Tag der Archive:Einblicke in alle Höhen und Tiefen des Menschseins

Tag der Archive: Das Bild, das im Staatsarchiv Coburg aufbewahrt wird, zeigt Königin Victoria von Großbritannien, wie sie mit der Maultierkutsche ausfährt. Die Aufnahme entstand im April 1894 anlässlich der Hochzeit von Prinzessin Victoria Melita von Sachsen-Coburg und Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, bei der die Queen zu Besuch war.

Das Bild, das im Staatsarchiv Coburg aufbewahrt wird, zeigt Königin Victoria von Großbritannien, wie sie mit der Maultierkutsche ausfährt. Die Aufnahme entstand im April 1894 anlässlich der Hochzeit von Prinzessin Victoria Melita von Sachsen-Coburg und Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, bei der die Queen zu Besuch war.

(Foto: Staatsarchiv Coburg/Bayerisches Hauptstaatsarchiv)

Von der königlichen Geburtsurkunde bis zum Mordwerkzeug, von der historischen Fotografie bis zu den Tagebüchern Michael Kardinal von Faulhabers: Unter dem Motto "Fakten, Geschichten, Kurioses" öffnen die bayerischen Archive - überwiegend virtuell - am 5. und 6. März wieder ihre Pforten für Besucherinnen und Besucher.

Von Hans Kratzer, München

In grauer Vorzeit startete Karl der Große den Versuch, die Flüsse Rhein und Donau mit einem schiffbaren Kanal zu verbinden. Dieses Mega-Bauprojekt aus den Jahren 792/793 ging unter dem Namen Fossa Carolina (Karlsgraben) in die Geschichte ein. Obwohl der Kanal nie fertiggestellt wurde, gilt er als ein Paradebeispiel mittelalterlicher Ingenieursleistung. Überdies handelt es sich um eines der bedeutendsten Bodendenkmäler des frühen Mittelalters in Deutschland. Noch heute sind die Reste der Fossa Carolina zwischen Treuchtlingen und Weißenburg in Mittelfranken gut zu erkennen.

Im riesigen Sammlungsbestand des Bayerischen Landesluftbildarchivs in Neustadt an der Aisch gibt es eine Aufnahme vom April 1957, die den Karlsgraben und dessen Dimension sehr deutlich aus der Luft zeigt. Live zu sehen ist dieses Bild am Samstag, denn auch das Bayerische Landesluftbildarchiv nimmt am Tag der Archive teil. Bei stündlichen Archivführungen erhalten die Besucher von 10 bis 17 Uhr Einblicke in die Sammlung, die viele kuriose und geheimnisvolle Luftbilder enthält (Anmeldung unter info@bayllz.bayern.de oder unter Tel. 09161/8280299).

Seit dem Jahr 2001 findet alle zwei Jahre der bundesweite Tag der Archive statt, an dem stets auch viele bayerische Archive ihre Türen für ein breites Publikum öffnen. In diesem Jahr lässt die Pandemie jedoch nur wenige Präsenzveranstaltungen zu, das Landesluftbildarchiv zählt zusammen mit dem Stadtarchiv Wasserburg (Sonntag 10-13 und 14-17 Uhr) zu den wenigen Ausnahmen, die das Publikum direkt im Archiv empfangen. Das Wasserburger Archiv ist eines der bedeutendsten Kommunalarchive in Altbayern. Die Staatlichen Archive Bayerns laden stattdessen in Kooperation mit Münchner Archiven vom 5. bis 21. März zu einem sogenannten BlogSlam ein. Der neue Blog "Archive in Bayern" auf der Plattform https://archivebay.hypotheses.org liefert dazu bemerkenswerte Beiträge aus bayerischen Archiven. Die Münchner Beiträge erscheinen auf dem Blog "Archive in München" unter https://amuc. hypotheses.org.

Tag der Archive: In Archiven findet sich - fast - alles, auch der Nachlass des "Meister Eder"-Darstellers Gustl Bayrhammer.

In Archiven findet sich - fast - alles, auch der Nachlass des "Meister Eder"-Darstellers Gustl Bayrhammer.

