfolg, als er erwartete. Denn der VGH entschied nicht nur, dass der Spruch des EGMR eins zu eins auf Dunkels Klage übertragbar ist und die Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft dessen Grundrechte verletzt. Sondern auch, dass Dunkel nicht für eventuelle Schäden mithaften muss, die das Wild auf Nachbargrundstücken anrichtet. Genau dies sieht nämlich der Entwurf des neuen Jagdgesetzes vor, mit dem Bundesagrarministerin Ilse Aigner auf das Urteil des EGMR reagiert hat.

Danach können Grundbesitzer in Zukunft zwar aus ethischen Gründen die Zwangsmitgliedschaft in einer Jaggenossenschaft ablehnen. Aber sie sollen weiter für Schäden des Wildes in die Pflicht genommen werden, die dieses verursacht, indem es die Triebe an Bäumen und Ackerfrüchte auf den Feldern der jeweiligen Jagdgenossenschaft auffrisst.

Für Storr ist das ein Unding. "Damit will man nur weitere Grundbesitzer davor abschrecken, dass auch sie Jagdgenossenschaften verlassen", sagt er. "Das nehmen wir nicht hin. Der Beschluss des VGH liefert uns die Handhabe, dagegen zu klagen." Die Zeiten dürften also ein für alle Mal vorbei sein, in denen die Jäger davon ausgehen konnten, dass ihnen die Jagd-Gegner nichts anhaben können. Für Dunkel hingegen ist nur wichtig, "dass ich endlich den Druck los bin, auf meiner Wiese könnte ein Tier getötet werden".

© SZ vom 06.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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