SZ-Serie: Schauplätze, Folge 8:Zurück am Zaun

Die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf war einst das umstrittenste Bauprojekt Deutschlands. Tausende Polizisten bewachten die Baustelle, Hundertausende Gegner demonstrierten. Heute ist das Gelände ein Gewerbepark, und die Rivalen von damals tauschen Erinnerungen aus

Von Lisa Schnell, Wackersdorf

Es gab eine Zeit, da knatterten die Hubschrauber über Wackersdorf, da hatte jeder mindestens fünf Polizisten im Garten stehen. Jetzt liegt der Marktplatz in stiller Mittagsruhe. Ein paar Grashalme wehen im Wind. Kein Laut, nicht mal ein Vogelzwitschern. Wirtshaus, Kirche, Rathaus - geschlossen. Nur die Sonne brennt unerbittlich auf den Asphalt. Es würde nicht verwundern, wenn gleich ein Dornenbusch vorbei wehte. Stattdessen kommt Hans Schuierer. Früher zog er von hier mit Zehntausenden Demonstranten los, jetzt ist er gekommen, um einen von der anderen Seite zu treffen. "Ich bin der böse Polizist", stellt sich Michael Hinrichsen vor und lächelt ironisch.

Jahrelang standen Hinrichsen und Schuirer auf zwei Seiten eines riesigen Bauzauns. Der eine bewachte ihn, der andere kämpfte gegen ihn oder gegen das, was ab 1985 dahinter gebaut werden sollte: die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf. Die WAA war das umstrittenste Bauprojekt der Achtziger. Hunderttausende demonstrierten gegen das Prestigeprojekt der CSU, Atomkraftgegner, Autonome, aber auch die Oberpfälzer, sogar ein Landrat wie Hans Schuierer. Jahrelang stellte er sich gegen den Zaun, tausende Polizisten, wohl auch gegen den jungen Hinrichsen. Bis 1988 Franz Josef Strauß starb und 1989 die Pläne endgültig aufgegeben wurden. Eine Fahrt durch Wackersdorf mit zwei Männern, die auf unterschiedlichen Seiten standen und sich jetzt gemeinsam erinnern.

Schuierer, 86, sitzt im Auto zum ehemaligen WAA-Gelände. Wo einmal Brennelemente hätten gelagert werden sollen, verschickt jetzt BMW seine Autoteile in die ganze Welt. Die Gemeinde hat profitiert. Sie hat jetzt ebenso viele Arbeitsplätze, wie damals mit der WAA versprochen waren. Auf glattem Asphalt gleitet man dahin, kein Vergleich mit den staubigen Feldwegen damals, blockiert von Polizisten. Um an ihnen vorbeizukommen, kämpfte sich Schuierer mit Aktivisten im Strickpulli durchs Gebüsch. Er selbst trug eher Anzug. Schuirer war Mitte Fünfzig, Landrat für die SPD in Schwandorf und am Anfang recht begeistert von der WAA.

Was die drei Buchstaben genau bedeuten, wusste er nicht so genau, nur, dass die versprochenen 3600 Arbeitsplätze gut für seine Region sein würden. Doch dann sah er in den Bauplänen diesen 200 Meter hohen Kamin. Wofür der gut sei, fragte er. Für die radioaktiven Schadstoffe, hieß es. Von da an war er einer der erbittertsten Gegner. Als Landrat weigerte er sich, die Baugenehmigung zu unterschreiben. Im CSU-regierten Bayern wohl das erste Mal, dass ein Kommunalpolitiker den Aufstand gegen die Obrigkeit wagte. Dafür bekam er die Wut und die Macht von Franz Josef Strauß zu spüren, für den eine Atomfabrik nicht gefährlicher war als eine "Fahrradspeichen-Fabrik". Per Gesetz schuf die CSU-Mehrheit im Landtag sich selbst das Recht, die Genehmigung zu erteilen. Gegen Schuierer wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, es füllt vier Aktenordner, dauerte fast vier Jahre. Schuierer aber machte weiter. Er stellte sich mit den Bürgerinitiativen an den Infostand, unterstützte die Hüttendörfer und machte es als Landrat für die CSU schwer, die WAA-Gegner alle als Chaoten hinzustellen.

