Ex-Bayernspieler:Vom Fußballprofi zum Mathelehrer

Ex-Bayernspieler: Heute ist es Dieter Frey viel wichtiger, ein Geo-Dreieck statt eines Pokals in der Hand zu halten.

Heute ist es Dieter Frey viel wichtiger, ein Geo-Dreieck statt eines Pokals in der Hand zu halten.

(Foto: Peter Roggenthin)

Mit dem FC Bayern gewann Dieter Frey den Uefa-Pokal. Heute unterrichtet er, rhetorisch gewandt und witzig - er wäre also der ideale Fernseh-Fachmann. Aber darauf hat er keine Lust.

Von Olaf Przybilla

Im, sagen wir, zweiten Leben des Dieter Frey gab es einen Moment, in dem alles auf der Kippe stand. Es war kein langer, kein übermäßig dramatischer Moment, und gewiss keiner, aus dem ein Regisseur etwas Filmreifes hätte machen können. Dazu war das Setting einfach zu unglamourös und miefig. Frey, der in seinem ersten Leben mit dem FC Bayern München den Uefa-Pokal gewonnen hatte, stand in diesem Moment am Waschbecken einer universitären Bedürfnisanstalt und schaute in den Spiegel. 2004 war das, Frey war 32. Im Audimax der Uni Erlangen hatte er gerade eine seiner ersten Mathe-Vorlesungen über sich ergehen lassen und von dem, was der Professor mitzuteilen hatte, nicht viel verstanden. Und im Kopf war da plötzlich diese Frage: "Dieter, machst du wirklich alles richtig gerade?"

Sicher war sich Frey nicht. Seine Kommilitonen waren durch die Bank zehn Jahre jünger als er, hatten erst Abitur gemacht, und waren nicht nur miefige Toiletten in öffentlichen Lehranstalten gewöhnt, sondern auch langes Büffeln. Dass die meisten von ihnen in dieser Vorlesung auch nicht so richtig viel verstanden hatten, konnte Frey in dem Moment nicht wissen. So was erfährt man ja immer erst hinterher.

Ein zweites Leben als Lehrer

Und da war noch was: "Als Fußballprofi", sagt Dieter Frey, "bis du ein Leben im Fünf-Sterne-Hotel gewöhnt." Bedeutet habe ihm das nie was. Aber jetzt in Erlangen, im Waschraum einer dieser sagenhaft hässlichen Universitäts-Klötze in der Bismarckstraße, wurde ihm die ästhetische Fallhöhe zwischen seinem ersten und zweiten Leben doch ziemlich bewusst. Machst du alles richtig gerade? Seine Antwort kam zögerlich, erzählt Frey. Aber sie lautete: Ja.

Ex-Bayernspieler: Nach seiner Fußballkarriere wurde der Mittelfeldspieler Mathelehrer - ein Pädagoge mit Leidenschaft.

Nach seiner Fußballkarriere wurde der Mittelfeldspieler Mathelehrer - ein Pädagoge mit Leidenschaft.

(Foto: imago sportfotodienst)

Frey studierte also weiter Mathematik in Erlangen, und weil er sich auch für Wirtschaft und Recht eingeschrieben hatte, sagten die Leute: ah, ein Ökonomie-Studium. Da bereitet sich also einer auf einen Manager-Job in der Bundesliga vor, logisch, machen ja viele Ex-Profis. Frey hörte das ständig, und er erwiderte standhaft, dass er Lehramt studiert, um Lehrer werden zu können. Nicht Manager. Nur glaubte ihm das kaum einer. Inzwischen ist er Lehrer und empfindet diesen Beruf als "äußerst erfüllend". So sagt es Frey in der Kantine der Bertolt-Brecht-Schule in Nürnberg-Langwasser. Und wer ihn eine halbe Stunde zuvor beobachtet hat, wie er in der 5 B das Auf- und Abrunden von Ziffern erklärt hat, den beschleichen keine Zweifel. Da ist offenbar jemand mit Leidenschaft Lehrer.

