Bamberg:Der Mann, der Johnny Trotz war

Robert Jarzcyk

Zurück in Bamberg: Schauspieler Robert Jarczyk auf der Unteren Brücke neben der Heiligen Kunigunde.

(Foto: Nicolas Armer)

Robert Jarczyk hat in den Siebzigerjahren in "Das fliegende Klassenzimmer" mitgespielt. Jetzt kehrt er an den Drehort Bamberg zurück.

Von Claudia Henzler, Bamberg

Als der Internatsschüler Johnny Trotz seine Freunde zum Kampf gegen die Realschüler führt, verabredet er als Treffpunkt mit den Externen die "Heilige Kunigunde." Das ist eine Statue auf der Unteren Brücke in Bamberg, auch heutzutage noch ein beliebter Ort für Verabredungen. Von dort kann man einen Postkartenblick auf "Klein Venedig" genießen, eine der Top-Sehenswürdigkeiten Bambergs.

An einem warmen Sommertag steht der Schauspieler Robert Jarczyk neben dem Standbild und schaut auf die berühmte Häuserzeile am linken Regnitzarm. "So malerisch habe ich Bamberg gar nicht in Erinnerung", sagt er. Obwohl er in München wohnt, keine zwei Stunden mit dem ICE entfernt, ist dies sein erster Bamberg-Besuch seit mehr als 40 Jahren. Im Juli 1973 hatte er hier den Johnny Trotz gespielt, die jugendliche Hauptrolle in Erich Kästners "Das fliegende Klassenzimmer".

Damals war Jarczyk 13 Jahre alt, im Vorspann taucht er noch mit seinem ersten Vornamen Wolfgang auf. Heute ist er ein erfahrener Schauspieler, 58 Jahre alt, 1,93 Meter groß. Man muss lange hinschauen, um die weichen Züge von Johnny Trotz wiederzufinden. Gut vier Wochen wurde in Bamberg gedreht, die Erinnerungen daran haben sich bei Robert Jarczyk im Laufe der Jahrzehnte zu ein paar Anekdoten verdichtet, nur wenige Bilder aus Bamberg sind hängen geblieben.

Er muss bedauernd abwinken: Nein, die Kirche St. Martin in der Fußgängerzone, die er auf dem Weg zur Heiligen Kunigunde passiert hat, sei ihm ebenso wenig in Erinnerung wie die Sandstraße, auf der es anschließend in Richtung Aufseesianum geht.

Das Aufseesianum immerhin hat sich eingeprägt. Ein stattlicher Bau, der zwischen Domberg und Michaelsberg liegt. Der gepflegte Vorplatz wird auf drei Seiten von dem hell verputzten Gebäude begrenzt, die vierte von einem hohen Metallzaun versperrt. Im Film wirkt dieser Platz, auf dem Johnny und seine Freunde Zeugen einer dramatischen Mutprobe werden, um einiges größer. Ja, sagt Robert Jarczyk, das weiß er natürlich noch, wie die Filmfigur Uli dort aus dem Fenster sprang. Vor allem aber erinnert er sich, wie er in einer Drehpause da rechts im Gras saß und mit dem Produzenten Franz Seitz sprach.

Der Film war ein Kind seiner Zeit

Warum der Produzent und sein Regisseur Werner Jacobs die Handlung des Kästnerschen Weihnachtsmärchens aus den Alpen in den fränkischen Sommer verlegt hatten, können sie heute nicht mehr beantworten, beide sind tot. Auch die Produktionsfirma weiß dazu nichts. Es mag eine Rolle gespielt haben, dass damals noch die Verfilmung von 1954 sehr präsent war. Der Schwarz-Weiß-Film mit Peter Kraus als Johnny Trotz war einer der erfolgreichsten Kinofilme der Nachkriegszeit.

In der Version von 1973 gab es einige Modernisierungen: Aus dem Schiffskapitän, der Johnny adoptiert, wurde ein Lufthansa-Pilot. Die Frisuren, Schlaghosen, Farben und die Musik machen den Film zu einem Kind seiner Zeit. Doch obwohl Seitz und Jacobs auch für Werke wie "Die Lümmel von der ersten Bank" verantwortlich zeichneten, ist das "Klassenzimmer" kein Klamaukfilm, er respektiert das Original. So kann man den Siebzigerjahrestreifen auch heute noch anschauen, ohne peinlich berührt zu sein. Erst Anfang August lief er als Wunschfilm auf dem Kinderkanal.

Der zentrale Drehort des Films war das Aufseesianum, ein Bamberger Internat, das seit fast 300 Jahren Schüler beherbergt. Der Freiherr von Aufsees hatte es 1738 gegründet, um begabten Buben, die auf dem Land wohnten, den Besuch einer weiterführenden Schule zu ermöglichen. Längst werden auch Mädchen aufgenommen, außerdem dient das Aufseesianum als Tagesheim für Kinder, die nur eine Nachmittagsbetreuung brauchen und abends nach Hause fahren. Eine Schule mit Internat, so wie im Film dargestellt, war das Aufseesianum allerdings nie. Die Kinder, die dort wohnen, machen sich nach dem Frühstück auf den Weg zu verschiedenen Schulen in Bamberg.

