Tegernsee:Warum alte Nazis die letzte Hoffnung dieses Hotels sind

Hotel Lederer (Bad Wiessee am Tegernsee) direkt am Seeufer. Das Hotel ist längst außer Betrieb, wird demnächst abgerissen und war Schauplatz der Verhaftung  von Röhm durch Hitler.

Das Hotel Lederer in Bad Wiessee am Tegernsee wird demnächst abgerissen.

(Foto: Florian Peljak)

Das "Lederer" am Tegernsee steht vor dem Abriss. Um seine Zukunft zu retten, setzen die früheren Betreiber auf die Vergangenheit: Denn in diesem Hotel verhaftete Hitler einst seinen Rivalen Röhm.

Von Matthias Köpf, Bad Wiessee

Für ihn ist es mehr als bitter, aber so weit ist es gekommen: Adolf Hitler und Ernst Röhm sind Josef Lederers letzte Hoffnung. Nicht dass Lederer irgendwas am Hut hätte mit den Nazis, die im Jahr seiner Geburt den Zweiten Weltkrieg begonnen haben. Und Röhm war beim Überfall auf Polen 1939 ja schon mehr als fünf Jahre tot, erschossen auf Hitlers Befehl am 1. Juli 1934. Zuvor hatte der "Führer" seinen Rivalen persönlich verhaftet. Das war im ersten Stock.

Dann mussten die Gefangenen runter in den Keller, ehe Hitlers Schergen sie wegbrachten aus dem Kurheim "Hanselbauer" in Bad Wiessee. Zwei Jahre danach übernahm Lederers Vater das Hanselbauer, das später zum "Lederer" wurde und noch später zum "Lederer am See". Nun ist es seit ein paar Jahren zu, und wenn es nach dem Investor und der Gemeinde geht, wird dieser geschichtsträchtige Ort selbst bald Geschichte sein. Es sei denn, die Denkmalschützer hätten ein Einsehen. Wegen Hitler und Röhm.

Josef Lederer hat deren Geschichte selbst viele Male erzählt, meist beim Gästeempfang hier im Erdgeschoss, im Salon des Hotels. Auch den jüdischen Gästen hat er sie nicht verschwiegen. Viele von ihnen sind in der Nachkriegszeit zu Erholungsaufenthalten hier abgestiegen, und manche sind Freunde geworden wie Dixi Heim. Die schwarze Ledertasche, die Josef Lederer einst von ihm bekommen hat, nimmt er jeden Vormittag zu seinen Behandlungen mit ins Krankenhaus.

Lederer sieht Dixi noch vor sich im Salon stehen, genau wie den hünenhaften Sergeant Major Gordon, der als britischer Soldat hier auch einmal das Kommando führte, als das Lederer britischen Soldaten als Erholungsheim diente. Auch der Schotte Gordon kam noch viele Jahre, beim Empfang trat er zur Freude der anderen Gäste gern im Kilt auf.

Der 78-jährige Josef Lederer hat viele Anekdoten parat. Aber das mit Hitler und Röhm im Hanselbauer ist keine Anekdote, es ist Geschichte. Röhm und seine bewaffnete SA waren ein großer Machtfaktor in der Partei und wurden zugleich immer mehr zur Belastung für Hitlers Regime. Ihnen ging Hitler nicht weit genug, vor allem nicht gegen die Reichswehr, mit der es sich Hitler nicht verderben wollte. Zugleich zogen öfter pöbelnde SA-Gruppen durch die Straßen, erpressten Schutzgeld oder Freibier.

In den Betten einiger SA-Leute fanden sich junge Männer

Röhm war im Juni 1934 zur Kur am Tegernsee, für den schon damals der Name "Lago di Bonzo" aufgekommen war. Er und andere SA-Granden wohnten samt Gespielen im Hanselbauer, Hitler hatte eine Konferenz anberaumt und großteils gefälschte Beweise für einen "Röhm-Putsch" sammeln lassen. Am Morgen des 30. Juni ließ er sich mit einem kleinen Kommando von SS-Leuten nach Bad Wiessee fahren und überraschte Röhm in seinem Zimmer.

"Röhm, du bist verhaftet", soll Hitler gesagt haben, je nach Quelle mit der Reitpeitsche, der Pistole oder beidem in der Hand. In den Betten einiger SA-Leute fanden sich junge Männer, was Goebbels hinterher genüsslich ausschlachtete. Viele Gefangene wurde noch am Abend erschossen. Vor dem Mord an Röhm schreckte Hitler in dieser "Nacht der langen Messer" zurück. Erst tags darauf ließ er Röhm in Stadelheim eine Pistole auf den Tisch legen und ihn, als der es nicht selbst tat, erschießen.

In den Türstock von Zimmer 7, in dem Röhm abgestiegen war, ist heute die Nummer 335 geschnitzt. Das Interieur stammt vom Ende der Sechzigerjahre, als Josef Lederer das Hotel erbte und auf den damals neuesten Stand bringen ließ. Der knarzende Holzboden kam raus, die Tür mit den Ritzen.

Dafür ein Doppelbett in Eiche, ein Einbauschrank, eine Polstergarnitur, rote Leinenvorhänge, ein eigenes Bad statt der Etagentoiletten. Ein ganz normales Zimmer, wie es im Hotel samt seinen Anbauten aus den Siebzigern zu den Hochzeiten bis zu 160 Stück gegeben hat. Ecklage immerhin, mit zwei Balkonen und bestem Blick auf den See und den Wallberg.

