Süddeutsche Zeitung

Therapiestelle für Männer mit pädophiler Neigung:"Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist?"

Seit einem Jahr gibt es in Regensburg eine ambulante Therapiestelle für Männer mit pädophiler Neigung. Doch nicht jeder, der glaubt, pädophil zu sein, ist es auch wirklich.

Anja Perkuhn

Das Haus ist weiß. Es gibt auf dem Gelände des Bezirksklinikums in Regensburg viele solcher kleinen Häuschen, weiß sind die meisten. Es ist ein klötzchenhafter Neubau, und klötzchenhaft sind sie auch alle. Nichts soll darauf Rückschlüsse zulassen, dass sich hier einmal pro Woche Menschen mit pädophiler Neigung zur Therapiesitzung treffen, denn das ist eine der wichtigsten Grundregeln der ersten und einzigen ambulanten Therapiestelle Bayerns: Hier herrscht absolute Anonymität.

Im September 2010 ist die Regensburger Anlaufstelle für Menschen mit pädophiler Neigung gegründet worden, nach den Ambulanzen in Berlin (2005) und Kiel (2009) als dritte deutschlandweit. Sie deckt nun den süddeutschen Raum ab - und an der Resonanz, sagt Michael Osterheider, sehe man auch deutlich, dass Bedarf dafür da ist. Er ist Leiter des Projektes und der Forensischen Psychiatrie der Universität Regensburg.

Seit September haben sich 98 Männer über die Telefonhotline des Projektes "Kein Täter werden" mit der Ambulanz in Verbindung gesetzt. Aktuell in Therapie sind 44 Männer, 16 davon in Einzeltherapie, die übrigen auf zwei Gruppen verteilt, eine dritte Gruppe soll bald starten.

Die Therapie folgt einem sogenannten multimodalen Ansatz: Sie besteht aus einer Kombination von Verhaltens- und Sexualtherapie, eine Behandlung mit Medikamenten, die den Sexualtrieb hemmen, ist ebenfalls eine Option. Wer geeignet ist für die kostenlose Gruppentherapie, stellt sich nach mehreren Befragungen und Screenings heraus. Denn nicht jeder, der den Verdacht hat, pädophil zu sein, ist es auch wirklich. Und nicht für jeden ist die Gruppentherapie die beste Lösung - zum Beispiel wenn eine zusätzliche Störung wie eine Psychose oder eine massive Depression vorliegt.

Auch wer bereits straffällig geworden ist, gehört nicht zur Zielgruppe der Ambulanz und wird nicht aufgenommen. "Es geht primär darum, dass potentielle Täter durch die Therapie Verhaltensmaßregeln lernen, damit sie keine Tat begehen", sagt Osterheider. Aus einem Menschen mit pädophiler Neigung wird aber nicht automatisch immer ein Täter - ebenso wenig ist ein Mensch, der einen Übergriff auf ein Kind begeht, definitiv pädophil. Mehr als die Hälfte der wegen Sexualstraftaten an Kindern Verurteilten, sagt Osterheider, seien nicht pädophil, sondern hätten die Tat als eine Ersatzhandlung begangen.

Dass solche Feinheiten in der Gesellschaft verstanden werden, ist ebenfalls Anliegen der Ambulanz - auch im Interesse der Patienten. Sie haben sich alle freiwillig gemeldet, weil sie lernen wollen, mit ihrer Neigung zu leben und verantwortungsvoll umzugehen. Dass man sie als Sexmonster abstempeln könnte, ist für viele eine der größten Sorgen.

Ursachenbündel aus biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren

Vom Studenten, Lehrer und Erzieher bis zum Ingenieur, Arbeiter und katholischen Priester sind fast alle sozialen Schichten vertreten, die Altersspanne reicht von 19 bis 75 Jahren. Und sie alle werden in der ein bis zwei Jahre dauernden Therapie akzeptieren müssen, dass sie zwar nicht für ihre Neigung verantwortlich sind. Aber dass sie sie auch nicht werden ändern können.

Was genau die Ursachen dafür sind, dass sich manche Menschen sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, ist nicht eindeutig geklärt. Auch daran forscht das in der Berliner Universitätsklinik Charité beheimatete "Präventionsprojekt Dunkelfeld", das gewissermaßen Schirmherr der Ambulanzen ist. Die Forscher gehen von einem Ursachenbündel aus biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren aus. Dass deutschlandweit nach sehr groben Schätzungen etwa 300.000 Männer betroffen sind, aber verschwindend wenige Frauen, und dass die ersten Anzeichen für eine pädophile Neigung in der Regel nach der Pubertät auftreten, werten sie außerdem als Zeichen, dass auch Hormone eine große Rolle spielen.

Das Feld ist bisher nur leidlich erforscht. Im Regensburger Projekt gehe es auch nicht in erster Linie um Forschung, betont Osterheider. "Wir verstehen uns ganz klar als ein Angebot der Opferprävention", sagt er. Die mit drei Psychologen besetzte Ambulanz, finanziert mit 600.000 Euro vom Freistaat Bayern, soll sich erst einmal über eine Laufzeit von drei Jahren als Therapiestelle beweisen.

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Quelle:
SZ vom 29.09.2011/sonn
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