SZ-Serie: Schauplätze, Folge 16:Als Krieg herrschte in Cham

Im packenden Film "Die Brücke" verteidigen ein paar junge Soldaten eine sinnlose Stellung. Hauptdarsteller Fritz Wepper erinnert sich gut an die Dreharbeiten 1959 in der Oberpfalz. Dort zählen diese zur Lokalgeschichte

Von Andreas Glas

Am Ende des Films legt der Soldat Albert Mutz seine Arme um den Körper seines Kameraden, schleift ihn über die staubige Brücke. "Wir gehen heim", schluchzt Mutz, er winselt fast, "komm, Hans!" Aber Hans ist tot und Albert Mutz hat keine Kraft mehr. Er lässt seinen Kameraden auf der Brücke liegen, humpelt alleine weiter. Sein Bubengesicht ist so schmerzverknittert, so tränengeschwollen und angstzerfressen, dass der Anblick heute noch weh tut. Dann läuft Mutz aus dem Bild, die Kamera bleibt auf der Brücke kleben, ein paar Sekunden lang. Das Bild wird schwarz, die Brücke verschwindet.

Auch im echten Leben ist die Brücke verschwunden. Sie war baufällig, im Jahr 1991 wurde sie abgerissen. Die alte Brücke war staubig und grau. Die neue Brücke ist sauber geteert, das Geländer mit bunten Blumen geschmückt. Am Westende, in einer Halbrundung des Geländers, erinnert ein blecherner Filmstreifen mit Fotos an "Die Brücke", diesen Film, der das kleine Cham 1959 in die Welt hinaus trug. Fünfmal Deutscher Filmpreis, ein Golden Globe, eine Oscar-Nominierung. Ein Film, so intensiv, dass er sich beim Anschauen nicht anfühlt wie ein Film. Das sei schon bei den Dreharbeiten so gewesen, sagt Fritz Wepper. "Wir waren mitten im Kampf." In Cham, sagt er, "herrschte Krieg".

Florian-Geyer Brücke

Die alte Brücke aus dem Film "Die Brücke" wurde 1991 abgerissen, doch auf der neuen erinnert ein blecherner Filmstreifen an die Dreharbeiten.

(Foto: Evi Lemberger)

Wenn eine Szene nach fast 60 Jahren immer noch weh tut, muss ein Schauspieler vieles richtig gemacht haben. Fritz Wepper, 76, spielte damals den Soldaten Albert Mutz. Während des Filmdrehs feierte Wepper seinen 18. Geburtstag, er war beinahe noch ein Kind. Es war ja das Thema dieses Films: Sieben Schulfreunde, noch keine Männer, aber auch keine Kinder mehr, werden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges zur Wehrmacht einberufen - mit dem sinnlosen Befehl, eine strategisch völlig unwichtige Brücke zu bewachen. Sieben Freunde, die im Heldenwahn der Nazizeit aufwachsen. Ein Wahn, der sechs von ihnen in den "Tod fürs Vaterland" führt.

"Die Brücke" ist auch deswegen so packend, weil der Film auf Tatsachen beruht. Der Unterschied zur autobiografischen Romanvorlage von Gregor Dorfmeister besteht vor allem darin, dass die Handlung nicht bei Bad Tölz spielt, wo sich die Ereignisse zugetragen haben, sondern in Cham. Weil Regisseur Bernhard Wicki ein Drama zeigen wollte, das sich in ähnlicher Weise überall in Deutschland abspielte, kommt der Name der Stadt im Film zwar kein einziges Mal vor - doch für die Chamer ist "Die Brücke" bis heute ein wichtiger Bestandteil ihrer Stadtgeschichte. Und damals war der Filmdreh sowieso ein Riesenereignis. "Wir sind ja nicht unbedingt das Zentrum der Filmindustrie", witzelt der Chamer Stadtarchivar Timo Bullemer.

SZ-Serie: Schauplätze, Folge 16: Für die Dreharbeiten wurden Häuser und Bäume präpariert.

Für die Dreharbeiten wurden Häuser und Bäume präpariert.

(Foto: Stadtarchiv Cham)

Dass Bernhard Wicki sich für den Drehort am Rande der Oberpfalz entschied, lag laut Bullemer auch daran "dass der wirtschaftliche Aufschwung hier noch nicht so angekommen war. Viele Häuser sahen noch aus wie zu Kriegszeiten." Und Häuser, die nicht nach Krieg aussahen, machte der Regisseur kurzerhand zu Kriegshäusern. An den Fassaden ließ er Einschusslöcher aufpinseln, die Bäume neben der Brücke ließ er regelrecht rasieren. Es wurde ja im Sommer gedreht, die Handlung des Films spielt aber im April 1945, als die Bäume noch keine Blätter trugen. Überhaupt hat Regisseur Wicki die Stadt ganz schön auf den Kopf gestellt. Hinter der Brücke ließ er einen Schützengraben ausheben und Häuserattrappen bauen. Und dann war da ja noch der Lärm, der wochenlang durchs beschauliche Cham donnerte.

