SZ-Serie: Schauplätze, Folge 25:Die Geschichte einer Badewanne

Der Nürnberger Dutzendteich wird meist mit dem Reichsparteitagsgelände in Verbindung gebracht. Dabei flanierten schon in der Barockzeit die Einheimischen an dem künstlichen See

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Nicht einmal Hartmut Heller kann heute noch sagen, wo genau der Leuchtturm stand. Dabei kennt er sich mit dem Dutzendteich vermutlich besser aus als jeder andere. Irgendwo hier, am nordwestlichen Uferstreifen des Sees, unweit Hitlers unvollendeter Kongresshalle, die es damals noch nicht gab. Es war ein weißer Turm mit roten Bändern, genau wie seine Kollegen an Nord- und Ostsee, nur kleiner, vermutlich 15 bis 20 Meter hoch. Im Inneren war ein elektrisch betriebener Aufzug, mit dem Besucher die Aussichtsplattform erreichen konnten. Fast drei Jahrzehnte stand er dort, bis er den Plänen der Nationalsozialisten im Weg stand und 1935 gesprengt wurde.

Heller, emeritierte Professor für Landes- und Volkskunde aus Erlangen, war als Jugendlicher mit seinen Eltern selbst zu Sonntagsspaziergängen am Dutzendteich. Später arbeitete er in der benachbarten Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität. Es lag also nahe, dass er sich mit diesem Areal beschäftigt, sagt er. So erforschte er als einer der ersten umfassend die Historie des geschichtsträchtigen Geländes und recherchierte vieles, was heute zum Allgemeinwissen zählt. Sein 1983 erschienenes Buch ist nur noch in Bibliotheken und im Antiquariat erhältlich, doch seine Erkenntnisse fanden Eingang in zahlreiche Lexikoneinträge. Dass der Name des Sees nichts mit der Zahl der Weiher zu tun hat, in die er im Laufe der Jahrhunderte unterteilt wurde, beispielsweise, und dass Nürnbergs Naherholungsgebiet lange vor den Reichsparteitagen der Nationalsozialisten zum Schauplatz der Geschichte wurde. "Im Dutzendteich spiegelt sich Nürnbergs Vergangenheit", ist eine zentrale Erkenntnis, die Heller gewonnen hat.

SZ-Serie: Schauplätze, Folge 25: Einst stand am Dutzendteich in Nürnberg dieser Leuchtturm.

Einst stand am Dutzendteich in Nürnberg dieser Leuchtturm.

(Foto: Stadtarchiv Nürnberg)

Er berichtet zum Beispiel über den 9. Juni 1806. Damals fand auf dem Dutzendteich eine nächtliche Schiff- und Floßfahrt statt, samt Bankett im illuminierten Garten der Seewirtschaft. Befohlen vom französischen General Dumoulin, musste sie von der Stadt Nürnberg bezahlt werden, die nach dem Friedensschluss zwischen Napoleon und dem deutschen und österreichischen Kaisers Franz I. Teil des Königreichs Bayern werden musste. "Es war einer der letzten Tage reichfreier Souveränität und der Dutzendteich der Ort, an dem das Fest der Sieger die Demütigungen sichtbar machte", schreib Heller.

Das künstlich geschaffene Gewässer hatte nach seiner Sicht schon immer drei Funktionen: Es war Standort für Gewerbe und Industrie sowie Erholungsgebiet für die Stadtbewohner, und es hatte darüber hinaus eine politisch-repräsentative Bedeutung. Um zu erklären, warum es dort einen Leuchtturm gab, muss man ausholen, denn bei seiner Entstehungsgeschichte spielen alle drei Aspekte zusammen.

Zunächst im Privatbesitz, kaufte der Rat der Reichsstadt den See 1496. Wichtigster Zweck des Dutzendteichs war damals, die Handwerker der Stadt über einen Kanal mit Wasser und Energie zu versorgen. Doch auch am Ufer selbst siedelte sich ein Betrieb an. Der konnte am Wasserauslass ein vier Meter hohes Gefälle nutzen. Schon Ende des 15. Jahrhunderts trieb die Wasserkraft dort Hämmer zur Metallbearbeitung an. 1825 kauften dann die Brüder Johann Michael und Johann Wilhelm Späth das Gewerbegrundstück im Norden des Sees. "Wilhelm Späth war eine sehr wichtige Figur der bayerischen Industriegeschichte", betont Heller beim Ortstermin fast zweihundert Jahre später. Späth habe Bayerns erste Maschinenfabrik aufgebaut, dort drüben, wo heute die viel befahrene Bayernstraße verläuft, Nürnbergs Mittlerer Ring. Die Firma Späth konstruierte Anlagen zum Folienhämmern, Drahtziehen, Tuchwalken. Sie setzte die als "Adler" berühmt gewordene Lokomotive zusammen, die in Einzelteilen aus England geliefert worden war, und war am Bau des Ludwig-Donau-Main-Kanals beteiligt. "Der Dutzendteich gehört somit zu den Geburtsstätten der bayerischen Industrie", sagt Heller.

