Schliersee:Die Legende vom aufmüpfigen Wildschütz Jennerwein lebt weiter

Schliersee: Zwischen Wasserspitze und Rinnerspitze steht ein Marterl für den Wildschütz Jennerwein.

Zwischen Wasserspitze und Rinnerspitze steht ein Marterl für den Wildschütz Jennerwein.

(Foto: Matthias Köpf)

Dabei war der wilde Girgl von Schliers eher ein arbeitsscheuer Frauenheld und Wilderer als ein strammer Volksheld.

Von Matthias Köpf, Schliersee

Es war ein Schütz in seinen besten Jahren, und schlechtere sind für ihn ja auch nicht mehr gekommen. 29 war er, als ihm eine Kugel den Unterkiefer zerschmettert hat. Ein Teil der rechten Wange soll samt Schnurrbart in einer Fichte gehangen sein. Eine große Zehe steckte noch im Abzug der Büchse, gerade so, als ob der Schütz seinen besten Jahren selber ein Ende gesetzt hätte, die Mündung des Gewehrs am Kinn.

Doch im Rücken fand sich noch eine Kugel. Dieser erste Schuss mag nicht der tödliche gewesen sein, aber erst durch ihn lebt die Legende. "Von feiger Jägershand hinterrücks niedergestreckt", so steht es hier, dunkel eingraviert in die Bretter des Marterls, das am Grat zwischen der Wasserspitz und der Rinnerspitz an den Wildschütz Jennerwein erinnert.

Das Marterl hängt versteckt und ziemlich einsam am Stamm einer Fichte, darüber ein Kreuz, davor eine kleine Pyramide aus Steinen, die irgendjemand aufgeschlichtet hat. Das Marterl haben "seine Getreuen" festgeschraubt, die der Wildschütz auch im Juli 1977, ein paar Monate vor seinem 100. Todestag, noch gehabt hat. In dem Fall waren es ein paar Stammtischbrüder vom Tegernsee, und in den Annalen dieser Runde ist verzeichnet, dass sie auch nicht gewusst haben, wo genau ihr Marterl hängen müsste.

Hier hängt es jedenfalls gut, hinter den Bäumen tief drunten der Tegernsee, auf der anderen Seite das Bodenschneidhaus, das es an jenem 6. November 1877, an dem die Schüsse fielen, aber noch nicht gegeben hat - im Gegensatz zu vielen Almen, wo manche Sennerin Büchsen und Beute versteckt haben soll und den Wildschützen selbst auch gern in die Schlafkammer gelassen. Wer auf dem schmalen Steig zur Rinnerspitz hinüberwill, die damals "Peißenberg" geheißen hat, der muss schon mal hinlangen an den Fels. Der Schlierseer Wanderführer Jürgen Koschyk sucht für seine Gäste deshalb andere Routen. "Stell dir vor, du schießt da eine Gams. Bis du die da runterbringst!", sagt der pensionierte Polizist.

Denn hier in den Bergen zwischen Tegernsee und Schliersee war für Jennerwein das, was Jäger ihr Revier nennen würden. Aber dieser Georg Jennerwein, der Girgl von Schliers, war eben kein Jäger, auch wenn er viel Wild aus den Wäldern geholt hat. Gewildert hat er, und geweibert habe er auch wie wild. So drücken sie es drunten in Schliersee aus, wenn sie nach Jennerwein gefragt werden.

Und gefragt wird nicht nur Kuramtsleiter Mathias Schrön, der den Jennerwein zwar als Figur mit Werbewert zu schätzen weiß, aber eher nicht als den Volkshelden, als der er vielen Auswärtigen gilt. Der Schütz sei ein Bazi, ein Hallodri gewesen und öfter am Tanzboden und im Wirtshaus angetroffen worden als bei der Arbeit als Holzknecht, heißt es in Schliersee. Wobei er freilich nie angetroffen wurde, ist die frische Tat, auch wenn es ein jeder gewusst habe.

Der Jennerwein im Bauerntheater

Auch Jürgen Koschyk wird öfter nach Jennerwein gefragt, wenn er am Friedhof nach dem Grab seiner Eltern schaut. Der Friedhof ist 1890 und 1900 erweitert worden, und weil einige Gemeinderäte nicht wollten, dass ihre Angehörigen so offensichtlich neben dem Bazi Jennerwein liegen, wurde wohl dessen Grabkreuz versetzt. So ist nicht nur der genaue Ort ungewiss, wo man seine Leiche acht Tage nach den Schüssen gefunden hat, sondern auch der Ort, wo er begraben liegt.

Über dem Grabkreuz hing an Jennerweins 99. Todestag jedenfalls eine tote Gams, verbunden mit der Drohung, im Jahr darauf werde ein Jäger hier hängen. So brachte der Wildschütz die Obrigkeit noch einmal in Wallung, es wurde ermittelt und geredet, herausgekommen ist aber nichts. Heute steht auf dem von örtlichen Trachtlern gepflegten Grab auch eine Schale mit Erika von den "Jennerweinfreunden Schwabachtal".

Georg Jennerwein

Georg Jennerwein.

(Foto: dpa)

Solche Vereine und Fanclubs bildeten einen großen Teil des Publikums, als das Schlierseer Bauerntheater noch jedes Jahr einmal seinen Jennerwein aufgeführt hat. Bis 2010 ging das zehn Jahre so, davor haben sie das Stück vier Sommer lang fast durchgespielt, sagt Florian Reinthaler, der Vorsitzende der Laienbühne. Ihm ist der Jennerwein jedenfalls keine Figur für einen Bauernschwank, sondern eine faszinierende Gestalt. Jeder lege sich da seine eigene Version zurecht. Die Version, die sich das Bauerntheater hatte schreiben lassen, zeichnet Jennerwein als Hallodri, aber mit viel Robin Hood. Daneben gibt es etliche andere Stücke, Bücher und Filme, zuletzt auch vom BR mit Oscar-Preisträger Christoph Waltz als Josef Pföderl.

Der Jagdgehilfe Pföderl wurde in einem Indizienprozess für den Mord an Jennerwein zu acht Monaten Haft verurteilt. Er hat die Tat zeitlebens geleugnet und sich später selbst zu Tode getrunken. Für den Heimatfotografen Hias Krinner war Pföderl tatsächlich der Täter, aber in seiner brennenden Eifersucht zugleich nur der Dumme, den man dafür gefunden habe.

Denn der zurückhaltende Pföderl soll in die Frau verliebt gewesen sein, die sein bester Freund Jennerwein dann einfach geschwängert hat. Jennerwein, der die Obrigkeit so offenkundig an der Nase herumgeführt hatte, sei längst auf der Abschussliste gestanden, sagt Krinner. Er hat Pföderls Rolle erforscht für ein Heft, das er und der Baldhamer Abenteurer Georg Kirner zu Jennerweins 140. Todestag herausgeben wollen.

Der 82-Jährige verheißt neue Erkenntnisse und Fotos aus Familienbesitz. Die von Wilderer-Romantik und tragischer Dreiecksbeziehung gespeiste Legende hat sich von der historischen Figur ohnehin längst abgekoppelt, auch wegen des Jennerwein-Lieds, das schon im 19. Jahrhundert entstanden ist und im 21. Jahrhundert immer noch gesungen wird: Es war ein Schütz in seinen besten Jahren.

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