Telemedizin:Internet-Sprechstunden können Lücken in medizinischer Versorgung schließen

Doktor auf dem Bildschirm: Wenn der Telearzt Hausbesuch macht

Eine Behandlung per Video kann die ärztliche Versorgung gerade in ländlichen Gebieten ergänzen. Vor allem, wenn sich Arzt und Patient schon kennen.

(Foto: Christin Klose/dpa)
  • Mit Hilfe von Arztgesprächen über Video können Patienten auch ohne Mediziner in der Nähe versorgt werden.
  • Insbesondere für ländliche, dünn besiedelte Gebiete ist das eine Chance.
  • Ob Telemedizin den persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient ersetzen kann, ist allerdings umstritten.

Von Birte Mensing, Baar-Ebenhausen

Auf dem Laptop erscheint das Gesicht des Hausarztes. "Können Sie mich hören?" Die Stimme des Arztes Siegfried Jedamzik klingt aus den knarzenden Computerlautsprechern - Herr Seifert nickt. Herr Seifert heißt eigentlich anders, seit einem Schlaganfall lebt er im Seniorenzentrum in Baar-Ebenhausen (Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm). Er kann nicht mehr sprechen, er lernt langsam, sich wieder zu bewegen. Weil er eine Rötung am Arm hat, sind er, seine Frau und die Pflegedienstleiterin Carmen Wansner zur Videosprechstunde verabredet.

Solche Arztgespräche über Video sind eine von vielen Möglichkeiten der Telemedizin, die technische Kommunikation über Telefon und Internet mit ärztlicher Versorgung kombiniert. Immer mit dem Ziel, Patienten möglichst lückenlos zu versorgen, auch wenn gerade kein Arzt in der Nähe ist. In Deutschland gibt es mittlerweile neun zertifizierte Anbieter für Videosprechstunden. Die bayerische, staatlich geförderte Telemedallianz hat im März eine eigene Version namens Doccura auf den Markt gebracht. Wie die anderen auch bietet sie Patienten an, Sprechstunden am Computer wahrzunehmen, wenn es um eine kurze Beratung geht.

Mediziner Siegfried Jedamzik versucht seit Jahren als Leiter der Telemedallianz in Bayern, immer mehr Verbindungen von Technik und medizinischer Behandlung zu etablieren. Sein neuestes Projekt Doccura nutzt er selbst in seiner Praxis. "Wir können jetzt quasi das Hautbild in die Telefonsprechstunde einbeziehen", sagt der Mediziner. Ärzte wie auch Patienten sparen sich Fahrt- und Wartezeiten, können aber trotzdem von Angesicht zu Angesicht miteinander sprechen. Jedamzik arbeitet mit seinem Angebot Doccura nicht nur direkt mit Patienten, sondern auch mit Einrichtungen wie dem Wundzentrum in Ingolstadt oder eben dem Seniorenzentrum in Baar-Ebenhausen zusammen.

Carmen Wansner zieht einen Handschuh über und führt die mit dem Laptop verkabelte kleine Kamera an die gerötete Stelle am Arm von Herrn Seifert. "Die Rötung ist vier auf zweieinhalb Zentimeter groß, noch keine Wunde, die Haut ist schuppig", beschreibt sie. Siegfried Jedamzik betrachtet die Stelle über das Video von allen Seiten. Dann ist er sich sicher: ein klassisches Ekzem. Er empfiehlt eine Salbe, "damit sie das schnell wieder loswerden". Herr Seifert lacht. Und scheint zufrieden zu sein mit dem Arztgespräch.

Das ist nicht selbstverständlich: "Für viele Bewohner ist das am Anfang befremdlich, aber sie sind dann froh, wenn ihr Problem schnell gelöst wird", sagt die Leiterin des Seniorenzentrums, Alexandra Litterscheidt. Auch für die Angestellten ist es eine Erleichterung, den Umgang mit dem Programm hat Carmen Wansner schnell gelernt: "Das ist so einfach zu bedienen wie Videoanrufe übers Handy."

