SZ-Serie: Vogelwuid:Das Bartgeier-Küken im Nürnberger Zoo lässt sich Zeit

Bartgeier

Oberhalb der Halsgrube, wo die Felsregion beginnt, liegt auf ungefähr 1300 Metern die künftige Heimat des ausgewilderten Bartgeiers aus Nürnberg. Die Nische unter einem Felsüberhang im Klausbachtal, dem westlichen Haupttal des Nationalparks, ist sechs Meter tief und etwa 20 Meter breit.

(Foto: Toni Wegscheider/LBV)

Unterdessen laufen die Arbeiten an der Halsgrube im Nationalpark Berchtesgaden auf Hochtouren. Die Felsnische für die Auswilderung wird vorbereitet.

Von Christian Sebald, Nürnberg

Eigentlich hätte das Bartgeier-Küken, auf das sie im Tiergarten Nürnberg so sehnlich warten, schon vor einigen Tagen schlüpfen sollen. Aber das hat es nicht getan. Dennoch bleibt der Vizedirektor des Tiergartens, Jörg Beckmann, optimistisch. Zumal das Bartgeier-Paar ganz normal weiterbrütet. Zur Erinnerung: Das Nürnberger Bartgeier-Weibchen hat auch in diesem Jahr, wie es bei den mächtigen Greifvögeln üblich ist, zwei Eier gelegt. Das eine am 10. Januar, das andere am 18. Januar. Der Schlupftermin für das erste Ei ist rechnerisch schon einige Tage vorüber, der für das zweite Ei wäre in diesen Tagen.

Das Vertrackte ist, dass dem Bartgeier-Paar ein Ei während des Brütens zerbrochen ist. Im Tiergarten haben sie zuerst vermutet, dass es das zweite Ei war, das kaputt gegangen ist. Deshalb haben sie den Schlupf des Bartgeierkükens bereits vor einer Woche erwartet. Denn dann wäre das erste Ei so weit gewesen. Inzwischen sind sie sich nicht mehr so sicher, dass es das zweite Ei war, das zerbrochen ist. "Womöglich ist ja doch das erste Ei kaputt gegangen", sagt Beckmann. "Wenn es so war und mit dem zweiten alles in Ordnung ist, sollte das Küken dieser Tage schlüpfen." Beckmann bleibt jetzt nichts anderes als abzuwarten, was die nächsten Tage bringen.

Sollte es wie erhofft klappen, könnte der Nürnberger Jungvogel in ein paar Monaten zu den drei Bartgeiern gehören, die der Landesbund für Vogelschutz (LBV) im Nationalpark Berchtesgaden auswildern wird. Die spektakulären Greifvögel mit einer Spannweite von bis zu drei Metern waren einst weit verbreitet in den Alpen. Dann wurden sie ausgerottet. In Tirol, der Schweiz und in Südtirol laufen seit Jahren erfolgreiche Wiederansiedlungen. Nun startet der LBV ein Bartgeier-Projekt in Bayern. Binnen zehn Jahren will er im Nationalpark Berchtesgaden 30 Bartgeier auslassen - jedes Jahr drei. Der Nürnberger Jungvogel soll den Anfang machen. Die SZ begleitet die Aktion.

Während sie in Nürnberg auf den Schlupf warten, laufen im Nationalpark Berchtesgaden die Vorbereitungen für die Auswilderung auf vollen Touren. Der Platz dafür steht schon fest: Es ist eine sechs Meter tiefe und etwa 20 Meter breite Nische unter einem Felsüberhang im Klausbachtal, dem westlichen Haupttal des Nationalparks. Sie liegt oberhalb der Halsgrube, wo die Felsregion beginnt, auf ungefähr 1300 Metern Höhe. "Die Felsnische dort oben ist optimal für die Auswilderung", sagt der Biologe Toni Wegscheider, der das LBV-Projekt leitet. "Sie ist groß genug für drei Jungvögel, absolut geschützt vor Niederschlägen und perfekt nach Südosten ausgerichtet, so dass die Vögel schon morgens Sonne abbekommen zum Aufwärmen, es ihnen untertags aber nicht zu heiß werden kann."