(Foto: Bayerischer Rundfunk)

Neugierde weckt bereits das Motto des Archivtags, das diesmal "Fakten, Geschichten, Kurioses" lautet. Wie erwartet zeigt sich, dass die Archive auch zu diesem Komplex vielfältige Schätze bewahren - von Abenteurerberichten aus fernen Ländern über Protokolle aus bayerischen Hexenprozessen bis hin zu Giftrezepten, königlichen Geburtsurkunden und sogar bis zum Nachlass des "Meister Eder"-Darstellers Gustl Bayrhammer. Noch immer ist nicht allgemein bekannt, welche spannenden und schier unglaublichen Geschichten in den Magazinen schlummern und darauf warten, entdeckt zu werden. Wenn Margit Ksoll-Marcon, die Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns, von "Fakten in Überfülle" spricht, so ist das keinesfalls übertrieben. Welche Kuriositäten sich dort auftun, zeigt unter anderem das Plakat des Archivtags, auf dem Spielkarten und eine Pistole zu sehen sind. Wie Ksoll-Marcon erklärt, handelt es sich bei der Pistole um eine Mordwaffe aus den 1920er-Jahren, die in den Prozessakten verblieben ist, weil damals vergessen wurde, sie in die Asservatenkammer zurückzulegen. Auch ein Mordmesser aus einem im 16. Jahrhundert geführten Prozess des Reichskammergerichts blieb zwischen den Akten liegen. Die Archive haben also jede Menge "Crime" zu bieten. Kein Wunder, dass sich, wie Ksoll-Marcon seit einigen Jahren auffällt, immer öfter Schriftsteller in die Archive begeben, um sich von den alten Fällen und Dramen inspirieren zu lassen. Dort tobt sozusagen das pralle Leben, alle Höhen und Tiefen des Menschseins sind in Abermillionen Schriftstücken dokumentiert.

Kurios ist auch jenes Bild, das im Staatsarchiv Coburg aufbewahrt wird und die Königin Victoria von Großbritannien zeigt, wie sie im Jahr 1894 mit der Maultierkutsche ausfährt. Es stammt aus dem in Coburg verwahrten Fotoalbum, das zur Hochzeit von Prinzessin Victoria Melita von Sachsen-Coburg und Großherzog Ernst Ludwig von Hessen im April 1894 angefertigt wurde. Damals war auch Queen Victoria zu Besuch, die Großmutter der Braut und des Bräutigams. Das Foto, das sie bei der Ausfahrt zeigt, darf man bei aller Distanz als allerliebst bezeichnen.

Tag der Archive: An die Zeit der Hexenverfolgung und Hexenprozesse erinnert dieser Druck aus dem Jahr 1511.

An die Zeit der Hexenverfolgung und Hexenprozesse erinnert dieser Druck aus dem Jahr 1511.

(Foto: Staatliche Archive Bayerns)

Staatliche Unterlagen sind freilich nur ein Teil der reichhaltigen analogen und digitalen Überlieferung. In Bayern gibt es neben den Staatsarchiven zum Beispiel noch zahlreiche Universitäts-, Wirtschafts-, Kommunal-, Kirchen-, Privat-, Partei-, Film- und Literaturarchive. Eine Übersicht über die am Archivtag beteiligten Archive und ihr Angebot bietet die Internetseite vda.archiv.net. Mit einer ganztägigen Online-Veranstaltung beteiligen sich auch sechs bayerische Kirchenarchive, und zwar fünf katholische Diözesanarchive (Eichstätt, München und Freising, Passau, Speyer, Würzburg) sowie das in Nürnberg angesiedelte Landeskirchliche Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Unter dem Motto "Durchgehend geöffnet!" informieren sie darüber, wie viele ihrer Akten und Angebote bereits online zur Verfügung stehen, was nicht zuletzt für Ahnen- und Familienforscher hilfreich ist. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt "Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911-1952)", das eng mit dem Erzbischöflichen Archiv München kooperiert, lässt am Archivtag ebenfalls in seine Arbeit blicken.

Dass Archivmaterial alles andere als verstaubt ist, zeigt das Staatsarchiv Bamberg, das beim Blog-Slam drei Fälle von Verschwörungserzählungen und Fake News aus der Bamberger Geschichte ausbreitet. Es zeigt sich, dass Menschen allerorten und zu allen Zeiten nach Erklärungen für Naturkatastrophen und sozialen Wandel suchten und gegen das Gefühl der Benachteiligung ankämpften. Vermeintliche Schuldige waren schnell ausfindig gemacht: Hexen, Einwanderer und Juden.

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