Süddeutsche Zeitung

SZ übernimmt Patenschaft:Flieg, Kuckuck, flieg!

Die SZ übernimmt die Patenschaft für einen Zugvogel. Der Kuckuck hat einen Sender umgeschnallt - und nimmt uns mit auf seine Reise nach Afrika. Man weiß nur wenig über die Vogelart. Das wird sich nun ändern.

Von Christian Sebald, Regensburg

Gut zwei Stunden warten Friederike Herzog und ihr Fangteam schon, dann geht alles blitzschnell. In zehn Metern Höhe fliegt ein Vogel auf das Gebüsch zu, in dem eine Kuckucksattrappe steht und ein Tonband in Endlosschleife laute Kuckuck-Rufe ausstößt. "Da ist einer, da ist einer", ruft die Biologin aufgeregt, die aus gut 150 Metern Entfernung die Szenerie beobachtet. "Jetzt mach', geh runter, damit wir dich kriegen."

So als hätte er die Worte gehört, wechselt der Vogel in den Sinkflug und fliegt auf die Attrappe und das Endlosband zu, die ihn anlocken sollen. Das mannshohe Netz, welches das Fangteam um das Gebüsch herum aufgespannt hat, erzittert. Herzog sprintet los, die Helfer hinterher. Als sie am Gebüsch eintreffen, zappelt tatsächlich ein Kuckuck wild flügelschlagend in den Maschen. Geschickt befreit Herzog das Tier und streichelt es sanft, bis es sich beruhigt hat. Dann präsentiert sie stolz den taubengroßen, graugefiederten Vogel mit dem auffälligen, hellgelben Augenring.

Es ist ein besonderer Kuckuck, der Herzog an diesem grauen Morgen an der Donau nahe Regensburg ins Netz gegangen ist. Das Männchen ist zwei Jahre alt, wiegt gute 120 Gramm und strotzt vor Kraft, wie die 29-Jährige nach einer kurzen Untersuchung erklärt. Nun soll es Forschungsgeschichte schreiben. Der Kuckuck wird mit Unterstützung der Süddeutschen Zeitung an einem deutschlandweit einmaligen Projekt des Vogelschutzbundes LBV teilnehmen.

Mit dem Kuckuck ist es so wie mit vielen heimischen Vogelarten. Man weiß nur wenig über sie. Zwar erschallen dieser Tage wieder überall in Bayern seine markanten Rufe. Aber außer dass die Weibchen ihre Eier in fremde Nester schummeln, die Kuckucke schon Ende Juni, Anfang Juli wieder gen Afrika ziehen und die Art stark im Schrumpfen ist, wissen selbst Experten kaum etwas über Kuckucke. "Das betrifft vor allem ihre Zugrouten, ihre Rastplätze und ihr Verhalten in den Überwinterungsquartieren", sagt Andreas von Lindeiner, der oberste Artenschützer des LBV.

Das wird sich nun ändern. Herzog und ihre Helfer schnallen dem Kuckucksmännchen einen gerade mal zwei Quadratzentimeter großen und fünf Gramm leichten Sender mit einer zehn Zentimeter langen Antenne wie einen Rucksack auf die Schultern. Von diesem Moment an können sie den Vogel gleichsam lückenlos überwachen. Und zwar nicht nur hier in Bayern, sondern vor allem wenn er sich auf seinen großen Flug nach Zentralafrika aufmacht. Denn bei dem Sender handelt es sich um ein Hightech-Gerät.

Alle 48 Stunden Daten

Alle 48 Stunden schickt er Daten über den Aufenthaltsort des Kuckucks an einen Forschungssatelliten, der sie wiederum an den LBV übermittelt. So können Lindeiner und die anderen LBV-Experten lückenlos nachvollziehen, was der Kuckuck gerade treibt. Die Energie für den Sender liefert ein winziges Solarmodul, welches in das Gerät integriert ist und es immer dann auflädt, wenn es offline ist.

Mit der Satelliten-Telemetrie, wie das Projekt auf Experten-Deutsch heißt, hat der LBV bereits große Erfolge erzielt. Schon vor einem Jahr statteten Herzog und ihr Fangteam neun Kuckucke aus der Umgebung von Regensburg mit Hightech-Sendern aus. Kucki, Richard, Reinhard und ihre Kollegen bescherten den Vogelkundlern jede Menge Erkenntnisse.

Allein die Flugstrecken: Kucki zum Beispiel verbrachte den Winter in Nordangola. Von Regensburg aus sind das 6200 Kilometer Luftlinie. Die Strecke, die Kucki zurückgelegt hat, war aber viel länger. Denn das Weibchen ist einen Zickzackkurs geflogen, oft über Hunderte Kilometer. "Das war bisweilen das reine Chaos", sagt Lindeiner. "Wie auch bei unseren anderen Kuckucken."

Letztlich stellten sich dann doch zwei Zugrouten heraus. Die eine, die westliche, führte die bayerischen Kuckucke über die Schweiz und Italien nach Libyen. Von dort aus flogen sie weiter nach Niger und Nigeria. Auf der anderen, der östlichen, zogen die Vögel über Österreich, Ungarn, Bosnien und Albanien nach Libyen und weiter in den Tschad. "Das war schon eine Überraschung", sagt Lindeiner. "dass letztlich alle ungefähr die gleiche Region in Zentralafrika ansteuern." Aber nicht nur das. Die Sahara - eine 2000-Kilometer Strecke - überquerten die Vögel nonstop in nur 48 Stunden. Tagsüber herrschen dort Temperaturen von 40, 50 Grad. Lindeiner vermutet, dass die Vögel wenigstens untertags sehr hoch geflogen sind und sich so etwas Kühlung verschafft haben.

Auch beim Rückflug verblüfften die Kuckucke die Experten. Sie nahmen nicht etwa denselben Weg wie beim Hinflug. Sie wandten sich vielmehr zunächst gen Westen in Richtung Togo und Elfenbeinküste. Die meisten folgten dabei brav der Küste und blieben über Festland. Nur einer, offenbar ein besonders Wagemutiger, riskierte den Weg direkt über den Golf von Guinea. Von Westafrika flogen dann aber alle mehr oder weniger schnurstracks gen Norden. Der Grund, sagt Lindeiner, könnte ein ganz einfacher sein. "Unsere Kuckucke sind wahrscheinlich der Abfolge der Regenzeiten in Afrika gefolgt", sagt er. "Denn in den Regenzeiten gedeihen Schmetterlingsraupen und das andere Getier besonders gut, das sie so gerne fressen."

Dass es dann meist schwülheiß ist, macht den Vögeln nichts aus. Genauso wenig stört es sie, dass es oft mehrmals am Tag aus allen Kübeln schüttet. Allerdings kann es passieren, dass ein Kuckuck den Flug nicht überlebt: Vier der neun im vergangenen Jahr gestarteten Vögel sind verschollen.

Wie auch immer, dem Kuckuck, dem Herzog und den Helfern, die den Satellitensender auf den Rücken des Vogels geschnallt haben, stehen spannende Monate bevor. Ganz ruhig sitzt der graugefiederte Kuckuck jetzt auf der ausgestreckten Hand der Biologin, er wirkt ein wenig benommen von der Prozedur. Herzog bewegt sanft die ausgestreckte Hand hin und her, so als wollte sie dem Vogel Mut machen für den Abflug. Da schüttelt sich der Kuckuck, breitet die Flügel aus und hebt ab. Nach wenigen Sekunden ist er am Horizont verschwunden. Dafür ist er bald auf Sendung.

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Quelle:
SZ vom 03.05.2014
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