Archaeopteryx:Der Ex-Banker, der das urzeitliche Wiesnhendl entdeckte

DEU, Deutschland, Bayern, Solnhofen, 26.07.2017: - Karl Schwegler, Finder eines Archaeopteriyx, Archaeopteryx ist eine Gattung der Archosaurier, deren Fossilien in der Fränkischen Alb in den Solnhofener Plattenkalken aus dem Oberjura entdeckt wurden

Sieht aus wie versteinerte Hühnchenknochen, ist aber ein Flügel des Archaeopteryx.

(Foto: www.roggenthin.de)

Er war ein reiner Zufallsfund, dieser Flügel eines Archaeopteryx. Karl Schwegler hat ihn im Solnhofer Steinbruch entdeckt - und dann begann eine aufregende Zeit.

Von Claudia Henzler, Solnhofen

Vom mittelfränkischen Solnhofen geht es ein ganzes Stück hinauf. Erst auf der Straße, dann vorbei an einem Verbotsschild und über einen holprigen Waldweg. Nach gut einem Kilometer öffnet sich der Blick auf eine weite Grube, ein Radlader schichtet Schutt auf. Er erledigt Restarbeiten, der Steinbruch ist so gut wie aufgearbeitet. Als Karl Schwegler hier seinen Schatz gefunden hat, war der Boden noch um sechs oder sieben Meter höher. Damals konnte er dicke Schichten von Plattenkalk abbauen und den Stein als Bodenbelag verkaufen. Und in einer dieser Plattenschichten entdeckte er vor 17 Jahren ein versteinertes Fragment des Archaeopteryx, etwa 150 Millionen Jahre alt.

Der Archaeopteryx ist nicht das größte oder schönste Fossil der Welt, aber wohl das berühmteste. Und extrem selten dazu. Nur zwölf versteinerte Exemplare sind bisher bekannt - sie alle wurden im Altmühltal entdeckt. Der Urvogel war erstmals vor gut 150 Jahren beschrieben worden. Heute gilt der Archaeopteryx nicht mehr als der Urahn aller modernen Vögel, aber als evolutionsgeschichtlich wichtiges Glied in der Entwicklungslinie der befiederten Raubdinosaurier zu den Vögeln.

Auch wenn es sich bei Schweglers Fund nur um einen Flügel handelt, ist er in der kurzen und weltweit bekannten Liste der zwölf Exemplare mit der Nummer neun aufgeführt. Forscher haben ihm den despektierlichen Zweitnamen Chicken Wing (Hühnchenflügel) gegeben, optisch macht die Versteinerung auch nicht viel her. Doch wissenschaftlich sei der Flügel von grundlegender Bedeutung, sagt Martin Röper, der Leiter des Museums Solnhofen.

Das habe etwa eine Röntgen-Tomografie gezeigt, die in Grenoble in Auftrag gegeben wurde und die den Forschern mikroskopisch klein aufgelöste 3D-Aufnahmen lieferte. "Das sind die weltweit am besten erhaltenen Knochen, die es vom Archaeopteryx gibt", sagt Röper. Elle, Speiche und Oberarm eines rechten Flügels. Die Aufnahme hat nicht nur die Teile zum Vorschein gebracht, die im Gestein eingebettet sind. Es wurde auch eine Kralle gefunden, die auf der Oberfläche nicht sichtbar war.

Die beiden gut 50 Zentimeter langen, unregelmäßig geformten Platten, in denen Schwegler die Versteinerung fand, hängen heute hinter Panzerglas im Solnhofer Museum, gleich neben zwei fast vollständigen Exemplaren des Archaeopteryx. Schweglers Namen kann man dort nicht lesen. Die Versteinerungen sind Leihgaben zweier Solnhofer Familien, denen der Steinbruch gehört. Als Pächter war Schwegler vertraglich verpflichtet, größere Funde abzugeben.