Die anderen sind beim Fernsehen

Und trotzdem - so merkwürdig ist der Mensch - ist man als Gast im Klassenzimmer in Gedanken noch mal die Aufstellung der Bayern-Mannschaft von 1996 durchgegangen, beim, jawohl, historischen Endspielsieg gegen Girondins Bordeaux. Franz Beckenbauer hatte den Uefa-Pokal zuvor ja als "Cup der Verlierer" verspottet, was von allen verunglückten Sprüchen des Kaisers der unglücklichste gewesen sein dürfte. Nicht nur, dass Beckenbauer kurz vor den beiden Endspielen als Interimstrainer bei den Bayern einspringen musste, als Nachfolger des missvergnügten Otto Rehhagel. Die Endspiele gegen die Franzosen, deren Mittelfeld von einem gewissen Zinedine Zidane angetrieben wurde, gerieten auch zum Triumph. Immerhin hatten die Bayern diesen Pokal nie zuvor gewonnen, ein Erfolg mithin fürs Geschichtsbuch.

Die Aufstellung also vom entscheidenden Rückspiel in Bordeaux: Im Tor Oliver Kahn, der arbeitet heute fürs ZDF. Vor ihm Lothar Matthäus, der ist beim Bezahlsender Sky untergekommen. Neben ihm verteidigten Thomas Helmer und Thomas Strunz, beide beschäftigt bei Sport 1. Davor, im Mittelfeld, Mehmet Scholl, das ist der ARD-Mann. Und im Sturm Jürgen Klinsmann, der US-Nationaltrainer. Im Kader standen 1996 auch Markus Babbel, Dietmar Hamann und Oliver Kreuzer, die sieht man auch noch regelmäßig, alle arbeiten sie weiter im Fußball-Geschäft. Und dann ist da Dieter Frey. Der stand in beiden Endspielen, beim Hinspiel in München und beim Rückspiel in Bordeaux, auf dem Platz, jeweils ziemlich überzeugend. Und er erklärt der 5 B in Nürnberg-Langwasser gerade, was eine Rundungsstelle ist.

In der Freizeit ein Fußball-Lehrer

Ex-Bayernspieler: 1996 gewann er mit dem FC Bayern München den Uefa-Pokal.

1996 gewann er mit dem FC Bayern München den Uefa-Pokal.

(Foto: imago sportfotodienst)

Frey fordert dazu auf, es mögen sich doch bitte alle am Unterricht beteiligen. "Es macht gar nichts, wenn ihr einen Fehler macht", sagt er, "von Fehlern lernt man oft am meisten." Das Klassenzimmer sieht so aus, wie Klassenzimmer in den Achtzigerjahren schon ausgesehen haben: Neben der Tür eine Nasszelle zum Händewaschen, oben Neonlicht, hinten hängen selbstgemalte Bilder und an der Seite steht der Einbauschrank in Farbe, damit auch was fürs Auge geboten ist. Der Bau soll demnächst abgerissen werden. Es würde sich nicht lohnen, ihn noch zu sanieren.

Frey redet fast ununterbrochen, am Schuljahresanfang muss man das manchmal, sagt er später halb entschuldigend. Aber er tut es so, wie einem das von Leuten angekündigt worden ist, die den Mathe-Lehrer Frey lange kennen: rhetorisch gewandt, mit Witz, ohne pädagogisches Gehabe. Frey ist einer, dem man eine halbe Stunde über Rundungsregeln zuhören kann, ohne auf die Uhr schauen zu müssen. Okay, die Aufstellung von 1996 geht einem kurz durch den Kopf. Und dass Frey ein Wirtschaftsstudium absolviert hat, mit Ausstrahlung gesegnet ist, reden kann.

