Volkach:Wilhelm Joseph Behr ist Frankens unfreiwilliger König

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Über den Dächern Gaibachs ragt die Konstitutionssäule in die Höhe.

(Foto: imago/imagebroker)

Würzburgs Bürgermeister wurde 1835 wegen Hochverrats verurteilt. Unklar ist allerdings, ob er sich als Herrscher ausrufen ließ - oder Opfer weinseliger Studenten wurde.

Von Olaf Przybilla, Volkach

Auf dem Hügel über Gaibach, einem Ortsteil von Volkach, steht also diese Säule, die so hoch ist, dass man von unten den Schriftzug kaum entziffern kann. Größere Erklärstücke, was es mit dieser "Konstitutionssäule" auf sich hat, sind auf dem Hügel nicht zu erwarten, nur der Ausblick über die Weinberge ist famos. Wenn auch nicht von der Säule aus, deren Zugang ist gesperrt.

Herbert Meyer, studierter Historiker und ehemaliger zweiter Bürgermeister von Volkach, durfte mal im Inneren hinaufsteigen auf die Aussichtsplattform. Vor etlichen Jahren was das, an einem Tag zu Ehren von Denkmälern. Die Widmungsinschrift von oben aber kann er noch immer auswendig aufsagen: "Der Verfassung Bayerns, ihrem Geber Max Joseph, ihrem Erhalter Ludwig zum Denkmale." Klingt nach Harmonie. Sollte man meinen.

Bis man das Urteil des Königlichen Appellationsgerichts Landshut vom 18. September 1835 in den Händen hält, ein imposantes Werk. In Franken dürfte mancher allerdings eher formulieren: Machwerk. Und das schon deshalb, weil so gar nicht klar wird, warum für den Prozess gegen den früheren Bürgermeister von Würzburg, Wilhelm Joseph Behr, ein Gericht in Landshut zuständig gewesen sein soll. Klar ist nur, dass es ein Unterfranke war, der den Unterfranken Behr nach dem Verfassungstag am 27. Mai 1832 an der Konstitutionssäule im unterfränkischen Gaibach angezeigt hatte.

Und klar ist auch, dass sich mit dem Gaibacher Fest, zumindest theoretisch, zunächst ein Gericht in Volkach beschäftigt hat und eines in Würzburg. Dort also, wo der Hochverratsprozess gegen den Bürgermeister zuständigkeitshalber zu führen gewesen wäre. Nun drohte die Anzeige dort aber, in Franken, in der Ablage zu enden. Sodass diese dann - wohl unter gütiger Mithilfe des bayerischen Königs - auf wundersame Weise bei der Justiz in Landshut anlandete. Und somit exakt dort, wo in einem Hochverratsprozess ein überbetontes "Im Zweifel für den Angeklagten" schon grundsätzlich nicht zu befürchten war.

Das Urteil von 1835 wird gesprochen "im Namen Seiner Majestät des Königs von Bayern". Behr, der inzwischen abgesetzte Bürgermeister von Würzburg, wird des versuchten Hochverrats für schuldig befunden, und einer der Hauptpunkte, die das Gericht im Namen seiner Majestät zur Begründung anführt, sind die "am 27. Mai 1832 zu Gaibach gehaltenen Reden".

Ein querulatorischer Charakter

Man kann wahrlich nicht sagen, dass sich das Gericht zu wenig Mühe gegeben hätte, den Ex-Bürgermeister des versuchten Hochverrats zu überführen. Die "Gesamtaktenlage", eine in der bayerischen Justiz damals schon beliebte Vokabel, dokumentiere, dass "Heftigkeit, Ehrgeiz, Widerspruch gegen alles, was seiner Ansicht oder seiner Meinung nicht zusagt, die Grundzüge des Charakters des Angeschuldigten" bildeten.

Heute würde ein Gericht an so einer Stelle nicht so rumschwurbeln. Heute würde es sich auf die Expertise des Sachverständigen berufen, eines Mannes, an dessen Integrität es selbstredend keinerlei Zweifel gefunden haben würde. Und es würde sich sodann der für solche Fälle eingeführten Fachvokabel bedienen: Der Angeklagte, würde es zusammenfassend heißen, ist ein querulatorischer Charakter.

Im Urteil von 1835 gegen Behr folgen schwere Anschuldigungen. Denn es war da eben nicht nur die Causa Gaibach, auf die das Gericht sich stützt, weit gefehlt. Vielmehr soll in der Nacht auf den 13. Februar 1831 ein "Haufen Studenten" vor Behrs Haus in Würzburg gezogen sein. Mitten in der Nacht sollen diese ein "Vive Hofrath Behr" ausgebracht haben. Als nun der Polizei-Soldat Zehntner, ein über alle Zweifel erhabener Mann, dieser Ruhestörung mit Macht ein Ende bereiten wollte, da soll Bürgermeister Behr ihm tatsächlich erwidert haben: "Lass er die Leute gehen, es sind halt lustige junge Leute."