"Wir haben Cham teilweise besetzt", erinnert sich Fritz Wepper. "Zum Teil wurde scharf geschossen, es gab Explosionen, und es hat Querschläger in die Hausmauern geschleudert. Das war mitunter nicht ungefährlich." Heute gäbe es wahrscheinlich einen Aufstand, wenn ein Filmteam so rabiat in eine Stadt einrückt. Damals habe es kaum Beschwerden gegeben, sagt Stadtarchivar Bullemer. "Für die Menschen war das etwas Besonderes", sagt auch Wepper.

Wahrscheinlich haben die Chamer auch deshalb nicht protestiert, weil sie am Ereignis teilhaben durften. Für die Pinseleien an den Fassaden engagierte Regisseur Wicki örtliche Handwerker oder Arbeitslose, ebenso für den Aufbau der Häuserattrappen und das Rasieren der Bäume. Er setzte die Chamer als Kabelträger ein und als Komparsen. Dafür lud er zum Casting ins Kolpinghaus, suchte in Schulklassen nach geeigneten Leuten. Manchmal überredete Wicki auch Radfahrer, die zufällig am Set vorbeikamen zu einer Statistenrolle. "Es konnte schnell passieren, dass man im Film landete", sagt Stadtarchivar Bullemer. Für die Statistenrollen zahlte die Produktionsfirma Tagesgagen, die manche Chamer in einem Monat nicht verdienten. "Plus Verpflegung, Wurstsemmeln und Cola", sagt Bullemer, "das war ja damals auch noch etwas Besonderes." Im gesamten Landkreis soll die Produktionsfirma mehr als eine halbe Million Mark ausgegeben haben.

SZ-Serie: Schauplätze, Folge 16: Fritz Wepper, halb verdeckt, spielte Albert Mutz.

Fritz Wepper, halb verdeckt, spielte Albert Mutz.

(Foto: Stadtarchiv Cham)

Etwas Besonderes war "Die Brücke" natürlich auch für Fritz Wepper. Karrieretechnisch, aber auch emotional. Man spürt das noch heute, wenn er davon erzählt. Er war ja Kriegskind, sein Vater ist im Krieg gefallen. Als der Film gedreht wurde, hoffte er noch, dass der vermisste Vater zurückkehrt. "Diese Uniform zu tragen und in meiner Rolle in den Krieg verwickelt zu sein, hatte für mich eine andere Dimension als Krieg nur zu spielen", sagt Wepper. Bernhard Wicki sei ein "großartiger Regisseur" gewesen, "aber er hat fast einen seelischen Preis von uns gefordert," vor allem bei den Szenen im Schützengraben und in der berühmten Schlusssequenz. "Ich hatte einen richtigen Weinkrampf. Nach der Szene habe ich zehn Minuten gebraucht, um da wieder rauszukommen."

Dann erzählt Wepper von den Tagen in einem Münchner Tonstudio, wo die sieben jungen Männer den Film nachsynchronisieren mussten, weil die Kamerageräusche zu laut waren. "Wir waren so ergriffen, dass wir alle geheult haben wie die Schlosshunde." Ähnlich emotional sei die Kinopremiere gewesen, und auch der Tag, als der Film erstmals in Cham gezeigt wurde. "Es war ein besonderes Erlebnis, den Film dort zu sehen, wo wir gedreht haben", sagt Fritz Wepper.

Florian-Geyer Brücke

Stadtarchivar Timo Bullemer steht vor der neuen Brücke, die Häuserfront dahinter gibt es noch.

(Foto: Evi Lemberger)

Mit den noch lebenden Schauspielerkollegen von damals trifft sich Wepper heute noch regelmäßig. "Wir Brückianer hängen immer noch zusammen." Vor drei Jahren hat Wepper die Stadt Cham zuletzt besucht. Dass es die alte Brücke heute nicht mehr gibt, bedauert er. "Aber die Chamer haben ja rührenderweise die Filmbilder auf der neuen Brücke angebracht. Das ist eine schöne Würdigung." Dass er noch einmal nach Cham zurückgekehrt sei, sagt Fritz Wepper, "das war ich diesem Ort einfach schuldig".

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