Kabinett:Der Freie Wähler, der aus dem Rahmen fällt

Thorsten Glauber

Umweltminister Thorsten Glauber steht seit dem erfolgreichen Volksbegehren im Rampenlicht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Bayerns neuer Umweltminister Thorsten Glauber fällt mit seinem Modegeschmack und seinem forschen Auftreten auf. Damit verschafft er sich Aufmerksamkeit - auch bei seinem Widersacher und Parteichef Hubert Aiwanger.

Von Lisa Schnell und Wolfgang Wittl

Es ist die richtige Zeit, es ist der richtige Ort, nur der Mann ist falsch. Thorsten Glauber macht allerdings nicht den Eindruck, als würde ihn das stören, zumal er ja selbst dieser Mann ist. Die Koalition stellt gerade 100 Tage die Regierung, da wird Ministerpräsident Markus Söder (CSU) um eine erste Bilanz gebeten. Für die Freien Wähler müsste jetzt eigentlich Hubert Aiwanger antworten, der Parteichef und stellvertretende Ministerpräsident. Doch weil nach der Kabinettssitzung nicht Aiwanger, sondern zufällig Glauber neben Söder in der Staatskanzlei steht, springt er wie selbstverständlich ein. Man habe viele Themen angestoßen, "ich bin ganz zufrieden mit der Zusammenarbeit", sagt Glauber. Wer Aiwangers jahrelang praktizierten Alleinvertretungsanspruch kennt und sein schwieriges Verhältnis zu Glauber, ahnt: Das könnte Stress geben.

Nicht nur Hubert Aiwanger muss sich daran gewöhnen, dass dieser Thorsten Glauber, 48, im Mittelpunkt steht. Kein anderer Minister im Kabinett Söder zieht im Moment mehr Scheinwerferlicht auf sich. Es begann mit der Auseinandersetzung um die Flutpolder beim Hochwasserschutz, setzte sich fort beim Diesel-Streit um Messwerte und Feinstaub, vorläufiger Höhepunkt ist das Volksbegehren Artenvielfalt, das die Bayern bewegt wie lange nichts. Auch wenn Söder das Thema zur Chefsache erklärt hat: Zuständig für die Ausarbeitung ist Glauber. So viel Aufmerksamkeit ist nicht schlecht für jemanden, der nie Umweltminister werden wollte.

Umwelt oder nicht, das war den Pinzbergern ziemlich egal. Bei Glauber daheim in Oberfranken feierten sie ihren Minister mit allem, was ein Ort mit knapp 2000 Einwohnern zu bieten hat: Die Böllerschützen feuerten Salut, die Blaskapellen spielten, alle 29 Vereine jubelten erst auf der Straße, dann im Wirtshaus. Es war ein Feuerwerk des Triumphes in Glauber-Land. Wem der Name Glauber im Landkreis Forchheim nichts sagt, der muss sich aus Berlin hierher verirrt haben.

Glaubers Vater Reinhardt war hier Landrat für die Freien Wähler, Thorsten immer der Sohn. Auch im Hauptberuf Architekt, folgte er dem Vater. Vorher machte er eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker und zum Bauzeichner. Zur Politik kam der Sohn, weil er die Wahlkämpfe des Vaters organisierte. Mit 30 Jahren zog Thorsten Glauber in den Gemeinderat ein. Politik war lange Hobby, bis er 2008 gefragt wurde, ob er für den Landtag kandidieren möchte. 37 Jahre war er da, ein Spätstarter, aber einer mit dem Namen des Landrats. Zweimal holte er die besten Erststimmenergebnisse seiner Partei in Bayern. Er war sogar besser als Hubert Aiwanger, das Gesicht der Freien Wähler.

Aiwanger und Glauber - das sind die Seehofers und Söders der Freien Wähler

Aiwanger und Glauber, das sind die Seehofers und Söders der Freien Wähler. Keiner traut dem anderen, jeder hält sich für den besseren Politiker. Hier der barocke Altbayer Aiwanger, der gern drauflos plaudert. Dort der nüchterne Franke Glauber, der als Architekt gelernt hat, Fakten genau abzuwägen. So erklärt er gerne seinen Politikstil. Aiwanger folgt lieber seinem Instinkt. In der Opposition war er damit erfolgreich. Als Minister, der seine Entscheidungen nach objektiv messbaren Kriterien vertreten sollte, erwischte Glauber den besseren Start. "Die massive Konfliktlinie zwischen Glauber und Aiwanger macht das Regierungshandeln extrem schwierig", klagt ein CSU-Mann.