Nun führt das Gericht, es soll im Urteil schließlich nichts verheimlicht werden, durchaus an, dass der Inquisit Behr dieser Schilderung "stärksten Widerspruch" entgegengesetzt habe. Nur habe wiederum der brave Soldat Zehntner unter Eid auf seiner Darstellung beharrt. Und somit, stellt das Gericht klar, "ist dieses Indizium doch zur Hälfte erwiesen".

Wer hat Behr zum Herrscher erhoben?

Ähnlich verhält es sich mit dem Anklagepunkt, für den Behr - wider Willen muss man unterstellen - ein wenig historische Berühmtheit zuteil geworden ist. Das Hambacher Fest in der Rheinpfalz, gut mit dem Gaibacher zu vergleichen, gilt ja längst als grundlegender Teil deutscher Geschichte. Gaibach in Franken dagegen, wo liberale Verfassungsfreunde ebenfalls eine stärkere Beteiligung der Bürger forderten, war kleiner und verfassungshistorisch spezieller. Und auch die handelnden Personen waren spezieller. Zumindest, wenn man dem Urteil des Königlichen Appellationsgerichts von 1835 Glauben schenken mag.

Behr hatte in Gaibach kritisiert, dass Verfassungen nur durchs "Zusammenwirken von Fürst und Volk" ins Werk gesetzt werden dürfen. Dass Behr das gesagt hat, darüber herrscht Einigkeit. Ebenso gibt es keine Zweifel darüber, dass er einen Antrag an den bayerischen König, Ludwig I. also, vorgeschlagen hatte, in dem eine Verfassung unter Beteiligung des Volkes gefordert werden sollte.

Volkach: Die Grundsteinlegung der Konstitutionssäule hat ein zeitgenössischer Maler im Bild festgehalten.

Die Grundsteinlegung der Konstitutionssäule hat ein zeitgenössischer Maler im Bild festgehalten.

(Foto: Oktobersonne)

Nun findet sich im Landshuter Urteil aber auch der Vorwurf, Behr sei bei seiner Rede von "Reichsstädtern, Graubündnern und Studenten umgeben" gewesen. Und nicht nur das: "Dieselben brachten ihm ein Lebehoch, hoben ihn in die Höhe und trugen ihn um die Säule herum; ja, es ertönte, wie ein Zeuge angegeben hat, der Ruf: Das ist unser Frankenkönig!"

Das Würzburger Stadtoberhaupt als separatistischer Frankenkini? Ganz klar: Das wäre Hochverrat! Wenn es denn so war.

Es gibt eine Rechtsfertigungsschrift von Behr, der ebenfalls Jurist war. Diese ist länger als das Urteil und in einigen Passagen, nun ja, rechthaberischer. Aber sie wirkt auch überzeugender: Der Ruf "Dies ist unser Frankenkönig" setze, schreibt Behr, "einen zu großen Wahnsinn voraus, als dass die Vorgabe seines Geschehenseyns irgend Glauben und Beachtung hätte finden sollen oder verdienen können".

Behr wurde als gebrochener Mann freigelassen

Dass sich das Gericht auf genau einen Zeugen berufe, bei mehr als 5000 Anwesenden, spreche eine eigene Sprache. Zumal er sich sogar mit Kräften dagegen gewehrt habe, von ihm "ganz unbekannten, ohne Zweifel von Wein begeisterten Menschen plötzlich gepackt und emporgehoben" zu werden.

Ist da einer zum König von Franken ausgerufen worden? Oder wurde ein Übergriff Weinbeseelter kurzerhand zum versuchten Hochverrat aufgepeppt? Die Münchner Historikerin Katharina Weigand hat sich mit dem Fall beschäftigt. Möglich ist beides, sagt sie. Dass aber ein Gericht diese fragwürdige Königsausrufung als "schweres Geschütz" ins Urteil übernommen hat, sei offenkundig.

Behr wurde zu Festungshaft verurteilt, abzusitzen in Passau. "Im bayerischen Hochsicherheitstrakt", sagt Herbert Meyer und schmunzelt in die Sonne. Nach drei Jahren bekam Behr erste Hafterleichterungen, 1848, nach 13 Jahren, fiel er unter die Amnestie für politische Gefangene in Bayern. Als ein gebrochener Mann. Er wurde noch in die Frankfurter Paulskirche gewählt. Legte dort sein Mandat aber schon im November 1848 nieder, aus gesundheitlichen Gründen.

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