SZ-Serie: Schauplätze, Folge 25: Meeresfeeling in Franken: Die Postkarte dokumentiert den Blick von West nach Ost mit dem ehemaligen Gasthaus Wanner im Hintergrund.

Meeresfeeling in Franken: Die Postkarte dokumentiert den Blick von West nach Ost mit dem ehemaligen Gasthaus Wanner im Hintergrund.

(Foto: Bayerisches Postmuseum)

Gleichzeitig sei der See aber immer auch ein Lustort gewesen. "Viele glauben, im Mittelalter oder in der Renaissance oder im Barock hätte die Leute - soweit sie nicht von Adel waren - entweder von früh bis spät immer nur für ihren Lebensunterhalt gearbeitet oder in den Kirchen fromm gebetet." Ein Blick zum Dutzendteich zeige auch andere Szenen. Heller fand bei seinen Recherchen Hinweise, dass die Bevölkerung dort schon im 16. und 17. Jahrhundert gerne ihre Freizeit verbrachte. Vom Frauentor erreichten sie den See in einer Dreiviertelstunde, kauften dort Bier und Bratwürste. Schon aus dem Jahr 1700 gibt es Berichte über Ausflugsbote und von einer "Gondel, die zwölf Personen fasst".

Eine erste richtige Seewirtschaft kümmerte sich von 1713 an um vornehme Gäste. Standort war ebenfalls das Nordufer, man müsse sich das ein paar Hundert Meter östlich der Kongresshalle vorstellen, sagt Heller. Im Zweiten Weltkrieg wurde es zerstört. Den Höhepunkt als Erholungsraum hatte der Dutzendteich im 19. Jahrhundert. "Man lustwandelte in den Wäldern, kehrte im Gasthaus ein", mietete im Sommer ein Ruderboot, ging im Winter Eislaufen. Als sich die Stadt zunehmend industrialisierte und mit der Bevölkerung die Zahl der Erholungssuchenden wuchs, entstanden weitere Gasthäuser. 1898 wurde auf der Nordseite eine Promenade aufgeschüttet. Im selben Jahr ließ Prinz Ludwig von Bayern zwei von den Nürnberger Firmen Späth und Schuckert gemeinsam entwickelte Elektromotorschiffe vom Stapel.

Hartmut Heller in Nürnberg am Dutzendteich

Hartmut Heller steht vor der später gebauten Kongresshalle und vor der Stelle, an der einst der Leuchtturm stand.

(Foto: Peter Roggenthin)

1906 kulminierten die Entwicklungen schließlich in einer großen Landesausstellung zum 100. Jubiläum des Königreichs Bayern. Leistungsschauen nach dem Vorbild der Weltausstellungen waren zu jener Zeit sehr beliebt. Sie waren für die Bevölkerung ein Fenster zur Welt, zeigten neue Entwicklungen in Gewerbe, Industrie und Kunst, kombiniert mit allerlei Vergnügungsangeboten. Es hatte allerdings in den Jahren 1882 und 1896 schon zwei solcher Ausstellungen gegeben, ebenfalls in Nürnberg, das ja das industrielle Zentrum des Königreichs war, jeweils organisiert vom Bayerischen Gewerbemuseum. Die Industrie sei deshalb schon ziemlich ausstellungsmüde gewesen, sagt Heller. Letztlich ließ sie sich aber doch in die Pflicht nehmen. Wegen des größeren Platzbedarfs wurde erstmals ein Areal am Dutzendteich als Veranstaltungsort gewählt, der Luitpoldhain. Auf 700 000 Quadratmetern, in direkter Nachbarschaft zur Firma Späth, entstanden Ausstellungshallen und -pavillons, wurden Parks angelegt und eine kleine Insel mit einem Leuchtturm geschaffen. Von Mai bis Oktober dauerte die Schau, 2,5 Millionen Besucher wurden gezählt. Für Auf- und Abfahrt mit dem Leuchtturmlift zahlten sie 90 Pfennig.

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