Draußen zwitschern Vögel, ein Rasensprenger plätschert. Alle paar Minuten fährt langsam ein Auto vorbei. Im Novita Seniorenzentrum in der 5000-Einwohner-Gemeinde Baar-Ebenhausen leben 80 Menschen, manche sind mehr, andere weniger auf Hilfe angewiesen. Einmal in der Woche kommen die jeweiligen Hausärzte zur Visite aus Ingolstadt, im Ort gibt es keine Ärzte. Die Hausarztpraxis von Siegfried Jedamzik betreut rund zwei Drittel der Bewohner. Um gerade in solchen Gebieten Lücken in der ärztlichen Versorgung zu schließen, hat Jedamzik mit seinem Team von der Telemedallianz in Ingolstadt die Software für Doccura entwickelt, die inzwischen von 35 Ärzten rund um Ingolstadt genutzt wird.

Bessere Versorgung, aber Hoheit über die Art der Behandlung

Im Mai hat der Deutsche Ärztetag Lockerungen im Fernbehandlungsverbot beschlossen. Im Einzelfall darf ein Arzt nun auch jemanden per Videosprechstunde beraten, zu dem er vorher keinen persönlichen Kontakt hatte. Bevor das auch in Bayern gilt, muss die Landesärztekammer diese Neuerungen auf dem Landesärztetag im Oktober übernehmen. Präsident Gerald Quitterer schreibt im Ärzteblatt: "Ich halte nach wie vor den persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient für nicht ersetzbar. Eine Diagnose, die auf einer Untersuchung mit allen fünf Sinnen basiert, ist fundierter." Er ziehe es vor, wenn eine Arzthelferin mit dem Gerät vor Ort beim Patienten ist. Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) bekräftigt aber: "Gerade im ländlichen Raum kann die Behandlung über Telemedien - etwa im Rahmen einer Videosprechstunde - dazu beitragen, ein flächendeckendes medizinisches Angebot bereitzustellen."

Die bayerischen Ärzte wollen vor allem zwei Dinge: Ihre Patienten besser versorgen, dabei aber die Hoheit über Termine und Art der Behandlung behalten. Das sieht der stellvertretende Vorsitzende des bayerischen Hausärzteverbandes, Markus Baier, beim Vorstoß der Bayerischen Telemedallianz gegeben. Doch er mahnt an, dass sich bayernweit zuerst die Internet- und Mobilfunk-Infrastruktur drastisch verbessern müsse, damit Ärzte Videosprechstunden einführen könnten, egal ob mit einer Arzthelferin vor Ort oder bei direktem Arzt-Patienten-Kontakt.

Obwohl das Seniorenzentrum in Baar-Ebenhausen erst vor zwei Jahren gebaut wurde, hat niemand an eine vernünftige Internet-Verbindung gedacht. Ein Fehler, da sind sich alle einig, auch Leiterin Alexandra Litterscheidt. "Wir müssen überlegen: Wer sind zukünftige Bewohner und was brauchen die?", sagt sie. Inzwischen sind 14 Router über das Gebäude verteilt, ebenso wie der Laptop finanziert aus Projektmitteln von Doccura.

Die Salbe für Herrn Seifert wird direkt bei der Apotheke bestellt, denn das Seniorenzentrum in Baar-Ebenhausen macht noch bei einem zweiten Projekt von Jedamziks Telemedallianz mit. Die Arztpraxis, das Pflegeheim und die örtliche Apotheke sind über ein EDV-System verbunden, in dem die Pflege dokumentiert wird. Nach zehn Minuten Gespräch verabreden sich die Beteiligten für Freitagmittag, der Arzt will dann überprüfen, ob das Ekzem am Arm gut verheilt. "Sagt man jetzt: Auf Wiedersehen oder Auf Wiederhören?", fragt Frau Seifert halblaut, ihr Mann muss lachen. Mit der Zeit wird sich auch das einspielen.

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