Nächster Stopp auf der Wackersdorf-Erinnerungstour: das Franziskus-Marterl. Eine weiße Kapelle, darin ein Foto von Michael Meier, dem einzigen Bauern, der von acht Anliegern um die WAA gegen sie geklagt hat. Fast immer brennen die Kerzen zum Andenken an ihn. Schuierer steht unter einem großen Holzkreuz. Sie brauchten einen neuen Treffpunkt im Wald und für Kirchenveranstaltungen benötigte man keine Genehmigung. Er erinnert sich an die Gottesdienste jeden Sonntag und an die Krähenfüße, die sie auf dem Waldweg auslegten. Hinrichsen erinnert sich an die geplatzten Reifen. Damals hatten sie sich gefragt, wer die gebogenen Nägel auf den Wegen verteilt. "Ein Dackel, dem wir ein Sackl umgebunden hatten", sagt Schuierer und grinst. Hinrichsen muss lachen.

Sein Dienst am Zaun hatte oft auch was von einem seltsamen Spiel, sagt er. Die einen wollten zum Zaun, die anderen mussten es verhindern. Jeden Sonntag spielten sie es beim Waldspaziergang der Aktivisten. Etwa 30 Polizisten gegen 100 Demonstranten, meistens verlief es ruhig, manchmal auch skurril, etwa als einer versuchte, den Zaun mit einer Handsäge zu beseitigen. Hinrichsen kannte die Aktivisten, grüßte sie sogar. Er ist selbst Oberpfälzer wie alle aus seiner Einheit damals. In Wackersdorf hatte er mal eine Freundin. Jeden Tag las er in der Zeitung, wie die WAA seine Heimat zerstören könnte. Sein Lieblingsonkel war bei den Grünen, zusammen gingen sie zum Anti-WAA-Festival. "Wie kannst du nur?", fragte ihn sein Onkel, aber ihre Freundschaft hielt. Viele zerbrachen, sagt Hinrichsen. "Wenn du Polizist bist, musst du es tun", sagt er. Gern getan hat er es nicht. Weil er gegen die WAA war und weil es oft nervtötend langweilig war. 14 Stunden dauerte eine Schicht. Oft umkreisten sie stundenlang den Zaun, ohne, dass irgendetwas passierte. Hinrichsen wollte als Polizist Verbrecher jagen, jetzt bewachte er einen Zaun - jeden Sonntag, jedes Weihnachten. Auch, als Peter Gauweiler kam. Mit seinem Dackel und den Weißwürsten und dem Politikergrinsen. Es war ruhig die Nacht, Hinrichsen hätte heimgehen können. Stattdessen musste er am CSU-gesponserten Buffet sitzen. "Wir haben Gauweiler alle gehasst." Den Polizeieinsatz kritisiert er nicht. Ja, aus Frust habe es sicher mal eine Watschn zu viel gegeben, Ursache für die Gewalt aber sei die Polizei nicht gewesen. Es gab auch die Autonomen, die Steine warfen und Autos anzündeten. Den Einsatz von CS-Gas findet Hinrichsen richtig: "Wenn die Polizei Gewalt einsetzt, muss es weh tun. Es hilft nichts, wenn wir mit Wattestäbchen schmeißen." Als ein Demonstrant an einem Asthmaanfall starb oder bei der "Pfingstschlacht" 1986 war er nicht dabei.

Schuierer schon. Wasserwerfer katapultierten 1986 Demonstranten meterweit. Bratwürste und Infostände wirbelten durch die Luft. Die Hubschrauber mit dem CS-Gas flogen tief. Als erstes zielten sie auf das Rote Kreuz, sagt Schuierer. Er erzählt von einem Polizeihund, der einer Frau einen Fetzten Fleisch aus dem Schenkel riss. Von Polizisten, die sich weigerten, sie ins Krankenhaus zu bringen. "Was in Wackersdorf geschah, darf es in einem Rechtsstaat nicht geben", sagt er. Auf dem verlassenen Marktplatz erinnert heute nichts mehr an damals. Auch deshalb will Schuierer nicht aufhören, davon zu erzählen.

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