Kein Kontakt mehr zu den früheren Mitspielern

Aber im Fernsehen sitzt dann eben Lothar Matthäus. Was vermutlich ein saublöder Gedanke ist, Frey aber so nie sagen würde, dazu ist er zu höflich. Frey lächelt nur milde, wenn man ihn drauf anspricht, dass er als so genannter Fachmann im Fernsehen womöglich das Fünffache verdienen könnte, mit, wenn überhaupt, halbem Aufwand. Er habe nie einen Gedanken darauf verschwendet, sagt er, ist nicht sein Ding. Den Kollegen Helmer und Strunz, mit denen er in der Abwehr spielte, habe er noch nie bei der Arbeit zugesehen, wenn die am Sonntagfrüh im Sportfernsehen den Bundesligaspieltag kommentieren. Wirklich nie? "Kein einziges Mal", sagt Frey, "am Sonntag machen wir anderes." Irgendwas mit der Familie. Was Frey allerdings nicht gegen Helmer und Strunz gewendet wissen will. Absolut in Ordnung findet er die, genauso wie die Kollegen Scholl und Kahn. Kontakt aber hat er zu keinem mehr, trotz 1996. "So was verläuft sich irgendwann", sagt er. Jedenfalls dann, wenn man einen völlig anderen Weg einschlägt.

Und das hat Frey eigentlich schon 1996. Ein mehr als erstaunlicher Transfer, wenn man sich das heute anschaut: Ein 24-Jähriger, der gerade mit den Bayern den Uefa-Pokal gewonnen hat, wechselt nach Freiburg. Sympathischer Verein, ohne Frage, aber eben schon damals eher ein Ausbildungsklub. Nur wäre Frey wohl bei den Bayern geblieben, wenn Rehhagel nicht gewesen wäre. Der setzte auf Routiniers, Frey war plötzlich wieder Ergänzungsspieler. Als Beckenbauer übernahm, spielte Frey zwar wieder. Aber der Transfer in den Breisgau war da schon abgemacht.

Mehr Reha als Rasen

Dort funktionierte das Team nicht, nach nur einer Saison wechselte Frey nach Bremen. Es begannen die vier dunkelsten Jahre seiner Laufbahn. War er bis dahin regelmäßig zwischen Abwehr und Mittelfeld rotiert, tauschte Frey in Bremen meist nur den Platz im Krankenhaus mit dem im Reha-Zentrum. Erst ein Bandscheibenvorfall, danach Kreuzbandriss, der gebürtige Allgäuer drohte in der Versenkung zu verschwinden. Ein Profi, "dessen Name vier Jahre lang mehr in Terminkalendern von Arztpraxen als auf Aufstellungsbögen eingetragen war", gerate in Vergessenheit, notierte die SZ. Erst Klaus Augenthaler, früher Co-Trainer bei den Bayern, erinnerte sich an Frey. Und holte ihn 2001 zum Club. "Augenthaler weiß, was ich kann", sagte Frey, als er in Nürnberg ankam, "und weiß, was ich nicht kann." Ein klassischer Frey-Satz. Und so selten zu hören im Geschäft.

Seit 14 Jahren ist Frey inzwischen beim Club, nach der Karriere kümmerte er sich dort erst um den Fußball-Kindergarten, inzwischen betreut er nebenher eine Jugendmannschaft des 1. FC Nürnberg. Immer nur Fußball wäre nichts für ihn, sagt er. Diese Verbindung aber von Unterricht im Klassenzimmer und am Abend die Arbeit auf dem Platz mit Jugendlichen, "das ist mein Ding". Und auch die Bertolt-Brecht-Schule ist genau nach Freys Geschmack: eine Gemeinschaftsschule, mit Mittelschule, Realschule und Gymnasium unter einem Dach. Andererseits auch eine "Eliteschule des Sports", in der sie versuchen, für Bewegungstalente möglichst gute Unterrichtsbedingungen zu schaffen. Der Nationalspieler İlkay Gündoğan hat an der Schule Abitur gemacht. "Wäre gut gewesen, wenn es zu meiner Zeit auch schon solche Schulen gegeben hätte", sagt Frey.

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