Was Schwegler entdeckt hatte, sah zunächst nicht nach einer Sensation aus, sondern wie versteinerte Reste eines Wiesnhendls. Es war eine handtellergroße Verunreinigung auf einer jener polygonalen Steinplatten, die man auf Gartenwegen verlegen kann. "Ein anderer Steinbrecher hätte ihn vielleicht weggeschmissen", sagt Schwegler über den Fund. Er aber legte die Platten mit dem Negativ- und dem Positivabdruck zur Seite, um sie bei nächster Gelegenheit Martin Röper zu zeigen.

Späteinsteiger mit viel Glück

Als Steinbrecher war Karl Schwegler, obwohl geborener Solnhofer, ein Späteinsteiger. Er hatte Bankkaufmann gelernt, war sogar Filialleiter. Dann wurde er 50 und hatte keine Lust mehr. Er habe sich nicht mehr mit den Zielen und Dingen anfreunden wollen, die damals vorgegeben wurden, erzählt er. "Geschäft, Geschäft, Geschäft" - das sei alles gewesen, worum es noch ging. Also pachtete er einen Steinbruch, wurde sein eigener Herr und arbeitete 15 Jahre lang unter freiem Himmel oder in der Werkstatt, die er sich im Steinbruch errichtet hatte. Er sagt, dass er diese Entscheidung nie bereut habe.

Museumsleiter Röper kam immer wieder mal im Steinbruch vorbei und erkundigte sich nach Fundstücken - auch wenn Schwegler bis dahin nichts Aufsehenerregendes ausgegraben hatte. Nur immer wieder diese schneckenförmigen Ammoniten, die im Solnhofer Plattenkalk besonders häufig vorkommen. Dass er diesmal auf einen Teil des Archaeopteryx gestoßen sein könnte, daran habe er nicht im Entferntesten gedacht, erzählt er.

Als aber der Museumsleiter die Platten sah, "da habe ich schon gemerkt, wie es ihm die Stimme etwas verschlagen hat". Röper nahm die Steine mit und ließ sie von dem Paläontologen und Archaeopteryx-Experten Peter Wellnhofer begutachten. Von diesem Moment an war der Archaeopteryx-Flügel ein Fall für die Wissenschaft.

Laut Museum wurde der versteinerte Flügel im Jahr 2000 gefunden. Doch erst 2004 wurde er der Öffentlichkeit vorgestellt. Was dazwischen geschah, darüber spricht Karl Schwegler nicht so gern. Rückblickend sagt er: "Ich hätte die Verpächter gleich informieren müssen." Sie hatten erst nach monatelanger Verzögerung von dem spektakulären Fund erfahren, als die Wissenschaftler das gute Stück schon eine ganze Weile in den Fingern hatten.

Wie man gerade in Solnhofen weiß, hätte das böse ausgehen können, wurde doch fast 15 Jahre lang erbittert um das sogenannte sechste Exemplar des Archaeopteryx gestritten, das ebenfalls im Museum ausgestellt ist. Solnhofens früherer Bürgermeister Friedrich Müller hatte es von einem Steinbrucharbeiter gekauft, später meldete ein Steinbruchbesitzer aus Eichstätt Eigentumsansprüche an. Er verlangte von der Gemeinde, das Sammlerstück herauszugeben, konnte aber letztlich nicht beweisen, dass der Stein tatsächlich aus seinem Bruch stammte. Ein Gericht hatte den Streitwert für das unpräparierte Fossil damals auf eine Million Mark geschätzt.

In Schweglers Fall ging die Sache ohne öffentlichen Streit aus, schließlich hatte der heute 71-Jährige gar keinen Anspruch auf den Fund erhoben, die Sache war ihm nur etwas aus den Händen geglitten. Am Ende sind alle stolz, dass der Flügel in Solnhofen gezeigt werden kann und nicht wie andere Exemplare nach London, Berlin oder in die USA verschwunden ist. Die Eigentümerfamilien hatten Schwegler einen Finderlohn angeboten. Er wählte einen versteinerten Schwertfisch.

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