Als während der Flüchtlingskrise das Grummeln über Aiwangers Rhetorik mehr und mehr zunahm, wurden bei den FW Namen gewälzt, wer Aiwanger überhaupt ablösen könnte. Glauber fehlte nie in der Liste. Als Fraktionschef Florian Streibl seinen Ministern vor Weihnachten ein erstes Zeugnis ausstellte, bekam Glauber die beste Note. Anders als Aiwanger stimme sich der Umweltminister eng mit der Fraktion ab, lobte Streibl. Einen Unterschied aber gibt es zu Seehofer und Söder: Auf persönlicher Ebene tragen Aiwanger und Glauber ihre Differenzen bis jetzt nicht aus. Und trotz Vorbehalten gegenüber dem Vorsitzenden hat Glauber nie versucht, einen Aufstand anzuzetteln. Das vertrage sich nicht mit der Fairness des Sportlers, sagen Leute, die Glauber kennen.

Reinhard Seeber weiß noch, wie Thorsten Glauber als kleiner Bub war. Seeber ist seit 23 Jahren Bürgermeister in Pinzberg. Ein Vierteljahrhundert leitete er den Sportverein, in dem Glauber Fußball spielte. Nun sitzt er in seinem Büro und zeigt stolz ein Foto auf seinem Handy: Glauber im Fernsehen beim Amtseid. "Wenn wir ihn brauchen, ist er da", sagt Seeber. Beide sind weitschichtig miteinander verwandt, politisch gehören sie unterschiedlichen Familien an. Seeber ist CSU-Mitglied, auf seinen dritten Bürgermeister Glauber lässt er trotzdem nichts kommen. Fleißig sei der Thorsten, ehrgeizig, verlässlich und immer am Boden geblieben. In der Politik brauche es pragmatische Lösungen, und wo lerne man das besser als in der Kommunalpolitik? Vier Fraktionen sitzen im Pinzberger Gemeinderat, alle vier gehen Anfang April gemeinsam in Klausur. Den Termin haben sie so gewählt, dass auch Glauber teilnehmen kann. Im vorigen Jahr wurde der Kindergarten in Pinzberg eingeweiht, nun bräuchte es eine Umgehungsstraße. Natürlich hoffen sie da auf ihren Minister. "Vitamin B schadet nur, wenn du es nicht hast", sagt Seeber.

Ein richtig guter Stürmer sei der Thorsten gewesen. Heute läuft Glauber Marathon. Wenn er aber jemanden auf dem Bolzplatz sieht, streift er seine Anzugjacke aus und kickt mit. Schnelligkeit und Torgefahr habe ihn ausgezeichnet, schwärmt Seeber. Eine Fähigkeit ist ihm in besonderer Erinnerung geblieben. "Der Thorsten hat viele Elfmeter rausgeholt. Wenn man ihn berührt hat, ist er gefallen." Als Umweltminister braucht Glauber Steher-Qualitäten. Dem Haus wird nachgesagt, sich nicht führen lassen zu wollen, sondern lieber seine Minister zu führen. Vielleicht auch deshalb hat Glauber an personellen Stellschrauben gedreht. Seinen Mitarbeitern sagte er, er wolle nicht über ihnen, aber auch nicht unter ihnen Minister sein. Wenn Glauber etwas wissen will, ruft er einen Sachbearbeiter auch mal persönlich an. Die zwei bis fünf Ebenen, die normalerweise dazwischengeschaltet sind, müssen sich damit erst noch arrangieren.

Fernseh-Prunksitzung 'Fastnacht in Franken'

Die Aufmerksamkeit genießt Glauber durchaus, wie er zuletzt bei der fränkischen Fastnacht in Veitshöchheim zeigte.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Sogar Kollegen aus der Opposition beschreiben Glauber als einen, der sich schnell in Themen einarbeiten könne. Eine hilfreiche Eigenschaft, um in seinem Amt anzukommen. Denn Umweltminister wollte er nie werden. Bau- und Verkehrsminister, das hätte zum Architekten Glauber gepasst. Ein grünes Gewissen musste er sich nicht zulegen. Er fährt seit Langem ein Elektroauto, im Winter mit Mütze und Schal, damit die Reichweite langt.