In der Schule hat sich viel geändert

Vieles sieht in dem Gebäude noch aus wie damals. Die Studierzimmer, in denen die Kinder nachmittags lernen, wirken wie richtige Klassenzimmer. Man kann sich auch vier Jahrzehnte später vorstellen, dass Joachim Fuchsberger - er spielte im Film den Lehrer Dr. Johannes Bökh alias "Justus" - gleich zur Tür reinkommt.

Im ersten Stock ist noch ein original Siebzigerjahre-Waschsaal erhalten, der aber nur noch in Ausnahmefällen benutzt wird. Die meisten Zimmer haben jetzt ein eigenes Bad, auch die großen Schlafsäle sind Geschichte. Die älteren Schüler sind in Wohngemeinschaften mit eigener Küchenzeile untergebracht, darunter auch einige Basketballhoffnungen von Brose Bamberg.

Bamberg: 1973 war am Michaelsberg noch eine Streuobstwiese. Jarczyk als Johnny Trotz (rechts) mit seinem Mitschüler Martin (Hans Putz).

1973 war am Michaelsberg noch eine Streuobstwiese. Jarczyk als Johnny Trotz (rechts) mit seinem Mitschüler Martin (Hans Putz).

(Foto: MFA + FilmDistribution)

Draußen, vor dem Nebeneingang, besichtigt Robert Jarczyk das Freigelände. Bis vor einigen Jahren gab es hier ein Freibad, nun ist nur noch Gras zu sehen. Lehrer Justus musste dort in voller Montur baden gehen - für den Schauspieler Fuchsberger war das kein Spaß. "Er wäre fast ertrunken", erzählt Jarczyk. Einige Kinder hatten den erwachsenen Kollegen in ihrem Eifer zu stark und zu lange unter Wasser gedrückt. Er könne sich noch erinnern, wie Fuchsberger danach minutenlang um Atem rang. Ob er selbst unter den Missetätern war, das wisse er nicht mehr.

Jedenfalls waren es immer freundschaftliche Begegnungen, wenn sich die beiden Schauspieler in den Jahrzehnten danach irgendwo getroffen haben. Davon abgesehen seien wenige Freundschaften entstanden, die den Dreh überdauerten. Vielleicht lag es daran, dass die Kinder damals von der Situation ein wenig überfordert wurden. Denn während Fuchsberger mit Familie im Hotel "Bamberger Hof" abstieg, waren die jungen Darsteller, von denen einige aus München kamen, in einem Wohnheim untergebracht.

Dass Kinderdarsteller von einem Eltern- oder Großelternteil begleitet werden, war damals offenbar nicht üblich. Jarczyk erinnert sich an einen kalten Schlafsaal, schlechtes Essen, ein strenges Regime. "Das war keine schöne Zeit", sagt er. Wenn man die Sache positiv sehen wolle, könne man vielleicht den Versuch von method acting unterstellen. Man hatte die Kinder zusammengesteckt, die eine Gruppe spielen sollten.

"Das war keine echte Schauspielerei"

Dass der Schauspieler mit gemischten Gefühlen an "Das fliegende Klassenzimmer" denkt, hat aber noch einen anderen Grund. Er habe damals halt nachgeplappert, was ihm jemand vorgesagt hat, sagt er fast verächtlich. "Das war keine echte Schauspielerei." Denn der erwachsene Robert Jarczyk ist ein Perfektionist. Jemand, der intensiv über seine Arbeit nachdenkt, Wert legt auf Authentizität und das Handwerk, das er in seiner Ausbildung bei Uta Hagen am renommierten Herbert Berghof Studio in New York gelernt hat.

Egal, ob er eine seiner vielen Gastrollen bei "Derrick" hatte, bei "Anna und die Liebe" den Agenturchef Richard Darcy spielte, oder auf der Bühne steht ("Wenn ich ein Theaterstück mache, kann ich das ganze Stück auswendig.") Andererseits bekommt Jarczyk immer wieder mal extrem überschwängliche Reaktionen auf seine Rolle als Johnny Trotz. Auch in der Bamberger Altstadt rutscht die Stimmer eine Frau in begeisterte Höhen, als sie zufällig bemerkt, dass sie hier einen echten "Klassenzimmer"-Darsteller vor sich hat.

Trotz unzähliger Filme und Theaterstücke, in denen er zu sehen war, weiß Jarczyk, dass "Das fliegende Klassenzimmer" in seiner Vita einen besonderen Stellenwert hat. "Der Film ist das, was bleibt." Und bevor er sich auf den Weg zum Bahnhof macht, zieht er ein Fazit dieses Ausflugs in die Vergangenheit: "Irgendwie schon schön, dass man in so einem Ding Teil von Erich Kästners Werk und Teil der deutschen Filmgeschichte ist."

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