SZ-Serie: Bayern-Inventar, Folge 4:Die längste Reise der "Ludwig I."

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1842 macht sich der Volkacher Kapitän Bernhard Krauß auf nach Rotterdam - über den Main. Er ist im königlichen Auftrag unterwegs, doch ein Erfolgsprojekt wird die Fahrt nicht. Geblieben ist das Modell seines Schiffes

Von Claudia Henzler, Volkach

Als Bernhard Krauß zur abenteuerlichsten Fahrt seines Lebens aufbricht, macht er das zwar auf eigene Kosten, aber quasi in königlichem Auftrag. Der bayerische Monarch Ludwig I. hat nämlich wiederholt den Wunsch geäußert, dass seine Mainschiffer ihren Aktionsradius doch bitte über Köln hinaus ausdehnen mögen.

Der König träumt davon, die bayerischen Handelswege auf dem Wasser von der Nordsee bis zur Donau auszubauen. Krauß lässt sich 1842 darauf ein und freut sich, dass er "von seiner Majestät eine glückliche Reise allergnädigst gewünscht" bekommt. So schreibt er es in einem kleinen Büchlein nieder, das kurz nach seiner Heimkehr veröffentlicht wird: "Meine Reise von Volkach und Kitzingen nach der holländischen Seestadt Rotterdam, mit dem Schiffe, genannt Ludwig I. , König von Bayern."

Das Modell der Ludwig I. wird ausgestellt, vorher begutachten Marc Spohr und Restaurator Andreas Scheuch das alte Schiff. (Foto: Haus der bayerischen Geschichte)

Während Kapitän Krauß den Handelsweg in Richtung Norden erkundet, wird südlich des Mains eifrig gebaut: Ludwig I. hat eine 173 Kilometer lange Wasserstraße in Auftrag gegeben, um den Main über die europäische Wasserscheide hinweg mit der Donau zu verbinden. Ein gigantisches Projekt, das von 1836 bis 1845 Tausende Arbeiter beschäftigt und Millionen verschlingen wird.

Krauß macht sich also am 9. März 1842 auf den Weg, beladen mit Getreide und ausgestattet mit diversen Empfehlungsschreiben heimischer Händler. Die braucht er, um in Rotterdam Ladung für die Rückfahrt zu bekommen. Das Schiff hat er erst zwei Jahre zuvor bauen lassen, ein stattliches Gefährt, dessen Form den heutigen Frachtschiffen ähnelt, das aber komplett aus Holz besteht und allein mit der Kraft des Windes angetrieben wird. Auf dem Main schwimmt noch eine Eisdecke, als Krauß und seine Mannschaft die Segel setzen und unter Kanonendonner verabschiedet werden.

Zuletzt war das Modellschiff im Besitz von Markus Pöhlmann, zu dem es vom "fünfmaligen Urgroßvater" Bernhard Krauß gelangte. (Foto: Markus Pöhlmann/oh)

In seinem Reisebericht hält der 41-Jährige fest, wie mühsam das Schiff vorankommt. Immer wieder zwingen ihn Wind, Regen und sogar Schneestürme zum Anlegen und Abwarten. Erst am 17. März, eine Woche nach Reisebeginn "führte uns unser vaterländischer Fluß, der segensreiche Main, in die Wogen des Vaters aller deutschen Flüsse, den schönen und mit paradiesartigen Gegenden geschmückten Rhein". Und wieder fünf Tage später kann Krauß "die alte ehrwürdige Stadt Köln" erblicken "und deren merkwürdigen riesenhaften Dom".

Der ursprüngliche Besitzer der "Ludwig I.": Markus Pöhlmanns "fünfmaliger Urgroßvater" Bernhard Krauß. (Foto: Haus der bayerischen Geschichte)

Am 3. April erreicht die Ludwig I. endlich Rotterdam. Von den 23 Tagen, die die Expedition bisher gedauert hat, lag das Schiff elf Tage am Ufer. Insgesamt aber werden sogar vier Monate vergehen, bis Krauß nach Volkach zurückkehrt. Denn er hat einige Mühe, in der holländischen Stadt genug Ladung für die Heimfahrt zu organisieren.

Seine Aufzeichnungen basieren auf Tagebucheinträgen. Sie dokumentieren anschaulich, wie Kapitän Krauß die Hinfahrt trotz aller Widrigkeiten genießt. Er schwärmt mit poetischen Formulierungen von den Städten, an denen er vorbeifährt, und beschreibt ausführlich, was er als kurios empfindet. So sieht er in der preußischen Grenzzollstadt Emerich "mitunter manche hübsche Jungfrauen in hölzernen Schuhen einherspazieren, welches ein großes Getöse auf den Straßen verursachte und weshalb mich die netten Füßchen dieser Schönen dauerten, dieselben in diesen festen, unnachgiebigen Behältern eingeklemmt zu sehen". Wortreich berichtet er auch vom Besuch bei einem holländischen Barbier, der seine Kunden in einem von Krauß nie gesehenen Friseurstuhl Platz nehmen lässt und der nebenbei auch noch Holzschuhe herstellt. "Das ist wirkliche Gewerbefreiheit!"

SZ-Serie: Fundstücke aus 200 Jahren Landesgeschichte (Foto: SZ)

Gegen Ende der Reise wird der Ton in Krauß' Aufzeichnungen jedoch nachdenklich. Der Kapitän erkennt, dass die Mainschiffe für den Transport auf weiten Strecken nicht konkurrenzfähig sind. Erstens können auf dem Rhein größere Schiffe mit mehr Tiefgang und mehr Ladung unterwegs sein, vor allem aber beginnt gerade das Zeitalter der Dampfmaschine. Krauß ahnt, dass bald "die Segelschiffahrt vernichtet, das traurige Werk vollendet" sein wird. Auch die Ludwig I. wurde wegen des schlechten Wetters auf den letzten Kilometer bis Rotterdam von einem Dampfschleppboot gezogen, "was freilich sehr kostspielig war".

So bleibt die "mühe- und gefahrvolle Reise" eine einmalige Sache. Aus unternehmerischer Sicht sei das nicht tragisch gewesen, sagt Markus Pöhlmann. Er ist Historiker und ein Nachfahre des Volkacher Pioniers. Sein "fünfmaliger Urgroßvater" habe sich danach auf den Main beschränkt, sei aber ohnehin hauptsächlich Händler gewesen. Anders als bei vielen anderen Mainschiffern wurde der Beruf nicht zu einer Familientradition, die Enkel und Urenkel wurden lieber Lehrer oder Pfarrer und verließen das Maingebiet.

Trotzdem haben sie alle Krauß' Erbe weitergetragen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn das etwa 1,20 Meter lange Modell der Ludwig I., das der Kapitän anfertigen ließ, wurde von Generation zu Generation vererbt, zuletzt über Nürnberg, Ansbach und Augsburg nach München bis zu Markus Pöhlmann und seiner Schwester Antonia. "Handwerklich ist das ein sehr gutes, historisches Schiffsmodell", sagt Pöhlmann, aber es sei eben auch sehr raumgreifend und "nicht besonders praktisch". Er freut sich sehr, dass das Erbstück jetzt im neuen Museum der bayerischen Geschichte in Regensburg einen würdigen Platz findet. Die Geschichte des Kapitäns Bernhard Krauß wird dort ein individuelles Schlaglicht auf die Verkehrsprojekte Ludwig I. werfen.

Auch um den Ludwig-Donau-Kanal wird es dort gehen. Als der 1846 eröffnet wurde, konnten Schiffe in fünf Tagen die Strecke von Kelheim nach Bamberg zurücklegen. Letztlich wurde aber auch dieses Projekt kein wirtschaftlicher Erfolg. Denn für die breiten Main- und Donauschiffe war der Kanal zu schmal und nicht befahrbar. Und mit dem Siegeszug der Eisenbahn wurde er als Frachtweg bedeutungslos. Die Wasserstraße wurde später zum Teil überbaut oder zugeschüttet, heute sind nur noch einzelne Abschnitte und Relikte erhalten, an denen es sich allerdings hübsch spazieren lässt.

© SZ vom 21.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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