„Zeitlang“-Projekt der SZ-BayernredaktionWaigel und die weite Welt

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Theo Waigel ist nicht mehr politisch aktiv - aber er hat jede Menge Anekdoten aus seinem Leben in der Öffentlichkeit parat.
Theo Waigel ist nicht mehr politisch aktiv - aber er hat jede Menge Anekdoten aus seinem Leben in der Öffentlichkeit parat. (Foto: Philipp von Ditfurth)

Der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel spricht in Krumbach über seine Heimat, über Europa und über Friedrich Merz. Dass die Geschichte von Bayerns Verfassung neu geschrieben werden muss, erzählt er eher nebenbei.

Von Florian Fuchs, Krumbach

Theo Waigel ist Ehrenvorsitzender der CSU, viele Jahre war er Bundesfinanzminister, er gilt als Vater des Euro. Der Mann ist 86, er hat viel gesehen. Eines seiner „schönsten Erlebnisse“ aber, wie er erzählt, geht zurück auf die Schulzeit: Eine verheerende Niederlage musste er damals einstecken mit seinen Freunden von der Oberschule in Krumbach, fünf Tore hatten ihnen die Gegner vom Gymnasium in Günzburg beim Fußball eingeschenkt. Da war das Rückspiel kein leichter Gang, bald schon stand es wieder 0:2. Aber dann haben sich die Burschen aus Krumbach zusammengerissen, die Günzburger wurden überheblich. „Und dann haben wir noch 3:2 gewonnen“, erzählt Waigel.

Die Landkreisstolperer, die Datschiburger Kickers, die Fußballmannschaft des Bundestags: Waigel hat eine große Karriere hingelegt, gerne als Linksaußen, weil die von der SPD, das erzählt Waigel gerne, die können links nicht scharf schießen. Es sind heitere Anekdoten, die Waigel auf Einladung der Süddeutschen Zeitung im Heimatmuseum in Krumbach erzählt, dabei wäre er fast gar nicht angekommen. Eine Reifenpanne erschwerte ihm den Weg von Seeg im Allgäu zurück in die Heimat der Kindheit und Jugend, aber Theo Waigel lässt sich von so etwas nicht aufhalten: Lieber nimmt er sich ein Taxi und kommt mit zehn Minuten Verspätung. Die Zuhörer freut es, dass er da ist.

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Denn es geht nicht nur um Fußball in der folgenden Stunde, Waigel redet über Trump und über Merz, über die AfD und die sozialen Medien, über die EU und die Ukraine. Und er hat so viele Anekdoten bereit, dass die Moderatorin und SZ-Ressortleiterin für Bayern, Katja Auer, eigentlich nur Stichpunkte geben muss. Dass zum Beispiel die Geschichte der bayerischen Verfassung neu geschrieben werden muss, das erzählt Waigel eher nebenbei.

Der damalige Landrat von Krumbach nämlich, Fridolin Rothermel, hatte demnach kein Auto, um nach München zur verfassungsgebenden Landesversammlung zu fahren. Also kutschierte ihn ein ums andere Mal ein befreundeter Gastwirt, dem es aber entschieden zu kalt war, um draußen zu warten. Also schlich er sich ebenfalls in die Aula der Ludwig-Maximilians-Universität, wo es beheizt war. „Und um nicht unangenehm aufzufallen“, berichtet Waigel, „hat er bei den Abstimmungen einfach auch die Hand gehoben.“ Es wird Sache der Verfassungsrechtler sein, zu prüfen, ob die bayerische Verfassung somit überhaupt rechtmäßig ist.

Man kann nur von Glück reden, dass der Landkreis Krumbach bei der Gebietsreform 1972 aufgelöst wurde, sonst würde Theo Waigel nun vielleicht als Alt-Landrat firmieren. So aber musste er sich nach Alternativen umsehen, die er dann eindrücklich fand. Und so erzählt er, dass er dem neuen Kanzler Friedrich Merz auch mal Kurznachrichten via Handy schickt, um etwa seine Meinung zur Abstimmung mit der AfD kundzutun. Und auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder erhält regelmäßig Mitteilungen.

Höcke? Könnte man die Grundrechte entziehen

Die AfD, findet Waigel, müsse man politisch stellen, wobei man schon einmal darüber nachdenken dürfe, Menschen wie Björn Höcke nach Artikel 18 des Grundgesetzes die Grundrechte zu entziehen, „um ein Exempel zu statuieren“. Trotz allem ermuntert Waigel in schweren Zeiten, hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen, eben weil es die Europäische Union und den, seinen, Euro gibt. Was würde der US-Präsident anrichten, wenn er mit jedem europäischen Land einzeln verhandeln könnte, fragt Waigel. Wie verheerend wäre die Lage in Zentraleuropa, wenn es die Wiedervereinigung nie gegeben hätte und noch immer 400 000 sowjetische Soldaten, 8000 Panzer, 180 Raketensysteme und 1000 Flugzeuge und Hubschrauber auf deutschem Boden stationiert wären? „Unsere einzige Chance zu bestehen in einer schwierigeren, heterogenen Welt, ist doch Europa.“

Waigel ist noch immer in der weiten Welt zu Hause, doch nach Krumbach und Ursberg, wo er im kleinen Ort Oberrohr geboren ist, kehrt er immer wieder gerne zurück. „Zeitlang“ heißt die Ausstellung der SZ im Heimatmuseum, zu der Waigel geladen war, mit Fotografien und Texten der Redaktionsmitglieder Sebastian Beck und Hans Kratzer. Zeitlang, sagt Waigel, heißt für ihn auch, Heimweh zu haben. Er hatte das früher im Studium, vor allem in Würzburg. Er hat es auch jetzt noch, nach dem örtlichen Bräuhaus und der benachbarten Kirche, den zwei Institutionen in seinem Heimatort, denen er zu Hause immer einen Besuch abstattet. Und zwar in dieser Reihenfolge, wie er mit einem Lächeln betont.

Zeitlang, das Ausstellungs- und Kulturprojekt der SZ-Bayernredaktion, gastiert bis 1. Juni in Krumbach. Am Sonntag, 25. Mai, laden Sebastian Beck und Hans Kratzer um 19 Uhr zu einer musikalischen Lesung ein. Am Sonntag, 1. Juni, führt Sebastian Beck ab 15 Uhr noch einmal durch die Ausstellung. Alle Termine und Öffnungszeiten sind unter www.museum-krumbach.de zu finden. Auch die nächste Station steht bereits fest: Von 17. Juli an ist Zeitlang im Freilichtmuseum des Bezirks Oberbayern in Amerang zu sehen.

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