Begehrter als die anderen war es bei den Gästen nicht, sagt Josef Lederer. Nur Visconti hätte es gern gemietet, aber den Trubel wollte Lederer nicht. Visconti musste die Hanselbauer-Szenen aus seinem Melodram "Die Verdammten" von 1969 dann woanders drehen. Er inszenierte die Nacht von Bad Wiessee als Schwulen-Orgie, bei der nicht alle SA-Leute ihre Braunhemden und viele überhaupt nichts anhatten. Die SS rückte zu Dutzenden an und mähte die Berauschten mit MGs nieder.

Bald kamen die Kurkrise und der Niedergang

Lederer bleibt lieber bei der Geschichte, die auch seine ist. Noch nicht ganz am Anfang, als man in Wiessee beim Ölbohren auf Jod-Schwefel-Quellen stieß und die Hanselbauers Mitte der Zwanzigerjahre ein Kurheim in die feuchten Wiesen am See bauen ließen. Aber an die Amerikaner erinnert sich Lederer schon. Sie nahmen bei Kriegsende hier Quartier, Lederers wohnten im Keller. In der Bar gab es "viel Whiskey, Weiber, Jazzmusik und Krawall", sagt Lederer.

Hotel Lederer (Bad Wiessee am Tegernsee) direkt am Seeufer. Das Hotel ist längst außer Betrieb, wird demnächst abgerissen und war Schauplatz der Verhaftung  von Röhm durch Hitler.

Lederer kämpft weiter um das Haus, das ihm schon lang nicht mehr gehört.

(Foto: Florian Peljak)

Wo Schokolade und Cola gelagert waren, fanden die Kinder auch heraus. Bis 1951 waren die Briten da, danach wieder Hotelgäste. Lange war das Lederer das erste Haus am Platz, mit beleuchteten Wasserspielen. 1974 waren Brasiliens Fußballer da, und immer wieder der FC Bayern. Lederer baute aus und um bis in die Neunziger. Im dritten Stock gibt es noch Mahagoni-Mobiliar, marmorne Waschtische und goldfarbene Wasserhähne.

Doch vieles hat Josef Lederer verkauft, denn bald kamen die Kurkrise und der Niedergang. Die Gemeinde wollte ausstehende Gebühren eintreiben, die Bank kündigte die Kredite, Lederer verhandelte mit Ketten und Kaufinteressenten, und zu allem Überfluss wurde mitten in der Hochsaison nebenan die Spielbank abgerissen. Dass es 2011 zur Zwangsversteigerung kommen sollte, sieht Lederer - im Gegensatz zu diesen - als verabredetes Zusammenspiel von Gemeinde, Bank und Investor. Doch einen letzten Sieg errang er: Einen Tag vor der Versteigerung verkaufte er selbst und zahlte seine Schulden.

Zwei Jahre später gehörte das Ganze doch dem Hexal-Gründer Thomas Strüngmann aus Tegernsee. Der erwarb auch ein benachbartes Hotel, die Spielbank-Brache und weiteren Grund, um in allerbester Seelage das lange ersehnte Luxushotel zu bauen. Gerade wurden neue Pläne vorgestellt, statt eines massiven U soll jetzt ein etwas niedrigeres Gebäude in Zickzack-Form Platz nehmen am See.

Doch die Denkmalschützer wollen nicht viel wissen von Röhm und Hitler

Die Pumpe, die das Wasser fernhält, ist jetzt ausgeschaltet, aber das Hochwasser von 2013 hat im Keller ohnehin schon einigen Schaden hinterlassen. Im Restaurant kommt die Decke herunter, und die groben Bohrungen in den Böden, auch im Bad des Röhm-Zimmers, dienen zwar zum Erkunden der Substanz, aber nur für den Abriss. Josef Lederer hat bis dahin ein Wohnrecht und noch keine Pläne, wo er dann hinsollte mit sich, seiner 85 Jahre alten Haushälterin, die früher hier Zimmermädchen war, und mit den vier Pferden im Waschhaus.

Lederer ist krank, aber er kämpft weiter um das Haus, das ihm schon lang nicht mehr gehört, aber aus dem sich doch wieder viel machen ließe, wie er sagt. Immer wieder lässt der Zorn dem 78-Jährigen die Stimme versagen und treibt ihm Tränen in die Augen. Doch die Denkmalschützer wollen nicht viel wissen von Röhm und Hitler. Jetzt verlangt Lederer einen Ablehnungsbescheid, gegen den er dann klagen könnte, wie er schon so oft geklagt hat.

Denn vielleicht könnte die Geschichte ja doch anders weitergehen. So wie sie im Juni 1934 eine andere Endung hätte nehmen können, wenn sich die SA-Leute, die im Lastwagen am Hanselbauer ankamen, nicht von Hitler hätten wegschicken lassen. Oder wenn der SA-Mann, der bei Hitlers Anblick nach eigener Aussage gleich gewusst hat, was ihm die Stunde schlug, seine Pistole bei sich gehabt hätte.

Die ist dann vier Wochen später in einer Polsterritze im Damensalon gefunden worden, wie sich eine Zeitzeugin später erinnern sollte. In diesem Oktober sollen die Bagger kommen. Danach wird auch der Schauplatz all dieser Ereignisse nur noch Erinnerung sein.

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