Ein Vormittag in der Münchner Residenz: Auf Stellwänden zu Klimaschutz und Mais steht etwas von "Phytopathologie" und "Metabolomik". Glauber eilt an den Stuhlreihen entlang nach vorne. Ebenso dynamisch und mit einem breiten Lächeln schüttelt er die Hände in der ersten Reihe. So, als würde er Freunde treffen, die man viel zu selten sieht; und nicht Wissenschaftler, die er kaum kennt. Glauber hat Sprechkarten dabei, aber er braucht sie nicht. Er versucht gar nicht erst, sich über Metabolomik auszulassen. Stattdessen fordert er die Wissenschaft auf, ihn nicht aus der Verantwortung zu nehmen: "Bestärken Sie uns, dass wir Ihre Resultate umsetzen." Und er kündigt an, dass der Staat beim Klimaschutz als Vorbild vorangehen werde.

Glauber hat schon eine Menge versprochen

Glauber hat schon eine Menge versprochen: eine Zeitenwende im Artenschutz, einen Schutz vor hundertjährigen Hochwassern, er hat runde Tische zum Klimaschutz einberufen. Glauber hat keine Angst, Erwartungen zu wecken, nur: Wird er sie auch erfüllen können? Dass er ein Thema verschläft, muss er sich zumindest nicht vorwerfen lassen. Einigen ist er sogar zu schnell vor der Kamera. Als Glauber vor dem runden Tisch zum Artenschutz vorpreschte und Seitenstreifen entlang von Gewässern garantierte, zog er sich den Zorn in der Koalition zu. "Unprofessionell" moserten CSU-Leute, auch Freie Wähler waren nicht beglückt. Den Kollegen plage wohl ein Geltungsbedürfnis.

Seine Anzüge stimmt er farblich ab von der Krawatte bis zu den knallbunten Socken, für die er eine Vorliebe hegt. Er hat Socken mit Ringeln, Punkten, Elefanten, Palmen und er weiß immer, welche er wann wo und zu welchem Anzug anhatte. Aiwanger kannte man lange nur im Trachtenanzug. Jahrelang war er die Nummer eins bei den Freien Wählern. Wie fühlt sich das an, wenn da plötzlich ein anderer nach vorne drängt? Kein Problem, sagt Aiwanger. "Er hat nie an mir gesägt. Er ist kein Königsmördertyp, sondern ein Kamerad."

Er habe schon immer Glaubers Talent gesehen. Der Konflikt um die Polder? Ganz normal, von denen werde es noch mehr geben. "Umwelt ist der klassische Feind der Wirtschaft", sagt der Wirtschaftsminister Aiwanger, der ja auch Landwirt ist und nicht ganz so begeistert klingt wie Glauber, wenn es um das Bienen-Volksbegehren geht. Eine Chance sei das, "weil wir uns menschlich gut verstehen". Nebenbei erinnert Aiwanger daran, wie die Rollen verteilt sind: Glauber, der Minister. Er, der stellvertretende Ministerpräsident.

Während der stellvertretende Ministerpräsident auf der Terrasse so spricht, wird der Umweltminister im Landtag von Journalisten umringt. Zwei Stunden später als geplant hat Glauber Zeit für einen Cappuccino. Er sagt: "Ich habe Freude an meinem Amt." Wie groß die Begeisterung war, als er die Sache mit den Poldern im Koalitionsvertrag gelesen hat? Glauber schnauft kurz durch, dann lobt er Aiwanger. Offen und ehrlich seien ihre Begegnungen und voller Humor. Selbst über die Polder hätten sie gemeinsam Witze gemacht. Die Bedeutung Aiwangers für die Partei sei groß. Seine Bekanntheit nicht zu nutzen, wäre "sehr unklug". Aber: "Einer alleine kann die Fülle der Aufgaben nicht stemmen. Ich bin überzeugt davon, dass eine breitere Aufstellung deutlich besser trägt."

Dass sein Sohn selbst Teil dieser breiteren Aufstellung sein soll, davon war Reinhardt Glauber lange nicht überzeugt. Er hatte Thorsten vor seiner ersten Landtagskandidatur abgeraten. Zu groß war die Sorge, in seinem Architekturbüro wieder Fuß fassen zu können. Auch vor der Berufung als Umweltminister hatte der Vater jetzt Zweifel. Reinhardt Glauber sitzt an einem Tisch im Erdgeschoss seines Hauses, eine Etage tiefer hat Thorsten sein Revier. So oft es geht, kommt er heim nach Pinzberg. Sein Vater ist sein wohl wichtigster Ratgeber. Manchmal reden sie darüber, dass in der Politik Ämter nur auf Zeit vergeben werden. Die beiden Glaubers ticken da recht ähnlich. "Ich wollte nie von der Politik abhängig sein", sagt Reinhardt Glauber. Landrat war er dann 18 Jahre.

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