Die Nische ist so ausgewählt, dass sie für Menschen sehr schwer erreichbar ist. Denn die Jungvögel sollen dort oben ja ihre Ruhe haben. "Vor ihr geht es beinahe senkrecht runter", sagt Wegscheider. "Zu ihr hinauf gelangt man nur über einen extrem steilen Wiesenhang." Die Jungvögel kommen im Alter von etwa 100 Tagen in die Nische. Sie sind dann schon so groß wie erwachsene Bartgeier und unterscheiden sich von ihnen nur noch durch ihr dunkles, schwärzliches Gefieder. Aber sie können noch nicht fliegen. Deshalb müssen sie regelmäßig gefüttert werden. Das übernehmen Wegscheider und ein Betreuer-Team. Sie müssen dazu immer wieder zu der Nische hinaufsteigen. Damit sie sicher zu ihr gelangen, wird in dem Steilhang ein Bergsteigerseil verlegt. Kurz nachdem die Junggeier ihre Felsnische bezogen haben, werden sie erste Flugversuche unternehmen, nach ungefähr vier Wochen folgt der erste selbständige Flug.

Mit der Auswilderungsnische alleine ist es nicht getan. Für das Projekt ist jede Menge weitere Logistik nötig. In der Nische und um sie herum werden Webcams und Fotofallen installiert, damit Wegscheider alles mitbekommt, was dort oben passiert. Die Aufnahmen sind aber nicht nur zur Überwachung der jungen Bartgeier und zu ihrem Schutz vor Neugierigen gedacht. Sondern sie werden auch auf die Internetseite des LBV (www.lbv.de/bartgeier-auswilderung) übertragen, damit sie sich ein jeder ansehen kann. Außerdem stellen Nationalparkchef Roland Baier und seine Mitarbeiter unten in der Halsgrube einen Beobachtungsstand für Wegscheiders Team auf. Eine Jagdhütte an der Halsalm wird Basisstation der LBV-Leute sein.

"Der Beobachtungsstand ist schon fertig", berichtet Baier, "den haben unsere Mitarbeiter jetzt im Winter gezimmert." Beobachtungsstand ist etwas untertrieben. Es ist eine veritable Hütte aus massivem Fichtenholz mit einem Dach aus Lärchenschindeln, die derzeit noch in einem Schuppen des Nationalparks steht. Sie bietet Platz für zwei Personen, ein Bett, Tisch, Stühle und einen Gasofen gegen die Kälte am Berg. "Das ist alles wichtig, weil wir während der Auswilderung jeden Tag von früh bis spät oben an der Halsgrube sein werden", sagt Wegscheider. Wenn der viele Schnee dort geschmolzen ist, wird die Hütte zerlegt. Dann soll sie mit einem Hubschrauber auf den Berg geflogen, dort wieder zusammengesetzt und dann auf ihrem Fundament aus Lärchenholz verankert werden. In der Nähe des Beobachtungsstands soll es außerdem eine Informationsstelle für Wanderer samt Spektiv geben, mit dem sie direkt in die Auswilderungsnische hineinsehen können.

Auch das Futter für die jungen Bartgeier ist schon vorbereitet. "Es handelt sich um Knochen, Bauchlappen und andere Überreste von Gämsen, die unsere Jäger in diesem Winter erlegt haben", sagt Baier. Die Tiere sind natürlich nicht eigens für die jungen Bartgeier abgeschossen worden, sondern im Rahmen der ganz normalen Jagd im Nationalpark. Schlegel, Schultern und das andere feine Fleisch der Gämsen vermarktet der Nationalpark als Spezialitäten für die gehobene Küche. Die jungen Bartgeier bekommen einzig die nicht verwertbaren Überreste. Sie werden in schnabelgerechte Portionen gehackt und in vier Kilo schweren Portionen eingefroren. Das Futter für die bevorstehende Auswilderung ist schon beisammen.

Was aber ist, wenn es in diesem Jahr doch nicht klappen sollte mit einem jungen Bartgeier aus dem Nürnberger Tiergarten? "Dann sind wir guter Dinge, dass wir als Ersatz einen Jungvogel aus einem anderen Zoo bekommen", sagt Wegscheider. In der aktuellen Brutsaison sind in den Tiergärten und Zoos in Europa, die sich an der Bartgeier-Zucht beteiligen, schon ungefähr 15 Küken geschlüpft. "Um die 35 werden noch folgen. Da dürfte schon noch einer für unser Projekt dabei sein."

Zur SZ-Startseite
Biber

SZ PlusMensch und Natur
:"Der Biber ist der beste Biotop-Bauer"

Er staut Flüsse, erntet Maisfelder ab und baut Tunnel, die Traktoren einsinken lassen: Der Biber ist ein kleines, aber mächtiges Tier, das immer wieder für Konflikte sorgt. Harry Heine ist Biberberater und vermittelt zwischen Mensch und Natur.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: