SZ-Brachvogel:"Schnepfinger" ist ein echter Bayer

SZ-Brachvogel: Der Schnepfinger verbringt ein angenehmes Leben - die meiste Zeit des Jahres ist er im sonnigen Süden.

Der Schnepfinger verbringt ein angenehmes Leben - die meiste Zeit des Jahres ist er im sonnigen Süden.

(Foto: LBV)

Zwar verbringen Brachvögel einen Großteil ihres Lebens weit im Süden. Trotzdem gelten sie aus guten Gründen als einheimische Art.

Von Christian Sebald

Es ist schon fast vier Monate her, dass Schnepfinger aus Bayern abgeflogen ist. Ende Mai hat der SZ-Brachvogel das Königsauer Moos nahe Dingolfing verlassen. Wenige Tage später ist er in seinem Winterquartier an der andalusischen Atlantikküste eingetroffen. Seither schwirrt Schnepfinger, der einen GPS-Sender auf dem Rücken trägt und Teil eines groß angelegten Forschungsprojekts über die Großen Brachvögel in Bayern ist, 2000 Kilometer Luftlinie entfernt von seiner niederbayerischen Heimat im Nationalpark Coto de Doñana herum.

Aller Voraussicht nach wird er dort bis in den März hinein bleiben. Mehr als neun Monate wird Schnepfinger dann in Südspanien verbracht haben. Stellt sich die Frage, warum ein Vogel, der jedes Jahr acht bis neun Monate fern von Bayern weilt, als bayerischer Vogel gilt? Oder auf Ornithologen-Deutsch: Warum sind die Großen Brachvögel, die ja zum Teil sogar bis ins südliche Marokko ins Winterquartier fliegen, eine heimische Vogelart?

"Ja", sagt Andreas von Lindeiner, "wenn man die Frage so stellt, dann klingt das schon ein wenig seltsam. Aber es ist so. Schnepfinger ist eindeutig ein bayerischer Vogel." Lindeiner muss es wissen. Der Biologe, der ist oberster Artenschützer beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) und verantwortlich für das Große-Brachvogel-Forschungsprojekt ist, zählt zu den prominentesten Ornithologen im Freistaat. "Aber im Grund genommen ist die Sache einfach", sagt Lindeiner. "Das Kriterium dafür, dass ein Vogel heimisch ist, lautet, dass er sich hier paart, brütet und seinen Nachwuchs groß zieht." Und zwar gleich, ob die Art nur ein paar Wochen des Jahres dafür im Freistaat weilt, viele Monate lang da ist oder das ganze Jahr hier lebt.

Auch der Grund, den Lindeiner für dieses Kriterium nennt, ist einfach und plausibel. "Fortpflanzung, Brut und Aufzucht sind entscheidend für den Fortbestand einer Vogelart in einer Region", sagt der Biologe. "Es hängt ausschließlich von ihrem Gelingen ab, ob eine Art dauerhaft hier bei uns vorkommt oder eben nicht. Deshalb macht die Europäische Vogelschutzlinie die Kennzeichnung heimische Art davon abhängig, wo sich die Tiere fortpflanzen."

Wobei es natürlich Grenzfälle gibt. Die Blauracke oder Mandelkrähe etwa. Der prächtig türkisfarben und azurblau gefiederte Vogel ist in Osteuropa und im Mittelmeerraum daheim. "Aber Blauracken werden auch immer mal wieder hier bei uns in Bayern beobachtet", sagt Lindeiner. "Das können Jungtiere auf einem Erkundungsflug sein oder erwachsene Vögel auf Durchzug. Da würde ich nicht so streng sein und sagen, die Blauracken ist auf keinen Fall eine heimisch Art." Zumal es gerade durch den Klimawandel immer öfter Verschiebungen der Brutgebiete gibt.

Wo der Vogel sich fortpflanzt, ist er dahoam

Der Bienenfresser, der ebenso farbenprächtig gefiedert ist wie die Blauracke, ist auch ein typischer Vogel des Mittelmeerraums. Seit die Sommer in Deutschland immer wärmer werden, trifft man den Bienenfresser immer öfter hierzulande an. Am baden-württembergischen Kaiserstuhl und nahe Merseburg im südlichen Sachsen-Anhalt haben sich schon Brutkolonien gebildet. "Auch der winzig kleine Girlitz, die Turteltaube und der Stelzenläufer brüten inzwischen immer mal wieder bei uns", sagt Lindeiner. "Neben dem Klimawandel dürfte der große Populationsdruck in ihren angestammten Brutgebieten im Mittelmeerraum und in Ungarn ein Grund dafür sein, warum sie sich immer öfter hier bei uns einnisten."

Umgekehrt gibt es immer öfter Arten, von denen nur ein Teil ins Winterquartier zieht und der andere hier bleibt. "Die Amseln sind ein typisches Beispiel", sagt Lindeiner, "da gibt es welche, die sind härter im Nehmen und bleiben den Winter über hier, andere fliegen nach Norditalien." Amseln machen den Winterflug womöglich sogar abhängig von der aktuellen Witterung. Sie bleiben solange hier, wie sie hier ausreichend Nahrung finden. Erst wenn richtig Schnee fällt, machen sie sich davon.

Dabei ist es nicht einmal so sehr die Kälte, welche die Amseln dann davon treibt. Sondern die geschlossene Schneedecke, die ihnen die Nahrungssuche schwer macht. Deshalb sind es angeblich zumeist die Amseln in der freien Natur, die irgendwann doch den Winterflug antreten. Die Amseln in den Städten bleiben hingegen sehr viel öfter den ganzen Winter über hier. Denn zum einen liegt in Siedlungen sehr viel seltener eine geschlossene Schneedecke als auf dem Land. Und zum anderen gibt es in den Städten und ihrem Umland so viele Menschen, die Vogelhäuschen mit Futter aufstellen oder welches im Garten oder Hinterhof ausstreuen, dass die Amseln auch bei härtesten Minusgraden keinen Nahrungsmangel leiden.

Bei Schnepfinger und anderen echten Zugvögeln hingegen ist der Winterflug "fest in der inneren Uhr einprogrammiert", wie Lindeiner sagt. "Sowie die Nachkommen flügge sind, haben sie keinen Grund mehr, hier zu bleiben. Sie fliegen schnell ab in den Süden." Wie genau diese innere Uhr tickt, ob Schnepfinger sein Leben lang das selbe Winterziel ansteuert und ob er immer wieder ins Königsauer Moos zurückkehrt, eben das will der LBV mit dem Forschungsprojekt herausfinden.

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