Der 25. Juni 2023 war nicht nur ein einschneidendes Datum in der Geschichte der Republik: Erstmals wurde ein AfD-Mann zum Landrat gewählt. Auch für die Metropolregion Nürnberg war der Tag aufwühlend. Immerhin zählt zu dieser seit 2013 auch der südthüringische Landkreis Sonneberg – also jene Gebietskörperschaft, in der im vergangenen Jahr ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt worden ist. An diesem Sonntag stehen Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen an. Da wie dort wird starker Zuspruch für die AfD vorausgesagt. Anlass zu fragen: Was hat sich verändert im fränkischen Grenzgebiet und in der Metropolregion Nürnberg seit dem Juni 2023? Hat sich überhaupt etwas geändert? Und wie blickt man dort auf das Wahl-Wochenende?
Für die Frage, was sich im Coburger Land verändert hat, dürfte es kaum einen geeigneteren Ansprechpartner geben als Martin Stingl (SPD). Er ist nicht nur stellvertretender Landrat im Grenz-Landkreis Coburg, er ist auch Zweiter Bürgermeister von Neustadt, direkt an der Grenze zu Sonneberg in Thüringen gelegen. Wie oft er sich in Thüringen aufhalte? „Fünfmal pro Woche“, sagt er. Stingl ist Unternehmenschef in Neustadt bei Coburg, das kleine Gartengrundstück aber, auf dem er gerne seine Feierabende verbringt, liegt in Thüringen. Und natürlich, sagt der 62-Jährige, sorge er sich um den Wahlausgang in diesem Bundesland seiner Freizeit-Wahl.
Was freilich die Veränderungen seit dem Juni 2023 angehe, so hielten sich die in engen Grenzen, sagt Stingl. Natürlich verfolge er, wenn AfD-Landrat Robert Sesselmann Schlagzeilen mache – etwa kürzlich erst, einer fragwürdigen Wahlwerbung wegen. Was aber die Zusammenarbeit der Stadt Neustadt mit der Region Sonneberg oder auch die Zusammenarbeit der beiden Landkreise betreffe, so sei tatsächlich nahezu kein Unterschied zu vorher zu erkennen.
Und natürlich müsse man sehr vorsichtig sein mit so einer Feststellung, ergänzt Stingl sofort. Es gebe nichts zu verharmlosen, der Landrat von Sonneberg gehöre einer in wesentlichen Teilen rechtsradikalen Partei an. Auf der kommunalen Arbeitsebene aber spiele das im Alltag keine erkennbare Rolle. Ist eine Struktur womöglich stärker als ein veränderter Kopf an der Spitze einer solchen Struktur? „Genau so“ empfinde er das, sagt Stingl. Klar habe er dem AfD-Landrat schon gegenübergestanden. Und selbstredend verhalte man sich als Person da womöglich reservierter, als das sonst der Fall wäre. Bei den Sachfragen aber – Zusammenarbeit in der regionalen Verkehrs- und Wirtschaftspolitik oder in Umweltfragen – gebe es bislang keinen signifikanten Unterschied zu jener Zeit vor dem 25. Juni 2023 zu erkennen. Wobei, das betont Stingl mehrfach, er warnen möchte: mit der Landesebene, auf der nun Wahlen ins Haus stehen, sei Kommunalpolitik schwer zu vergleichen.

Ähnlich beschreibt das auch Peter Reiß (SPD), Ratsvorsitzender der Metropolregion Nürnberg und Oberbürgermeister von Schwabach. Der Landkreis Sonneberg habe sich in der Vergangenheit als „verlässlicher und konstruktiver Partner in der Metropolregion Nürnberg“ gezeigt. Bisher habe sich „in der Zusammenarbeit mit dem Landkreis nicht viel geändert“. In den Ratssitzungen seit der Wahl sei der Stellvertreter des Landrats anwesend gewesen, der auch zuvor „verlässlicher Ansprechpartner“ gewesen sei und das „Arbeitsfeld Metropolregion übernommen“ habe.
In Thüringen liegt die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten, dem Rechtsextremisten Björn Höcke, in Umfragen deutlich vor der CDU, dem BSW und den Linken. In Sachsen liefern sich die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer und die AfD ein enges Rennen, dahinter folgt das BSW. Hier zeichnet sich ab, dass eine Regierungskoalition nur mit AfD oder BSW möglich ist.
Die Menschen hier seien „alle irgendwo konservativ und ländlich geprägt“
Stefan Müller ist ob dieses Szenarios „a bissl besorgt“, er denkt sogar noch einen Schritt weiter: „Ich hoffe mal nicht, dass es zu einer Regierungsbildung zwischen AfD und BSW kommen wird.“ Der CSU-Politiker ist Bürgermeister der grenznahen Gemeinde Gattendorf mit knapp 1100 Einwohnern, wo sie eng verbunden sind mit den Nachbarn in Sachsen, durch die Pendler, durch ihre Geschichte. Als die Mauer gefallen ist, hätten die Kirchengemeinden von beiden Seiten der Grenze „direkt am ehemaligen Todeszaun“ ein Kreuz aufgestellt, sagt Müller, seither hielten sie dort Jahr für Jahr einen Feldgottesdienst ab. Auch politisch arbeite man immer wieder zusammen, zum Beispiel beim Deutsch-Deutschen Museum in Mödlareuth. Dass sich an dieser Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene etwas ändert, erwartet er nicht – egal, wie die Sachsen am Sonntag wählen. Überhaupt könne er dies- und jenseits der Grenze „keine großen Unterschiede in der Bevölkerungsstruktur oder den Meinungen“ erkennen. Die Menschen hier seien „alle irgendwo konservativ und ländlich geprägt“. Im Übrigen haben auch in Gattendorf bei der Europawahl 17,9 Prozent die AfD gewählt. „Erschüttert“ sei er gewesen, sagt Müller.
Anders als Müller stellt Markus Schmidt von der Freien Überparteilichen Wählergemeinschaft durchaus einen Unterschied fest auf den verschiedenen Seiten der Grenze. Schmidt ist zweiter Bürgermeister von Feilitzsch, einer 2700-Einwohner-Gemeinde, die dort liegt, wo die drei Freistaaten Bayern, Sachsen und Thüringen aufeinandertreffen. Er habe Verwandte in Thüringen und wenn er mal da sei, kriege er „schon deutlich mit“, dass die Menschen sich dort zur AfD bekannten „und das auch laut erzählen, was bei uns eigentlich gar nicht der Fall ist“. Veränderungen auf kommunalpolitischer Ebene erwartet er indes ebenso wenig wie Müller, zumal die AfD in den grenznahen Gemeinden auf bayerischer Seite ohnehin „so gut wie gar nicht organisiert“ sei.
In Hof, der mit etwa 48 000 Einwohnern größten Stadt an der Grenze nach Sachsen, sind sie mit den Nachbarn auf der anderen Seite sogar freundschaftlich verbunden: Plauen ist Partnerstadt von Hof und bisher laufe die Zusammenarbeit „sehr gut“, sagt Stadtsprecherin Lydia Würkner. Ob sich daran nach den Wahlen etwas ändert? Abwarten. „Wir sind gespannt und beobachten die Ergebnisse natürlich“, sagt Würkner.