Eine Universität mit Modellcharakter soll die Technische Universität Nürnberg sein, so steht es im Eckpunktepapier. Geplant ist die Eröffnung für 2025, bisher gibt es nur ein Konzept, einen Wikipedia-Eintrag und das Grundstück im Süden Nürnbergs. Das Konzept der Gründungskommission um Wolfgang Herrmann, den Präsidenten der Technischen Universität in München, liegt derzeit beim Wissenschaftsrat.
Ob dieses Gremium zur Qualitätssicherung der Hochschullandschaft die Ideen der 16 Kommissionsmitglieder abnickt, wird wohl erst im Herbst 2019 bekannt. Bis dahin laufen Gespräche, heißt es aus dem Ministerium. Fraglich ist, ob die Betreuungsquote von einem Professor auf 25 Studenten durchgeht. Das widerspräche der Gleichbehandlung aller Universitäten, denn die TU Nürnberg wäre deutlich besser gestellt als alle anderen.
Nürnberg:Opposition kritisiert Pläne für neue Vorzeige-Uni
Zwar begrüßt die Opposition eine neue Universität in Nürnberg. Allerdings befürchten einige Politiker Nachteile für andere Hochschulen der Region.
Im Eckpunktepapier heißt es, Anspruch und Chance dieser Neugründung sei es, "frei von traditionsgebundenen Vorprägungen neue Wege zu beschreiten". Das soll wohl auch erklären, wieso in der Heimatstadt des Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) für 1,2 Milliarden Euro eine neue Technische Uni entsteht, obwohl es die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und die Technische Hochschule Nürnberg (THN) gibt. Das Verweben von Geistes-, Sozial-, und Naturwissenschaften in den sechs Departments "Mechatronic Engineering", "Quantum Engineering", "Biological Engineering", "Computer Science and Engineering", "Humanities and Social Sciences" und "Natural Sciences and Mathematics" hatte Münchens TU-Chef Herrmann bereits als Neuheit angepriesen.
Darüber hinaus soll die Lehre an der TUN absolut digital werden. "Konsequenter Einsatz digitaler Methoden in Forschung, Lehre und Verwaltung", heißt es im Eckpunktepapier. Das dürften bereits jetzt einige Hochschulen für sich reklamieren. Wirklich konsequent nutze aber kaum jemand die Digitalisierung, sagt Jürgen Handke.
Handke ist Professor für Anglistik an der Philipps-Universität in Marburg. Er brachte sein Konzept der digitalen Lehre in die Kommission ein. "Je länger wir nachdachten, desto klarer war, dass wir nur mit radikaler Veränderung des Lehrkonzepts punkten und eine neue Universität rechtfertigen können", sagt Handke. Denn gute Forschung werde auch an der FAU und der THN betrieben. Seine Studenten lernen seit 2001 schon zuhause neue Inhalte durch digitale Materialien und Videos, die Handke und sein Team eigens erstellt haben. Präsenz an der Uni ist trotzdem Pflicht. Dort arbeiten die Studenten in kleinen Teams an Vertiefungsaufgaben.
Die Dozenten werden "Lernbegleiter"
Dieses "Inverted Classroom-Konzept" wird auch an einzelnen bayerischen Schulen ausprobiert. Dort gilt meist: Die Lehrer sind Enthusiasten und erstellen die Videos selbst. Auch Handke sieht sich nicht mehr als Stoffvermittler, sondern als "Lernbegleiter". Er und seine Tutoren sitzen in der Uni inmitten der Studenten, beantworten Fragen, diskutieren und beraten. Das sei anstrengender als stets die gleiche Vorlesung vorzutragen, sagt der Anglist. "Aber das gibt mir eine größere Lehrbefriedigung als 100 Studenten 90 Minuten zu beschallen." Die jungen Frauen und Männer lernen, im Team zu arbeiten und die technischen Möglichkeiten ihrer Zeit einzuschätzen, zu nutzen und auch mal abzulehnen.
Die Digitalisierung bringt Handkes Studenten auch Flexibilität: Sie können ihr Studium beschleunigen oder ohne Zeitverlust ins Ausland gehen. Wer mehr digitale Lerneinheiten durcharbeitet und schneller lernt, kann die Klausuren vorziehen. Die Prüfungen lässt Handke am PC schreiben, die Aufgaben wählt ein Zufallsgenerator aus 5000 Fragen aus. Sorgen um Internet-Recherche wiegelt der Professor ab: Studenten hätten keine Zeit, Antworten nachzuschlagen. Geht es nach Handke, so werden elektronische Klausuren und Inverted Classrooms zum Alltag an der TUN. Zeit zum Korrigieren habe kaum ein Dozent, sagt er - und der PC präsentiere nach wenigen Minuten Ergebnisse. Sollte dieses Konzept an der TUN Realität werden, könnten auch klassische Hörsäle zur Ausnahme werden. Digitale Lehre bringt neue Freiheiten für die Inneneinrichtung, so lange Strom fließt und das Internet funktioniert.
Seit einem Jahr sind in Marburg sogar humanoide Roboter im Einsatz, programmiert haben sie Handke und sein Team selbst. Pepper, Yuki und ihre Kollegen funktionieren übers Kindchenschema, wirken also niedlich, begrüßen an der Uni Erstsemester oder prüfen Studenten per Quiz zur Klausurvorbereitung. Mit "Project Heart - Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching" erforscht Handke deren Einsatz im Uni-Alltag und erhofft sich weitere Entlastung. Etwa von einfachen, stets gleichen Studentenfragen: In dieser Woche testete er seine Roboter erstmals in der Sprechstunde mit Studenten.
Der typische Einwand lautet: Schafft er sich als Dozent so nicht selbst ab? Handke winkt ab. Ihn habe das Konzept befreit, sagt er. Die Idee entstand, weil er vor Jahren keine Lust mehr hatte, zum x-ten Mal die gleiche Vorlesung zu halten. "Ich war unzufrieden, weil ich nie wusste, ob die Wand aus Menschen vor mir überhaupt etwas kapiert hat." Mit seinem Team begann er, den Kurs zu digitalisieren. Mittlerweile gehe das recht schnell, sagt Handke. In seinem Büro steht ein Video-Studio, in den vergangenen acht Wochen entstanden gut 20 Videos. Hunderte gibt es im Internet. Handkes Homepage "the virtual linguistics campus" hat 17 000 Abonnenten, der Youtube-Kanal 55 000. Am stärksten genutzt werden die Videos in den USA, gefolgt von China. "Nur nicht in Deutschland - wir hängen uns immer mehr selber ab", sagt der Anglistik-Professor.
Wer mit Dozenten spricht, vernimmt ein Zögern, fremdes Material zu benutzen. Die wenigsten IT-fernen Forscher können selbst programmieren oder Videos erstellen. Handke hat es leichter, er kommt aus der Computerlinguistik. Das führt bei ihm nicht zu Milde, so schwer sei das nicht mit den Videos, sagt er. Für die neue TUN aber fordert Handke neue Jobs. Zwei Jahre vor der geplanten Eröffnung 2025 müssten eigene Entwickler engagiert werden, die fachlich gut sind und digitale Lehrmaterialien erstellen können. Bezahlt werden müssten sie wie Professoren - und dazu fest angestellt. Eine Universität im Aufbau brauche langfristig neues Lehrmaterial.